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Wie klingen E-Autos? Neue Sinfonie der Straße

Hersteller arbeiten am Klang der Elektromobilität und lassen ihre Fahrzeuge von Sounddesignern veredeln. Wie wird der Verkehr sich in Zukunft anhören? Und gibt es wegen leiserer Autos Unfälle in Bremen?
05.05.2022, 19:14 Uhr
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Neue Sinfonie der Straße
Von Lisa Schröder

Motoren heulen auf, Bremsen quietschen, Hupen dröhnen und der Auspuff knallt – Verkehr kann viel Krach und damit Stress erzeugen. Wie klingt aber die Mobilität der Zukunft? Wie leise geht es auf den Straßen zu, wenn in ein paar Jahren wie geplant Millionen Elektroautos dort unterwegs sein werden?

Autohersteller überlassen beim Klang der Elektromobilität nichts dem Zufall – er gehört zunehmend viel mehr zum Kern einer Marke. „Das ist eine tolle Möglichkeit, sich als Hersteller zu differenzieren. Ein BMW klingt zum Beispiel anders als unsere Autos", sagt auch ein Sprecher von Mercedes. In einer eigenen Abteilung kreieren hier Sounddesigner und Soundingenieure Klangwelten für die Sterne. „Das ist eine sehr kreative Arbeit."

So verfügt auch der neue EQE aus Bremen genauso wie der EQS über drei verschiedene Soundsets fürs Auto. Je nach Geschmack kann die Fahrerin oder der Fahrer sich zwischen Silver Waves ("sinnlich clean und präzise"), Vivid Flux ("kristalline Synthis, fließende Gesten") oder Roaring Pulse ("ein sehr extrovertierter Sound in Anlehnung an kraftvolle Maschinen") entscheiden. Über die Akustik soll das Elektroauto dem Fahrer Rückmeldung geben, um ein besseres Fahrgefühl zu vermitteln, weil der Motor im Gegensatz zum Verbrenner schweigt: „Der Fahrer hört einen Unterschied raus, ob er nun stark aufs Gaspedal drückt oder in der Stadt eher kriecht", sagt der Unternehmenssprecher von Mercedes. "Das ist eine hohe Kunst, das abzustimmen.“

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Auch VW arbeitet für seine Modelle mit Sounddesignern und Musikern. „Der Sound, den wir kreieren, ist wie ein Chor. Alle Geräusche greifen ineinander, bauen logisch aufeinander auf und vermitteln ein einheitliches Gefühl", beschrieb es vor geraumer Zeit die Experience Designerin Indra-Lena Kögler von Volkswagen. "Das Fahrzeug ist wie ein Instrument und ich als Fahrer bin der Musiker."

Und die Außenwahrnehmung? Ganz still wird der Verkehr mit den Stromern für den Moment nicht werden. Für die Sounds auf der Straße gibt es klare Regeln. Seit dem vergangenen Sommer müssen neu zugelassene Elektroautos und Hybridfahrzeuge in der EU künstliche Geräusche machen, um Fußgänger und Radfahrer dadurch besser zu schützen: Vorgeschrieben ist ein Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) mit Geräuschwarnungen im Rückwärtsgang sowie bei niedrigeren Geschwindigkeiten bis 20 Kilometer pro Stunde. Ab diesem Tempo werden dann ohnehin die Reifengeräusche des Fahrzeugs dominant – auch beim Verbrenner. Deshalb ist ab einer gewissen Geschwindigkeit oft kaum ein Unterschied mehr zwischen den Alternativen und neueren Diesel oder Benzinern zu hören.

Die Lautstärke des Warnsystems muss mindestens 56 Dezibel betragen – also laut sein wie ein brummender Kühlschrank. Die Obergrenze liegt bei 75 Dezibel, was einer Waschmaschine im Schleudergang entspricht.

Ich genieße den Sound of Silence.
Matthias Vogt, ADAC

"Die Hersteller versuchen auch da, den Autos eine gewisse individuelle Note zu verpassen", sagt Matthias Vogt vom ADAC zum Warnsystem. Der Experte wünscht sich dabei generell, dass der Autoverkehr künftig bei Wahrung der Sicherheit für die Passanten möglichst leise werden kann. "Da bietet das Elektroauto großes Potenzial." Vogt ist selbst schon Tausende Kilometer elektrisch unterwegs gewesen. Ihm ist dabei auch aufgefallen, dass die Menschen ihn öfter mal nicht hörten. Es sei aber nie zu einer gefährlichen Situation gekommen.

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Gab es in Bremen schon Zusammenstöße, weil Passanten ein Fahrzeug nicht hörten? "Uns sind derzeit keine Unfälle in Bremen bekannt, weil Elektroautos und Elektrobusse zu leise waren", teilt der Sprecher der Polizei Bremen Nils Matthiesen mit. Das könne aber auch damit zusammenhängen, dass die überwiegende Mehrheit in Bremen mit Verbrennern unterwegs sei. Eine genaue Auswertung gibt es zur Frage nicht. "Grundsätzlich sieht die Polizei Bremen bei leisen Autos in diesem Zusammenhang natürlich auch eine mögliche Gefahr", so Matthiesen. Das gelte gerade für Fußgängerinnen und Fußgänger mit eingeschränktem Sehvermögen, die im Straßenverkehr stark auf akustische Signale angewiesen seien.

Wie eine Stadt voller Stromer klingt? Ein Gesumme und Gesurre? "Das ist schwer vorstellbar", konstatiert Vogt. Nach seiner Einschätzung müssen die Menschen durch Umgewöhnung erst noch begreifen, dass Autos nicht laut sein müssen – wie sie es vorher erlebten. Einigen sei der Motorsound heute noch wichtig, dass es brummt und dröhnt. Vogt möchte die Stille hinterm Steuer des Elektroautos dagegen nicht mehr missen: "Ich genieße den Sound of Silence."

Ob das System AVAS in der Zukunft bleiben wird? Der Experte schließt neue Lösungen nicht aus, wenn sich die Menschen quasi auch akustisch an die Elektroautos in der Geräuschkulisse der Stadt gewöhnt hätten und etwa wieder mehr hinschauten als hinhörten. Ihm fällt in diesem Zusammenhang der Red Flag Act in Großbritannien ein – ein Gesetz aus dem Jahr 1865: Um Passanten vor Automobilen zu warnen, musste jemand mit einer roten Flagge vorweg laufen. Ein Tempolimit der ganz anderen Art.

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