Seit Monaten spricht man bei Werder vom Wiederaufbau. Jetzt bekommt das Wort eine neue Wertigkeit: Knapp ein halbes Jahr nach dem Abstieg muss sich der Bremer Traditionsverein nicht nur weiterhin sportlich rehabilitieren, nach der Affäre um den womöglich gefälschten Impfnachweis von Markus Anfang und seinem Assistenten Florian Junge muss der Verein auch den nächsten Trainer suchen und darum kämpfen, dass Werders einst so guter Ruf nicht weiteren Schaden nimmt.
Der Rücktritt eines Cheftrainers unmittelbar vor einem wichtigen Spiel ist im Profifußball extrem ungewöhnlich, doch nach dem Durchsuchungsbeschluss der Bremer Behörden am Vorabend ersparte Anfang dem Verein damit wenigstens, ihn freistellen zu müssen. Man kann Manager Frank Baumann verstehen, dass er sich nach Beginn der Ermittlungen noch vor seinen wichtigsten Mitarbeiter stellte. Er wollte damit den Verein beschützen – so wie es viele Fußballmanager machen, wenn Vorwürfe von außen aufkommen.
Dass er diese Strategie schon einen Tag später aufgeben musste, zeugt von der Dynamik des Falls. Auch wenn die Ermittlungen andauern, lässt es nichts Gutes erahnen, wenn Baumann von neuen Entwicklungen spricht und von „wirklich massiven Vorwürfen“ gegen das Trainergespann. Ob es im Verein Versäumnisse gab, wird Werder aufklären müssen.
Unglücklicher Zeitpunkt
Rein sportlich betrachtet kommt die erneute Trainersuche für Werder zu einem unglücklichen Zeitpunkt. Nach der hektischen Transferphase im Sommer, als sich der Verein aus wirtschaftlichen Gründen von vielen Stammspielern trennen musste, schienen sich die Bremer Mannschaft und ihr Trainer gerade gefunden zu haben. Der 2:1-Sieg in Nürnberg löste Begeisterung aus und ließ sanfte Träume zu, dass Werder doch noch in die Aufstiegsränge vorstoßen könnte. Es schien auch deshalb besser zu laufen, weil einige der neuen Spieler den Trainer von früheren Stationen kannten und auch wegen ihm an die Weser gekommen waren.
Jetzt ist der Trainer weg, und diese Spieler müssen schauen, wie sie mit einem neuen Chef klarkommen. Ob Lars Lukas Mai, Nicolai Rapp, auch Mitchell Weiser oder der für stolze 3,5 Millionen Euro Ablöse geholte Marvin Ducksch – für sie alle war Anfang eine wichtige Bezugsperson. Werder steckte viel Geld in diese Transfers und kann nur hoffen, dass der künftige Trainer auf den Plänen seines Vorgängers aufbaut. Im Übrigen ist auch die hohe sechsstellige Ablösesumme, die Werder nach dem Abstieg erstmals für einen neuen Trainer zahlte, nun kein gut investiertes Geld mehr.
Werders sportliche Leitung ist in den nächsten Tagen einmal mehr im Krisenmanagement gefordert. Der Verein wird auch seinen Sponsoren, Partnern und Fans noch einige Fragen beantworten müssen. Und das ist neu. Viele Jahre lang sorgten andere Vereine in Deutschland zuverlässig für Negativ-Schlagzeilen. Fans von Werder Bremen konnten den Kopf schütteln und sagen: Zum Glück ist unser Verein anders. Das ist vorbei – der SV Werder Bremen lässt seit geraumer Zeit nur wenig Theater aus. Es war ja nicht nur der Abstieg, es gab die Proteste gegen Sponsoren wie „Wiesenhof“ und „Wohninvest“, suspendierte Stars wie Niclas Füllkrug, aus dem Verein gedrängte Ikonen wie Thomas Schaaf, die ständigen Gerüchte um eine drohende Insolvenz, den Wirbel um die Aufsichtsratswahlen - und jetzt staatsanwaltschaftliche Ermittlungen samt Durchsuchungsbeschluss.
Werders Ruf hat gelitten. Die Vereinsführung muss sich die Frage gefallen lassen, welchen Anteil sie daran hat und ob sie die Kraft besitzt, Werder Bremen wieder zu dem besonderen Verein zu machen, dessen Image positiv besetzt war. Der Fall Anfang birgt weitere Sprengkraft: In einem Statement sprach die Deutsche Fußball-Liga (DFL) am Wochenende mit Blick auf Werder Bremen „von einem nicht hinnehmbaren Affront, sollten sich die Vorwürfe bestätigen“. 90 Prozent der Bundesligaprofis seien doppelt geimpft, man bemühe sich um eine Vorbildrolle in der Pandemie. Was bei Werder gerade passiert, schien undenkbar.