Einer der meistverbreiteten Irrtümer im Bereich der Fußballtaktik ist die Idee, dass mehr Stürmer automatisch mehr Offensive bedeuten. Mehr Stürmer bedeuten zwar mehr Präsenz in der vordersten Reihe. Dafür gerät eine Mannschaft allerdings im Mittelfeld in Unterzahl. So bekommt sie Probleme, die eigenen Stürmer mit Pässen zu füttern.
Diese Gleichung war auch beim Spiel zwischen dem FC Augsburg und Werder Bremen zu beobachten. Augsburgs Trainer Enrico Maaßen stellte gleich vier gelernte Stürmer auf. Besonders offensiv war das Spiel der Augsburger indes nicht. Sie konzentrierten sich auf ihr Pressing und ihr Umschaltspiel – und trieben damit Werder in den Wahnsinn.
Augsburgs Pressing nervt Werder
Gleich vier gelernte Stürmer standen in Augsburgs Startelf. Ermedin Demirovic und André Hahn mussten angesichts der Fülle an Angreifern auf die Flügel ausweichen. Florian Niederlechner kam aus einer etwas tieferen Position. Augsburg wollte Werders 5-3-2-System also mit einem 4-2-3-1 kontern.
Augsburgs Aufstellung sollte der Mannschaft nicht unbedingt in der Offensive einen Vorteil bringen. Vier Stürmer aufzustellen, bedingt zugleich eine Unterzahl im Mittelfeld. Hier geriet Augsburgs Doppelsechs gegen Werders Drei-Mann-Mittelfeld in Unterzahl. Auch deshalb musste sich Niederlechner immer wieder fallen lassen, um Werders Sechser Christian Groß zu decken.
Augsburgs Aufstellung verfolgte einen anderen Zweck. Sie wollten das Spiel komplett aus dem Mittelfeld fernhalten. Hatte Werder den Ball, lief Augsburg früh an. Niederlechner deckte Groß, die übrigen drei Stürmer pressten die Bremer Dreierkette. So zwang der FCA die Bremer zu vielen überhasteten Abspielen. Werders Passgenauigkeit lag in der ersten Hälfte bei 68%.
Lange Bälle prüfen die Abwehrkette
Augsburg spielte indes noch wesentlich ungenauer. Gerade einmal 51% der Zuspiele brachten die Fuggerstädter an den Mann – absoluter Negativrekord in dieser Bundesliga-Saison. Das lag daran, dass Augsburg gar kein Interesse hatte, das Spiel zu gestalten. Nach Ballgewinnen jagten sie die Kugel direkt nach vorne. Sie wollten ihre vier Angreifer einsetzen – koste es, was es wolle.
Gerade in der Anfangsviertelstunde nervten sie damit die Bremer Verteidigung. Die Dreierkette schaltete sich wie gewohnt in den eigenen Spielaufbau ein. Marco Friedl und Amos Pieper rückten vor, um Gegner zu verfolgen oder bei eigenen Angriffen auszuhelfen. Dieses Aufrücken bestrafte Augsburg konsequent: Sie suchten und fanden sofort die Lücken hinter Bremens Abwehr.
- Die Bilder zum Spiel: Ein Abend zum Vergessen
Werder benötigte einige Zeit, um sich an das „Kick and Rush“ des Gegners anzupassen. Groß ließ sich später konsequent in die eigene Abwehrreihe fallen. So half er, die hohen Bälle des Gegners herauszuköpfen. Mitte der ersten Halbzeit erlangte Werder erstmals Kontrolle über das Spiel.
Bremens Versuche, das Spiel zu gestalten
Auch Werder setzte gegen Augsburgs hohes Pressing vermehrt auf lange Bälle. Gegen die zweikampfstarke Innenverteidigung des Gegners konnten Werders Stürmer diese Bälle aber nur selten behaupten.
Besser lief es, wenn Werder sich an der ersten Pressingreihe des Gegners vorbeikombinierte. Niclas Füllkrug und Marvin Ducksch ließen sich wie gewohnt tief fallen. Dadurch zogen sie die Doppelsechs des Gegners heraus. Mitchell Weiser und die nach vorne rückenden Mittelfeldspieler besetzten die frei werdenden Räume vor Augsburgs Abwehr. Der schönste Angriff dieser Sorte erfolgte in der 14. Minute, Ducksch vergab jedoch die Abschlusschance.
Nach der Pause verhielt sich Augsburgs Doppelsechs passiver. Sie verfolgten ihre Gegenspieler nicht mehr, sondern verharrten vor der Abwehr. Einerseits vereinfachte dies Werders Spielaufbau. Sie konnten nun am gegnerischen Pressing vorbeispielen und das eigene Mittelfeld bedienen. Werders Passgenauigkeit in der zweiten Hälfte kletterte auf 83%. Vor das Tor kamen sie jedoch nur selten. Dazu verteidigte Augsburg in der eigenen Hälfte zu kompakt.
Schlafmoment besiegelt Bremer Schicksal
Ausgerechnet in dieser ausgeglichenen Phase unterlief Werder ein folgenschwerer Fehler. Nach einer gegnerischen Ecke rückte die Mannschaft nicht konsequent heraus. Augsburg verlagerte das Spiel und erzielte den Führungstreffer (63.). Mit der Führung im Rücken gab Augsburg das hohe Pressing auf. Die Stürmer verließen nach und nach das Feld. Der FCA verteidigte nun in einer Mischung aus 3-4-3 und 5-4-1.
Werder musste gegen die Augsburger Mauer anrennen. Trainer Ole Werner tauschte sein komplettes Mittelfeld aus. Nach der Einwechslung von Oliver Burke (67.) agierte Ducksch als dritter Mittelfeldspieler. Praktisch immer zog es den Stürmer in den Strafraum. Doch obwohl Werder Ball für Ball in den Strafraum schlug: Es fand sich immer ein Augsburger Verteidiger, der die Kugel klären konnte. Selbst ein zweifelhafter Elfmeter half Werder nicht, in der Nachspielzeit zu treffen.
- Die Stimmen zum Spiel: "Das hatte nichts mehr mit Fußball zu tun"
Der Gegner mag vier Stürmer aufgestellt haben: Besonders offensiv ging der FCA die Partie in Bremen nicht an. Zwar wagten sie ein hohes Pressing. Doch spielerisch setzte der FCA voll und ganz auf lange Bälle. Ihr Kalkül, das Spiel aus dem Zentrum herauszuhalten, ging voll auf – auch weil Werder zu lange benötigte, um gegen die hohen Bälle des Gegners stabil zu stehen. Werder musste Lehrgeld bezahlen gegen einen Gegner, der sie auf das eigene Niveau herunterzog.