Vor genau einem Jahr wurde der politische Streit um den Offshore-Terminal Bremerhaven vor die Gerichte getragen. Gutachter halten weiterhin an dem Projekt fest.
Wirtschaftssenator Martin Günthner hat sich im Zusammenhang mit dem geplanten Offshore-Terminal in Bremerhaven (OTB) über das Verhältnis zwischen Bremen und Bremerhaven beklagt. Im Interview mit dem WESER-KURIER sprach der SPD-Politiker wörtlich über „die leichte Arroganz, mit der manche in Bremen auf Bremerhaven blicken“. Wenn man sich wegen der 60 Kilometer Distanz zwischen den Städten nicht für die Wirtschaftsinfrastruktur in der Seestadt interessiere, koppele man nicht nur Bremerhaven ab, sondern gefährde auch den Lebensnerv Bremens. „Und der Lebensnerv ist auch künftig der Hafenumschlag.“
Das Interview ist Teil eines Dossiers über den OTB und die Offshore-Industrie in Bremerhaven, das in dieser Ausgabe unserer Zeitung enthalten ist. Vor genau einem Jahr wurde der politische Streit um den Schwerlasthafen vor die Gerichte getragen. Die Umweltschutzorganisation BUND hatte Klage eingereicht, wenige Monate später wurde vom Bremer Verwaltungsgericht ein Baustopp verhängt.
Günthner, der in Bremerhaven geboren wurde und dort lebt, glaubt unverändert fest an eine Zukunft für den 180 Millionen Euro teuren Schwerlasthafen zum Umschlag für Maschinenteile der Offshore-Industrie: „Jenseits der emotionalen Debatte über den OTB bin ich überzeugt: Wir haben weiterhin gute Perspektiven“, sagt er in dem Interview. Infrastruktur baue man nicht für drei oder vier Jahre. Auch als Mercedes in Bremen angesiedelt wurde, habe es erbitterten Widerstand und Debatten in der Stadt gegeben. Wegen der juristischen Auseinandersetzungen könne es beim OTB aber noch bis zum Jahr 2020 dauern, bis der Hafen gebaut werde.
Marktforscher schätzen OTB positiv ein
Es gibt ein neues Gutachten zu dem Projekt. Auftraggeber ist die stadtbremische Hafengesellschaft Bremenports. Die Marktforscher von Prognos bleiben ungeachtet der veränderten Rahmenbedingungen bei ihrer positiven Einschätzung des OTB. Dass zum Beispiel die Bundesregierung im Sommer vergangenen Jahres die Ausbauziele für Windkraftanlagen auf hoher See gedeckelt und einen zeitlich begrenzen Baustopp verfügt hat, bedeute lediglich, dass der Ausbaupfad gestreckt werde, an der Summe der Anlagen ändere das nichts. Außerdem müssten die Regelungen bald wieder verändert werden, um die fest verankerten Ziele zum Schutz des Klimas einhalten zu können.
Der weltweite Offshore-Windenergiemarkt wachse, insbesondere in Europa, stellt Prognos fest. Deutschland sei dort mit 32 Prozent Marktanteil auf Platz zwei. Für den Standort Bremerhaven sei aber mehr noch entscheidend, wie viele Windparks zurzeit geplant oder bereits genehmigt sind und für wie viele davon noch nicht feststeht, wer die Turbinen liefert. Nach Rechnung von Prognos sind das im 300-Seemeilen-Radius von Bremerhaven mittelfristig 34 Parks mit einem Potenzial von rund 3100 Windkraftanlagen. Hinzu käme der gesamte Bereich von Repowering, wenn also bestehende Anlagen durch leistungsstärkere ersetzt würden.
Das ist die Zukunft, wie die Gutachter sie betrachten. Die Gegenwart sieht so aus, dass in Bremerhaven mit Senvion und Adwen zwar zwei der fünf europäischen Offshore-Windturbinenhersteller angesiedelt sind. Die beiden Unternehmen haben aber gegenüber dem Marktführer Siemens nur ein vergleichsweises geringes Auftragsvolumen. Das Gefälle dürfte noch größer werden, wenn Siemens seine Turbinenfabrik in Betrieb nimmt, die gerade für 200 Millionen Euro in Cuxhaven gebaut wird. Bremerhaven hatte sich ebenfalls Hoffnung auf die Fabrik gemacht, wurde aber enttäuscht.
Adwen plant Serienproduktion in Frankreich
Adwen baut auf dem ehemaligen Flugplatz Luneort in Bremerhaven, über den später der OTB erschlossen werden soll, eine acht Megawatt starke Pilotanlage für Offshore. Ein Beweis für Prognos, dass Adwen wettbewerbsfähig ist und bleiben will. Im kommenden Jahr soll mit dem Bau von 62 Anlagen die Serienproduktion beginnen. Gefertigt werden sie aller Voraussicht nach allerdings nicht in Bremerhaven, sondern in Frankreich, wo die Windparks entstehen. Nicht klar ist, wie es mit Adwen weitergeht. Das Unternehmen ist mittlerweile in Besitz von Siemens. Die Kartellwächter prüfen gerade, ob das in Ordnung ist. Adwen könnte bei Siemens bleiben oder wieder verkauft werden. Beides könnte Folgen für den Standort in Bremerhaven haben.
Gibt es für den OTB einen Bedarf und darf deswegen in der Abwägung Natur zerstört werden, um den Hafen zu bauen? Das ist eine der Kardinalfragen, die vor den Gerichten geklärt werden. Maßgeblich dürfte dafür unter anderem eine Entscheidung sein, die an diesem Donnerstag vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig getroffen wird. Es geht um die Elbvertiefung. Daraus wird sich ableiten, wie sehr die Planer heute noch in Flüsse eingreifen dürfen.