Berlin. Die Europäische Kommission greift erneut wegen zweifelhafter Steuerdeals zwischen EU-Mitgliedstaaten und international operierenden Großkonzernen ein. Am Mittwoch verdonnerte die Brüsseler Behörde das Großherzogtum Luxemburg, vom US-Internethändler Amazon Steuervergünstigungen in Höhe von rund 250 Millionen Euro zurückzufordern. Gleichzeitig zerrt die Kommission die Republik Irland vor den Europäischen Gerichtshof, weil sich die Regierung in Dublin weigert, vom Technologiekonzern Apple Steuervorteile in Höhe von 13 Milliarden Euro zurückzuverlangen.
Wie EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager mitteilte, konnte Amazon aufgrund spezieller Absprachen mit dem luxemburgischen Fiskus und einer besonderen Firmenkonstruktion über Jahre hinweg seine Steuerlast in Europa massiv drücken. Fast drei Viertel der Gewinne, die der Internethändler in der gesamten EU erzielte, seien dadurch steuerfrei geblieben.
„Mit anderen Worten zahlte Amazon nur ein Viertel der Steuern, die andere lokale Unternehmen entrichten mussten, obwohl sie den gleichen nationalen Steuerregeln unterliegen“, sagte Vestager. Dies sei nicht mit EU-Wettbewerbsregeln vereinbar. „Die Mitgliedstaaten dürfen multinationalen Konzernen keine selektiven Steuervergünstigungen gewähren, die anderen Unternehmen nicht zur Verfügung stehen.“
Von Luxemburg aus gesteuert
Amazon steuert sein gesamtes Europageschäft von Luxemburg aus. Kauft also etwa ein deutscher Kunde ein Buch oder eine CD bei dem Online-Händler, entstehen in Luxemburg die Umsätze und Gewinne. Im konkreten Fall geht es um den Zeitraum von Mai 2006 bis Juni 2014. Während dieser Zeit nutzte Amazon zwei Gesellschaften, um seine Steuerlast mit Billigung der lokalen Behörden kleinzurechnen. Den Betrieb der Handelsplattform erledigt die Firma Amazon EU, die auch Vertragspartnerin der Kunden ist. Daneben gibt es eine Firma namens Amazon Europe Holding Technologies, welche laut EU-Kommission „weder Mitarbeiter noch Büroräume hat noch Geschäftstätigkeiten ausübt“. Die Holdinggesellschaft erteilte der Betriebsgesellschaft Amazon EU formal die Lizenz zur Nutzung von geistigem Eigentum des US-Mutterkonzerns, wofür Amazon EU nach Darstellung der Kommission im genannten Zeitraum überzogene Gebühren entrichtete. Diese fraßen auf dem Papier die Gewinne weitgehend auf. Die Betriebsgesellschaft unterliegt der luxemburgischen Körperschaftssteuer. Die Holding, die die Rechtsform einer Kommanditgesellschaft hat, aber nicht. Mitte 2014 änderte Amazon seine Geschäftsstruktur in Europa. „Die neue Struktur ist nicht Gegenstand der aktuellen Beihilfeuntersuchung der Kommission gewesen“, so die Behörde.
Der Fall Amazon ist deshalb so pikant, weil es hier um die Glaubwürdigkeit der gesamten EU-Kommission und ihres Präsidenten Jean-Claude Juncker geht. Juncker war vor seinem Wechsel nach Brüssel Ende 2014 viele Jahre lang Premier- und Finanzminister in Luxemburg. Bei Übernahme des Kommissions-Chefsessels hatte er versprochen, sich fortan mit Verve für Steuergerechtigkeit in Europa einzusetzen und sich gegen einen unfairen Standort-Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zu stemmen.
Wettbewerbskommissarin Vestager knöpfte sich daraufhin im Laufe der Jahre diverse Mitgliedstaaten und Großkonzerne vor. Im Oktober 2015 kam sie zu dem Schluss, dass Luxemburg und die Niederlande der Kaffee-Kette Starbucks beziehungsweise dem Autokonzern Fiat unzulässige Steuervorteile gewährt hatten. Im Januar 2016 bekrittelte die Kommissarin, dass Belgien mit insgesamt 35 multinationalen Konzernen Sonderabsprachen getroffen hatte. Zwei weitere laufende Verfahren betreffen den Umgang der Luxemburger Behörden mit der Fast-Food-Kette McDonald’s und dem Energiekonzern GDF Suez (heute Engie).
Im August 2016 hatte die EU-Kommission auch den Mitgliedstaat Irland aufgefordert, unrechtmäßige Steuervergünstigungen in Höhe von bis zu 13 Milliarden Euro von Apple zurückzufordern. Am Mittwoch nun gab die Brüsseler Behörde bekannt, dass sie die irische Regierung jetzt auf dem Rechtsweg zwingen will, diesen Beschluss auch umzusetzen. Wettbewerbskommissarin Vestager beklagte, dass Irland das Geld bislang „nicht einmal teilweise“ zurückgefordert habe. Deshalb sehe man sich jetzt gezwungen, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit dem Fall zu befassen.