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Dossier zum Offshore-Terminal Bremerhaven „Infrastruktur baut man nicht für drei oder vier Jahre“

Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) äußert sich im Interview mit dem WESER-KURIER zur Perspektive des geplanten Offshore-Terminals und verteidigt das Projekt gegen Kritik.
08.02.2017, 17:25 Uhr
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Von Philipp Jaklin Jürgen Hinrichs

Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD) äußert sich im Interview mit dem WESER-KURIER zur Perspektive des geplanten Offshore-Terminals und verteidigt das Projekt gegen Kritik.

Nach all dem, was im Zusammenhang mit dem OTB in den vergangenen Monaten passiert ist – woher nehmen Sie die Hoffnung, dass dieser Hafen eines Tages doch noch gebaut wird?

Martin Günthner: Wir haben eine lange und erfolgreiche Geschichte mit der Offshore-Windindustrie. Bremerhaven ist ja ganz besonders von strukturpolitischen Problemen belastet gewesen: Zusammenbruch der Werften, Weggang der Amerikaner, Niedergang der Fischereiindustrie. Wir haben deshalb angesichts der maritimen Stärke der Stadt sehr früh auf das Thema Offshore-Windindustrie gesetzt, haben inzwischen weit über 100 Millionen Euro investiert und im Moment gut 2000 Arbeitsplätze in der Branche.

Es waren mal mehr.

Ja, die Hochphase war 2012/2013. Aber auch heute haben wir eine unglaubliche Anzahl von Unternehmen vor Ort, von der Wartung über Ausbildung, Logistik, Produktion in den unterschiedlichsten Bereichen und den Forschungsbereich nicht zu vergessen. Das Thema Offshore-Terminal in Bremerhaven ist, so wie vieles an strukturpolitischen Entwicklungen, kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Langstreckenlauf. Deswegen setzen wir weiter auf das Thema. Wenn man zum Zweiten die klimapolitischen Ziele hinzunimmt, denen die Bundesregierung in Paris zugestimmt hat – die maximale Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen –, bedeutet das zwangsläufig, dass wesentlich mehr im Bereich der erneuerbaren Energien getan werden muss. Jenseits der emotionalen Debatte über den OTB bin ich überzeugt: Wir haben weiterhin gute Perspektiven.

Aber Sie geben zu, dass sich die Rahmenbedingungen verschlechtert haben? Etwa mit der Deckelung der Ausbauziele durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, außerdem sind Hersteller wie Weserwind weg.

Die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Wir haben 2009/2010 ziemliche Goldgräberstimmung rund um die Offshore-Windindustrie gehabt. Dann kam erstes schwieriges Fahrwasser mit der Frage der Netzanbindung. Also: Wie kommt der Strom von der Nordsee nach Bayern? Da gab es viel Hin und Her, aber jetzt gibt es einen klaren Rahmen bis 2030. Infrastruktur baut man nicht für drei oder vier Jahre. Auch als Mercedes in Bremen angesiedelt wurde, hat es erbitterten Widerstand und Debatten in der Stadt gegeben. Vor zwanzig Jahren ist eine Koalition in dieser Stadt an einer Debatte um Gewerbeflächen in der Hemelinger Marsch zerbrochen. Mercedes ohne die Hansalinie wäre heute mit ziemlicher Sicherheit Mercedes ohne Elektroautos, Mercedes ohne Perspektive am Standort Bremen. Ich bin überzeugt davon, dass gerade langfristig notwendige Entwicklungen klaren Kurs und langen Atem brauchen.

Aber wie lang soll der Atem sein? Ursprünglich sollte der OTB schon 2014 eröffnet werden. Nun zieht sich das juristische Hickhack in die Länge. Wann können dort die ersten Anlagen verschifft werden?

Der Planfeststellungsbeschluss wird vom BUND beklagt und befindet sich noch im Eilverfahren. Danach geht es in das Hauptverfahren. Wir müssen abwarten, wann dort entschieden wird.

Carsten Sieling hat gesagt, vor 2020 sei an eine konkrete Bauplanung beim OTB gar nicht zu denken.

Das Oberverwaltungsgericht wird sich voraussichtlich Ende Februar weiter mit dem Fall beschäftigen. Dann sehen wir weiter. Und juristisch noch gar nicht behandelt sind naturschutzfachliche Fragen und der Bedarf für den OTB. Das bedeutet, dass wir möglicherweise nicht vor 2020 dazu kommen können, diesen Hafen zu bauen.

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Bedroht das den Windkraft-Standort Bremerhaven nicht massiv? Schließlich hassen Investoren Unsicherheit. Sie können keine Garantie abgeben, dass dieser Hafen wirklich gebaut wird, kein konkretes Datum nennen. Deswegen hat sich Siemens ja für Cuxhaven entschieden.

Siemens hat sich für Cuxhaven entschieden, weil es in Bremerhaven keine entsprechende Infrastruktur gegeben hat. Das ist ja der zentrale Gedanke: Wir brauchen eine Infrastruktur, damit wir Unternehmen ansiedeln können. Das gilt für Gewerbeflächen, für Kajen und Häfen. Es kommt kein Unternehmen nach Bremerhaven auf Treu und Glauben, dass dort möglicherweise irgendwann mal eine Kaje gebaut wird. Deswegen beharren wir ja darauf, dass dieser Hafen gebaut werden muss.

Nun ist Siemens nicht irgendein Unternehmen, sondern der Marktführer. Und wenn sich der für Cuxhaven entscheidet, lockt das weitere Investitionen an. Können Sie an Siemens vorbeischauen?

Erst einmal ist es ein großer Erfolg, dass Siemens überhaupt an die deutsche Küste geht. Cuxhaven ist nur ein Steinwurf entfernt von Bremerhaven. Wir haben Wettbewerb und wir brauchen ihn. Die Perspektive der deutschen Offshore-Windindustrie und die Exportchancen sind ganz klar so gut, dass wir insgesamt mehr Verlademöglichkeiten an der deutschen Küste brauchen.

Inzwischen gehört auch der Bremerhavener Hersteller Adwen zu Siemens. Wenn der Konzern die Produktion dort abzieht und nach Cuxhaven verlegt – dann ist die gesamte Planung für den OTB doch obsolet.

Adwen ist ein erfolgreiches Unternehmen, das in Bremerhaven derzeit eine der modernsten Anlagen errichtet, die es weltweit gibt. Sie soll dort getestet und in die Produktion gehen. Adwen hat enorme Expertise, und damit können wir das Offshore-Know-how an der Küste weiter stärken. Ich gehe davon aus, dass Siemens die Produktion in Bremerhaven belässt. Außerdem reden wir ja nicht nur über den Windmarkt von 2020 bis 2025 und nicht nur über den in Deutschland, sondern über den nationalen und internationalen Windmarkt der kommenden Jahrzehnte.

Der aber in Deutschland bis 2030 gedeckelt ist.

Im Moment gibt es einen Deckel. Aber noch mal: Wie will die Bundesregierung ihre Klimaschutzziele erreichen ohne die Offshore-Windindustrie? Die Branche hat im vergangenen Jahr einen deutlichen Zuwachs erlebt an der deutschen Küste. Wir sehen die industriellen Effekte, die wir brauchen, damit die Industrie profitabel ist – und in deutlich stärkerem Maße konkurrenzfähig gegenüber anderen Formen der Energieproduktion. Das gibt eine Perspektive dafür, dass der Deckel auch wieder aufgehoben wird. Dies sind keine politischen Einschätzungen, sondern Einschätzungen, die durch eine aktuelle Begutachtung noch einmal eindeutig bestätigt worden ist.

Hinter vorgehaltener Hand wird oft gesagt: Die Bremerhavener wollen einfach ein weiteres Stück Kaje, und wenn es mit Offshore nicht klappt, nutzt man den OTB eben anders, zum Beispiel als normalen Schwerlasthafen. Was sagen Sie dazu?

Erst einmal nehme ich zur Kenntnis, dass über Bremerhavener Projekte in Bremen teilweise anders diskutiert wird als über Bremer Projekte. Im Moment pilgern massenhaft Bremer nach Bremerhaven, um sich den Spitzensport DEL-Eishockey anzuschauen. Jahrelang wurde in Bremen darüber diskutiert, warum sich die Bremerhavener ein Eisstadion gönnen. Warum machen die das? Das braucht kein Mensch. Zum Hafentunnel in der Cherbourger Straße wurde über Jahre der Bedarf aus Bremen heraus kritisch diskutiert. Ähnlich war es beim Containerterminal. Die Diskussion um den OTB bestätigt diese besondere Sicht auf Investitionen in Bremerhaven leider erneut.

Aber wäre es nicht zumindest ein denkbares Szenario, dass man die Kaje einmal als normalen Schwerlasthafen benutzt?

Es ist eine Schwerlastkaje für die Offshore-Windindustrie. Sie ist schwerlastfähig, weil die Fundamente und Gondeln, die dort umgeschlagen werden sollen, ein entsprechendes Gewicht haben. Wir müssen begründen, warum es einen Bedarf für den Hafen gibt und der Natureingriff gerechtfertigt ist, und diese Begründung leitet sich ausschließlich und eindeutig aus der Offshore-Industrie ab.

Angenommen, Sie bauen den OTB, und wenn er fertig ist, gibt es in Bremerhaven keine Windkraftindustrie mehr – was dann?

Das wird nicht passieren. Ich habe Ihnen ja beschrieben, wie sich der Offshore-Markt in den kommenden Jahrzehnten entwickeln wird. An diesem Bedarf orientiert sich der Bau des Hafens. Wenn der OTB fertig ist, haben wir einen Offshore-Hafen und 300 Hektar Gewerbefläche auf der Luneplate. Das Risiko ist genau umgekehrt. Wenn wir den Hafen nicht bauen, dann verspielt Bremerhaven mittelfristig seine wirtschaftlichen Chancen in dieser Zukunftsindustrie.

Sie haben keinen Plan B, gerade auch fürs Gewerbegebiet? Zumal es ja auch politische Unwägbarkeiten gibt. Nicht nur bei den Grünen, sondern auch in der SPD-Fraktion sind einige vom OTB nicht mehr überzeugt.

Das Gegenteil ist der Fall. Der OTB wird massiv politisch unterstützt. Ich kenne kein Infrastrukturprojekt, das von einer so breiten Mehrheit in der Bürgerschaft getragen wird. Es gibt eine Zustimmung von ungefähr 80 Prozent, auch die Koalition ist dafür, die Opposition von der CDU ist dabei. Ich bin davon überzeugt, dass dieser politische Rückhalt am Ende dazu beiträgt, dass wir dieses Projekt zum Erfolg führen.

Bei Ihrem Koalitionspartner hat man zunehmend das Gefühl, dass er aus dem Projekt aussteigt.

Ich halte mich an die Fakten. Es gibt eindeutige politische Beschlüsse zum Offshore-Terminal. Der Bürgermeister hat ein klares Wort dazu gesagt. Man kann sich natürlich einen Wecker stellen und alle paar Monate die gleiche Diskussion führen. Wir kommen dabei immer zu den gleichen Ergebnissen, weil die Ausgangslage die gleiche ist. Der OTB ist die zentrale strukturpolitische Entscheidung für Bremerhaven. Deshalb muss der OTB gebaut werden.

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich der Senat vor Gericht durchsetzt?

Ich bin auch Justizsenator, und ich habe ein hohes Vertrauen in die Unabhängigkeit der Gerichte. Ich finde, dass wir viele gute Argumente haben – gute Argumente im Eilverfahren, wo wir ja auch das Bundesministerium und die Schifffahrtsverwaltung auf unserer Seite haben. Wir sind gut vorbereitet, zum Beispiel bei der Prognose, welchen Umschlag wir erwarten können.

Das klingt nicht besonders zuversichtlich.

Doch. Ich bin durchaus zuversichtlich. Aber die grundsätzlichen Probleme bei der Planung und Realisierung von Infrastrukturprojekten gehen ja weit über den OTB hinaus. In Deutschland wird ziemlich jedes große Vorhaben beklagt und damit in die lange Schleife geschickt. Das gefährdet wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze. Wir brauchen den Offshore-Terminal auch dazu, die immer noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit in Bremerhaven zu bekämpfen und weitere Perspektiven für die Stadt zu schaffen. Diese Perspektiven muss man aus Bremen heraus schaffen. Die leichte Arroganz, mit der manche in Bremen auf Bremerhaven blicken, steht uns als Bundesland nicht gut an. Und es wäre falsch, das Potenzial, das in der maritimen Wirtschaft, in der Wissenschaft und im Tourismus steckt, nicht konsequent weiter zu stärken.

Gönnen die Bremer den Bremerhavenern diesen Hafen nicht?

Wenn man klug ist, investiert man in Wirtschafts-Infrastruktur. Das gilt für die Stadt Bremen, für das Güterverkehrszentrum, für die Hansalinie, die Überseestadt, den Europahafen, die Airport-Stadt, den Technologiepark – es gilt aber genauso für Bremerhaven. Wenn man sich wegen der 60 Kilometern Distanz zwischen den Städten dafür nicht interessiert, koppelt man nicht nur Bremerhaven ab, sondern gefährdet auch den Lebensnerv Bremens. Und der Lebensnerv ist auch künftig der Hafenumschlag.

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