Wo die Erfolgserlebnisse ausbleiben, leidet auch das Binnenklima. Das ist so nachvollziehbar wie störend. In den vergangenen beiden Jahren wurde beim SV Werder Bremen häufig der große interne Zusammenhalt gepriesen, jetzt gibt es – so ist es zu hören – die eine oder andere nicht ganz kleine atmosphärische Störung. Individuelle Verärgerung trifft da auf ganzheitliche Problematiken. Auch, weil der Trend im Kalenderjahr 2023 wenig ansehnlich ist. Sechs Siegen und drei Unentschieden stehen satte 17 Niederlagen gegenüber. Allein in dieser Saison verlor die Mannschaft von Trainer Ole Werner schon fünf Mal – eine Zahl, die in der so gefälligen Hinrunde der Vorsaison erst am 14. Spieltag erreicht worden war. Überhaupt: Fünf Pleiten nach sieben Partien sind ein eingestellter Negativrekord, den es in der grün-weißen Liga-Historie sonst in den Saisons 1966/67, 1968/69 sowie 1998/99 gab. Das alles trägt nicht dazu bei, dass in Werders Kabine eitel Sonnenschein herrscht. „Natürlich ist gerade eine Unzufriedenheit in der Mannschaft vorhanden, aber die muss auch da sein“, betont Clemens Fritz. „Wir haben uns alle mehr versprochen, und da wäre es verwunderlich, wenn keine Unzufriedenheit da wäre.“
Beim jüngsten Spiel gegen Hoffenheim (2:3) war deutlich zu sehen, wie sehr diese Bremer Mannschaft die oft zitierten kleineren oder größeren Momente braucht, um sich daran hochzuziehen. Sich das nötige Vertrauen in die eigene Stärke zu holen. Als dann das späte 2:2 durch Jens Stage fiel, war der ersehnte Befindlichkeitsoptimierer eigentlich serviert – doch Werder verlor noch, statt einer minimalen Erlösung gab es das nächste Frusterlebnis für alle Beteiligten. Und anschließend reichlich Schelte von Medien und Fans. Doch Fritz hält den Puls niedrig: „Es ist völlig normal, dass jetzt Kritik von außen kommt, aber wichtig ist dennoch, dass wir ruhig bleiben und konzentriert weiterarbeiten“, unterstreicht der 42-Jährige.
Worte, die er nicht das erste Mal wählt. In der jüngeren Vergangenheit waren sie schon häufiger so oder ähnlich zu hören. Am Wochenende wiederholte der Ex-Profi zudem die bereits vertraute Formulierung, dass man „als Gruppe zusammenbleibe“. Aber wie schwierig ist das in einer Phase wie dieser, in der es immer wieder kräftig ruckelt? „Wir wissen alle, worum es geht. Wir haben ein klares Ziel: den Klassenerhalt. Der steht über allem. Und wir wissen auch, dass wir nicht einfach so durch die Liga laufen werden und die Saison reibungslos ablaufen wird“, erklärt Fritz und verweist auch auf die Kader-Zusammenstellung, für die er mitverantwortlich ist. „Es ist sicherlich nicht optimal gewesen, dass wir einige Transfers erst sehr spät realisieren konnten, aber das war eine Folge unserer wirtschaftlichen Situation. Trotzdem sind wir absolut überzeugt von unserer Mannschaft. Dass es anfangs Probleme und wahrscheinlich auch während der Saison immer mal wieder geben wird, war und ist uns bewusst.“
Ein ganz elementarer Mangel des Bundesligisten ist die Flut an Gegentoren. 17 Stück sind es bislang, lediglich beim klaren Heimsieg gegen Mainz stand die Null (4:0). Jens Stage oder auch Marvin Ducksch hatten im Nachgang der Niederlage gegen Hoffenheim das große Risiko erwähnt, das im Bremer Spiel beinhaltet ist – gleichzeitig diesen Weg aber auch als identitätsstiftend verteidigt. So ergibt sich automatisch ein Balanceakt, für den das richtige Gleichgewicht offenkundig noch nicht gefunden wurde. Zur Frage, ob das Risiko nach den bisherigen Ergebnissen nicht minimiert werden müsse, erklärt Clemens Fritz: „Es ist wichtig, dass wir die Zweikämpfe annehmen und nicht zu passiv sind. Da sind wir mitunter zu fahrlässig." Und er ergänzt: „Wenn wir jetzt sagen würden, dass wir uns hinten reinstellen und im Raum verteidigen, dann ist das auch eine Form von Passivität, die so erzeugt werden könnte. Wir sind eine Mannschaft, die eine aktive Spielweise hat – wir müssen sie nur eben auch aktiv angehen.“
Wozu die angeprangerte Zurückhaltung führen kann, hat sich in dieser Spielzeit schon mehrfach gezeigt. Werders Profis kommen dann zu spät in die Zweikämpfe, im schlimmsten Fall ergeben sich dadurch enorm große Räume für den Gegner, die dieser relativ einfach bespielen kann. Auch die TSG Hoffenheim kam so zuletzt zu recht einfachen Treffern, was „Sky“-Experte Lothar Matthäus prompt zu dem Urteil kommen ließ, dass die Elf von Ole Werner derzeit „nicht erstligareif“ verteidige.
Werder führt in der Foulstatistik
Und gehen die Bremer doch mal energisch dazwischen, geschieht das nicht immer regelkonform. Neben dem ebenfalls kriselnden FSV Mainz 05 hat Werder bislang die meisten Fouls angesammelt – nämlich deren 97. Mit ein wenig Abstand folgen im Ligaranking der VfL Bochum und Aufsteiger 1. FC Heidenheim (jeweils 90 Fouls). Es gibt nicht wenige Beobachter, die dem SVW eine schnelle Systemänderung nahelegen und sich so eine taktische beziehungsweise fußballerische Verbesserung erhoffen. Clemens Fritz hält sich diesbezüglich bedeckt, sagt nur: „Wir schließen da nichts aus und machen uns natürlich unsere Gedanken. Wir schauen ganz genau, was für die Mannschaft und gegen den jeweiligen Gegner am meisten Sinn ergibt.“
Bislang war diese Herangehensweise von überschaubarem Erfolg gekrönt. Fritz setzt dennoch darauf, dass die eigentliche Spielphilosophie trotz ausbleibender Erfolgserlebnisse nicht grundsätzlich über Bord geworfen wird. Von allen. „Man macht sich natürlich seine Gedanken und wir analysieren stetig, was wir verbessern müssen“, schildert er und bekräftigt: „Wir müssen als Team kompakter verteidigen, zuletzt standen wir viel zu breit und sind nicht gut angelaufen. Es muss uns allen bewusst sein, dass wir genau diese Punkte auf den Platz bringen müssen, denn man hat auch gesehen, dass wir unsere eigentlichen Spielabläufe ja finden.“