Ein Sieg gegen den VfL Wolfsburg würde Werder Halt, Kraft und Mut geben. So könnten sie auch den Anschluss an das untere Mittelfeld der Tabelle schaffen, nachdem es vor einigen Wochen eher gegenteilig aussah.
Als Theo Gebre Selassie in der 91. Minute per Kopf das Siegtor erzielt hatte, rannte Alexander Nouri einfach los. Werders damaliger Interimstrainer sprintete auf die Ostkurve des Weserstadions zu, feierte mit seinen Spielern, warf die Faust in die Luft. Wenige Sekunden später, als der Abpfiff ertönt war, tanzte Nouri rückwärts laufend mit ausgestreckten Armen aufs Feld. Nouri war außer Rand und Band – er hatte gerade seinen ersten Sieg in der Bundesliga errungen.
Das 2:1 gegen den VfL Wolfsburg war zugleich der erste Sieg für Werder in der laufenden Saison, und es löste riesige Euphorie aus. Jetzt würde alles gut werden, dachten viele. Damals, am fünften Spieltag, ging es Werder mit nur drei Punkten und Tabellenplatz Platz 15 aber immer noch richtig schlecht. In einem ähnlich widersprüchlichen Zustand befindet Werder sich nun vor dem zweiten Duell mit dem VfL Wolfsburg in dieser Saison: Nach der Winterpause hat die Mannschaft wieder erst im fünften Spiel die ersten Punkte geholt, und wieder hat ein Sieg, diesmal in Mainz, die Hoffnung ausgelöst, dass nun alles gut wird. Oder zumindest besser, als es jetzt ist.
Eine Serie muss her...
Was in der Hinrunde mit einem 2:2 in Darmstadt zumindest teilweise gelang, braucht Werder jetzt unbedingt wieder: einen Nachfolger für das erste Erfolgserlebnis. Mit einem Sieg in Wolfsburg hätte Werder so etwas wie eine kleine Serie – und Serien sind so wichtig in diesem schnellen Geschäft. Weil sie Halt, Kraft und Mut geben. Ein Sieg in Wolfsburg würde beweisen, dass der Auftritt in Mainz keine Ausnahme war, sondern der Anfang einer neuen Normalität. Das Spiel in Wolfsburg ist aber auch noch aus anderen Gründen ein besonders wichtiges unter all den wichtigen Spielen, die Werder in dieser Saison noch vor sich hat.
Ein Sieg würde den Bremern eine weitere Woche Ruhe in der Trainerfrage bescheren. Es wäre naiv zu glauben, dass es mehr als eine Woche wäre, aber jeder Tag ohne Debatten um Nouri erhöht die Chancen auf konzentrierte und zielorientierte Arbeit und damit auf den Klassenerhalt. Ein Sieg würde beweisen, dass Spieler und Trainer den Abstiegskampf angenommen haben. Dass sie nicht nur auf glanzvolle Momente ihrer Hochbegabten setzen, sondern auch für den sportlichen Überlebenskampf taugen.
Wenn die Bremer diesen Kampf in Wolfsburg gewinnen würden, würde das ihnen zeigen, dass sie eine konkurrenzfähige Bank haben. Dass sie auch extrem wichtige Spieler wie Clemens Fritz und Thomas Delaney erfolgreich ersetzen können. Dass sie nicht nur dann eine Chance im Abstiegskampf haben, wenn überhaupt nichts mehr schiefgeht. Sondern auch dann, wenn Sperren und Verletzungen ihren Kampf noch schwieriger machen, als er ohnehin ist.
...und der Anschluss ans Mittelfeld
Vor wenigen Wochen sah es so aus, als würde Werder abgehängt werden. Der HSV und der FC Ingolstadt punkteten plötzlich. Darmstadt 98 war der einzige Klub, bei dem man einigermaßen sicher sein konnte, dass er hinter Werder landen würde. Nun aber würde Werder durch einen Sieg in Wolfsburg nicht nur drei Punkte erringen, sondern auch den Anschluss an das untere Mittelfeld der Tabelle schaffen.
Werder läge dann gleichauf mit Wolfsburg, und wenigstens bis zum Sonnabend oder Sonntag näher am FC Augsburg, an Mainz 05, Borussia Mönchengladbach und Schalke 04. Werder läge dann auch wieder außerhalb der Abstiegsränge – und, was vielen im Verein und seinem Umfeld ähnlich viel bedeutet: vor dem Hamburger SV. Zumal die Chancen gut stünden, dass beides auch nach dem Wochenende so bliebe. Denn auch wenn die Hamburger zuletzt ziemlich erfolgreich waren: Dass sie beim FC Bayern gewinnen, ist doch einigermaßen unwahrscheinlich.
Ein Sieg in Wolfsburg würde auch bedeuten, dass Werder gegen den VfL in dieser Saison sechs Punkte geholt hätte. Das wäre ein schönes, ermutigendes Detail, schließlich ist Wolfsburg der deutlich potentere Klub. Saisonübergreifend wäre ein Sieg sogar der dritte in Folge gegen die Wolfsburger, davon allerdings der erste, den Werder auswärts errungen hätte.
Niederlage wäre furchtbar
Er würde den Bremern zeigen, dass sie auch in der Rückrunde Spiele gewinnen können, in denen sie Außenseiter sind, und dass sie das sogar auswärts schaffen können. Dass der mit Klassekickern gespickte VfL Wolfsburg nach einer Niederlage gegen Werder noch stärker um den Klassenerhalt bangen müsste, könnte dem Abstiegskampf eine neue Dynamik geben. Sie könnte beispielsweise damit beginnen, dass die Wolfsburger ihren Trainer wechseln; denkbar ist das.
Ein Sieg für Werder in Wolfsburg wäre aber schlicht auch schon deshalb wichtig, weil eine Niederlage furchtbar wäre. Sie ließe Wolfsburg auf sechs Punkte davonziehen; die Mannschaften davor wären noch schwieriger einzuholen. Und die Chance, im Heimspiel gegen Darmstadt eine kleine zu einer mittelgroßen Serie auszubauen, hätte Werder auch nicht mehr.
Ein Sieg würde nur eine Gefahr mit sich bringen: die Gefahr, dass das Bremer Umfeld übermütig wird. Die Menschen tragen noch immer die Sehnsucht nach den großen, alten Zeiten in sich. Deshalb führt auch heute, zwölfeinhalb Jahre nach dem Double aus Meisterschaft und Pokalsieg, jeder kleine Erfolg dazu, dass sie im tiefsten Innern wieder von großen Erfolgen träumen. Vielleicht hatte auch Alexander Nouri nach dem Hinspiel im September solche Träume. Jetzt, im Februar, besteht eher kein Anlass zum Träumen und Tanzen. So wichtig ein Sieg in Wolfsburg auch wäre.