Die gute Nachricht für den SV Werder lautet: Der Verein hat realistische Chancen, wirtschaftlich zu überleben. In der Fußballbranche wurde seit Monaten mitleidig getuschelt, dass Werder schwerstkrank auf der Intensivstation liege – was häufig mit einem ungewissen Ausgang verbunden ist.
Im Rahmen der Mitgliederversammlung am Sonntag wählte Werder nun selbst dieses Bild: Man sei runter von der Intensivstation, sagte Geschäftsführer Klaus Filbry, obwohl die Lage sehr kritisch gewesen sei. Allein wegen der Pandemie brachen Werder Einnahmen in Höhe von 35 Millionen Euro weg, weitere 40 Millionen fehlen durch den Abstieg in die Zweitklassigkeit. Hinter Filbry und seiner Mitstreitern liegen herausfordernde Monate – und sie haben geliefert.
Der Verein durchlebte ein extremes Sparprogramm, allein die Gehälter für die Profimannschaft wurden mehr als halbiert, auf eine Summe von weniger als 20 Millionen Euro pro Saison. Werder verkaufte Immobilien, verzichtete auf Investitionen und verkaufte Spieler. In Zahlen liest sich das Ergebnis so: Im Geschäftsjahr 2019/20 musste Werder einen Verlust in Rekordhöhe von 23,8 Millionen Euro verkraften, für das anschließende Jahr 2020/21 „nur noch“ ein Minus von 8,8 Millionen Euro, auch dank der Verkäufe von Spielern wie Davy Klaassen und Milot Rashica.
Nach der aktuellen Saison darf man wegen weiterer Spielerverkäufe (Augustinsson, Sargent und die Brüder Eggestein) sogar mit einem kleinen Plus in der Bilanz rechnen. Auch der Bremer Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel attestiert dem Verein nun, ökonomisch das Tal der Tränen hinter sich gelassen zu haben.
Werder hat sich vor allem Zeit erkauft
Die schlechte Nachricht lautet: Der Patient ist noch lange nicht gesund. Denn Werder konnte die Intensivstation nur dank zwei teurer Operationen verlassen und wird dafür noch viele Jahre bezahlen müssen. Banken gaben Kredite in Höhe von 20 Millionen Euro, hinzu kommt die Mittelstandanleihe, die weitere 18 Millionen aufs Konto spülte. Mit diesen geliehenen Millionen sicherte Werder kurzfristig seine Liquidität. Diese 38 Millionen sind nun aber auch ein historisch hoher Schuldenstand. Der Verein hat sich damit Zeit erkauft, während das vor zwei Jahren stolz präsentierte Eigenkapital in Höhe von mehr als zehn Millionen Euro nicht mehr existent ist.
Nichts würde die Reha-Phase des Patienten Werder stärker beschleunigen als eine Rückkehr in die Bundesliga und damit zurück an die großen Geldtöpfe der TV-Anstalten und Sponsoren. Natürlich müsste Werder mit diesen Summen dann aber auch umgehen können, was zum Kernproblem führt: Auf wirtschaftlicher Seite konnte Werder durch harte Maßnahmen das Vertrauen der Geldgeber rechtfertigen - sportlich muss das gegenüber Fans und Sponsoren erst noch geschehen. Der jüngste Heimsieg gegen schwache Rostocker war ein Hoffnungsschimmer, mehr aber noch nicht.
So löblich es ist, dass Sportchef Frank Baumann vor den Mitgliedern Fehler und Fehleinschätzungen einräumte, inklusive riskanter Europacup-Ziele vor zwei Jahren und Irrtümern bei der Nachfolge von Toptorjäger Max Kruse – solche Worte allein helfen keinen Millimeter weiter. Was Werder braucht, sind viele richtige Entscheidungen. Bleiben die aus, läuft der Verein Gefahr, schnell am nächsten Abgrund zu stehen. Denn mit jedem weiteren Jahr in der zweiten Liga müsste der Kostenapparat den geringeren Einnahmen weiter angepasst werden, Werder wäre kaum noch konkurrenzfähig. Dieser Spirale in die Bedeutungslosigkeit kann Werder nur durch Erfolge auf dem Fußballfeld entkommen.
In einer emotionalen Rede prangerte Präsident Hubertus Hess-Grunewald an, dass Werder sich verändert habe. Wer sollte das besser wissen als er, der Mann an der Spitze? Und er hat Recht: Statt eines guten Miteinanders prägten zuletzt Misstrauen, Egoismen und Inkompetenz Teile der Werder-Familie und der Gremien. Das wurde im Vorfeld der Versammlung sichtbar, durch Satzungsprobleme, Streitereien und schlecht ausgewählte Aufsichtsratskandidaten. Werder muss auch hier wieder zu einer zukunftsfähigen Identität finden. Ob der Verein ohne seine Ikonen Marco Bode und Thomas Schaaf fortan wirklich besser aufgestellt ist, muss sich erst einmal zeigen.