Auf dem früheren Friedhof an der Reitbrake häufen sich die Skelettfunde. Wie das Kulturressort mitteilt, sind kurz vor dem geplanten Ende der Grabungen zwei weitere, größere Gruppengräber mit mehreren Skeletten lokalisiert worden. Auf die menschlichen Überreste stießen die Archäologen Ende August und Anfang September im letzten Grabungsabschnitt. Damit erhöht sich die Zahl der bislang aufgefundenen Skelette auf mindestens 60. Das Ziel, die Grabungen bis Ende Oktober zu beenden, kommt nach Behördenangaben durch die neuerlichen Funde nicht ins Wanken. Zwar würden sich die Arbeiten „ein wenig nach hinten verschieben“, sagt Werner Wick, Sprecher des Kulturressorts. Bis Ende Oktober sei aber mit dem endgültigen Abschluss zu rechnen.
Geringer ist die Anzahl der geborgenen Skelette. Seit Beginn der archäologischen Nachforschungen auf dem ehemaligen Friedhof für sowjetische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter im August 2021 wurden 27 Skelette exhumiert. Ihre Identifizierung ist laut Wick noch im Gange. Nach Angabe von Landesarchäologin Uta Halle wurden mehr als 170 Erkennungsmarken zutage gefördert, davon habe man 126 zuordnen können. Zudem sei ein Grab mit mehr als 700 Knochenfragmenten von fünf Individuen entdeckt worden. Halle zufolge handelt es sich vermutlich um Zwangsarbeiter, die am 26. September 1944 bei einem Bombenangriff auf die Borgward-Werke umgekommen sind.
Das Kulturressort zeigt sich von den jüngsten Skelettfunden nicht überrascht. „Der neuerliche Fund bestätigt im Grunde genommen die Feststellung vom Sommer 2021 nach den ersten Funden von Einzelknochen und vereinzelten ganzen Skeletten, dass es sich im Jahr 1948, als die Kriegsgräberstätte aufgelöst wurde, leider um eine nicht vollständige Exhumierung und Umbettung der Verstorbenen handelt“, sagt Wick. Damals wurden insgesamt 446 Leichen geborgen und auf dem Osterholzer Friedhof als zentraler Gedenkstätte für Kriegsopfer abermals bestattet. Nach einer Polizeieinschätzung vom Mai 1946 könnten aber rund 750 Menschen an der Reitbrake begraben worden sein.
Vermutlich liegen einige der Vermissten in den beiden zuletzt entdeckten Gruppengräbern. Zur genauen Anzahl der neu aufgespürten Skelette will sich Wick nicht äußern. Es brauche noch etwas Zeit, um sie bestimmen zu können. Erst nach der Bergung seien gesicherte Erkenntnisse möglich. Die Zahl von mindestens 60 bislang aufgefundenen Skeletten nannte Halle am Dienstag in der Kulturdeputation. Das ist deutlich mehr, als nach den ersten Grabungsmonaten zu erwarten gewesen wäre. Zunächst kamen nur Knochenfragmente und ein Schädel ans Licht. Die ersten vollständigen Skelette tauchten erst im Januar 2022 auf, damals waren es neun.
Mit Genugtuung reagiert das Bremer Friedensforum auf die neuen Funde. Zusammen mit der Bürgerinitiative Oslebshausen und umzu hatte das Friedensforum die Grabungen angestoßen. „Wir wurden zu Beginn unserer Informationen im Februar 2021 doch arg belächelt“, sagt Forumsprecher Ekkehard Lentz. Der 67-Jährige erinnert daran, dass Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) noch im November 2021 durch Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz habe erklären lassen, nur ein gefundenes Skelett werde die Lage verändern.
Diesen Zeitpunkt hält Lentz längst für gekommen. Zum wiederholten Mal fordert er, die Grabungen auszudehnen, sie müssten „dringend auch außerhalb des sogenannten Kernfriedhofs“ vonstattengehen. Der Friedhof habe eine Größe von 20.000 Quadratmeter, bisher seien aber nur die 3500 Quadratmeter des Kernfriedhofs untersucht worden. Landesarchäologin Halle begründet die Beschränkung auf 3500 Quadratmeter mit alliierten Luftbildern. Die Bezeichnung „Kernfriedhof“ sieht sie kritisch, damit werde suggeriert, dass es einen größeren Bereich gebe. Bei den 20.000 Quadratmetern handele es sich jedoch lediglich um die in Kriegszeiten festgelegte, maximale Ausdehnungsfläche des Friedhofs.
Wick kündigte an, nach Ende der Grabungen werde die Öffentlichkeit über den Schlussstand der Funde informiert. Einen weiteren Zwischenbericht legte Halle in der Kulturdeputation vor. Der stellvertretende Sprecher der Kulturdeputation, Claas Rohmeyer (CDU), hatte sie darum gebeten.
Keine Bestätigung gibt es für Spekulationen, ukrainische Angehörige lehnten die gemeinsame Beisetzung ihrer Toten mit russischen Kriegsopfern ab. Entsprechende Äußerungen waren auf der Sitzung des Gröpelinger Beirats am vergangenen Mittwoch zu hören gewesen. „Diese Aussage können wir nicht bestätigen“, sagt Wick. Auch das Generalkonsulat der Ukraine in Hamburg erklärte, keine Kenntnis von solchen Informationen zu haben.
Wo die geborgenen Skelette ihre letzte Ruhe finden werden, ist noch nicht abschließend geklärt. Der Senat hat sich mit russischen und ukrainischen Stellen darauf verständigt, erst nach Abschluss der Grabungen eine gemeinsame Entscheidung zu treffen. Bovenschulte favorisiert den Osterholzer Friedhof als Ruhestätte, flankiert durch einen Gedenkort an den Vernichtungskrieg im Osten. Friedensforum und Bürgerinitiative plädieren dagegen für eine Mahn- und Gedenkstätte vor Ort in Oslebshausen. Durch die Pläne für eine Bahnwerkstatt auf dem früheren Friedhofsgelände hat die Debatte eine zusätzliche Brisanz erhalten.