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Ausstellung "So wie wir sind" Weserburg krempelt die Sammlung wieder um

Die Weserburg erneuert ihre Dauerausstellung zum fünften Mal komplett. Worum es in Themenbereichen wie "Geschichtliche Identität", Deutschlandbilder", "Zeit" und "Alltag" geht.
21.09.2023, 16:33 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Der traurige Teddy ist noch da. Nur hockt der riesige Bär, den Sejla Kameric aus alten Pelzmänteln geknüpft hat, jetzt völlig elend an der Wand gegenüber. In seiner alten Ecke türmt sich ein Haufen Daunenfedern. Petrit Halilaj aus dem Kosovo hatte das Museumsteam angewiesen: Die Federn mussten aus einem Kissen stammen, auf dem zuvor jemand Geliebtes geschlafen hat – eine Restauratorin hatte da zum Glück jemanden an der Hand. Aufgeschichtet wurden die Federn in der Art der bunten Bonbons, die Félix González-Torres seinem an Aids gestorbenen Partner gewidmet hatte. Nur erinnern die Daunen auch daran, wie viele Gänse für ein einziges Kissen gerupft werden müssen. "Ist es Liebe?" – im Titel des Raums schwingen Zweifel mit.

Zum fünften Mal seit 2019 haben Direktorin Janneke de Vries, Kurator Ingo Clauß und ihr Team die Dauerausstellung der Weserburg komplett umgekrempelt, haben spannende neue Themenbereiche geschaffen. 120 Werke von 100 Künstlern, aus 30 Sammlungen zur Verfügung gestellt, gibt es unter dem Titel "So wie wir sind" neu zu entdecken: "Das Konzept hat sich bei Sammlern und Besuchern etabliert, sogar Museen aus dem Ausland fragen an", weiß de Vries. Denn nichts sei so schlecht besucht wie Dauerausstellungen, die sich nie wandeln. Allerdings: "2500 Quadratmeter zu 80 Prozent neu zu gestalten – danach ist man immer urlaubsreif", bemerkt de Vries. Deshalb wird man künftig kontinuierlich einzelne Räume verändern. Ein paar Bereiche fallen sofort auf:

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Drei Räume mit Landschaften: Der Bereich "Politische Landschaften" im ersten Stock verweist auf den Nahost-Konflikt. Santiago Serra, der einst eine Synagoge mit Autoabgasen füllte, hat hier Steine aus der heiligen Stadt Jerusalem in einen Gitterkorb gefüllt. Wer wirft den ersten? Ariel Reichman malt mit den Farben von den Schulterstücken israelischer Soldaten ein Panorama. Wem gehört das Land?

Die "Überformung von Landschaften" nimmt bei Julius von Bismarck extreme Formen an: Er malt Natur nicht, er bemalt sie. In einem 30-Minuten-Film sieht man, wie er einen ganzen Steinbruch mit einem Linienmuster vollpinselt. Ein Foto zeigt dann die fertig angemalte Landschaft. Victoria Binschtok hingegen setzt einen Sonnenuntergang aus Farbkarten zusammen.

Die "Kontemplativen Landschaften" werden an der Wand beherrscht vom riesigen "Cosmos"-Bild der Schweizerin Valérie Favre, auf dem Boden von 170 Aluminiumkästen mit industriell gefertigten Backsteinen, die das Meer der dänischen Insel Mön zu Handschmeichlern abgeschliffen hat. Die Arbeit des 2020 gestorbenen Stuttgarters Paul Pfarr wurde im letzten Moment vor der Entsorgung gerettet. Daneben schwebt ein "Kompass"-Mobile von Olafur Eliasson, das exakt nach Norden weist.

"Zeit" und "Alltag": Im Bereich "Zeit" tickt nicht nur Horst Müllers Doppeluhr, hier bilden auch das abgebrannte Streichholz in Bronze und das romantische Gemälde der drei erloschenen Kerzen – beide vom Engländer Gavin Turk – ein sinniges Doppel. Nebenan im "Alltag" könnte Mona Hatoums Hängematte zum Verweilen einladen, doch sie ist unbenutzbar. Gegenüber hängt schon der Strick dreier Fluxuskünstler. Der Flaschenhalter, Marcel Duchamps Ready-made von 1914, darf als Urahn aller Alltagskunst ebenso wenig fehlen wie Andreas Slominskis Staubtücher. Besonderer Blickfang in einer Nische ist der ausgestopfte Wellensittich Hansi, der kopfsteht: Via Lewandowsky nimmt deutsches Spießertum und falsch verstandene Tierliebe aufs Korn. 

"Deutschland-Bilder": Der zweite Stock beginnt politisch. Neben dem deutschen Wald, dessen Flair Sabine Hornig in einer Vitrine konserviert, verweist Larissa Fasslers Stadtplan vom Berliner "Kotti", dem Stadtviertel an der Kreuzung Kottbusser Tor, auf die große Zahl türkischer Einwanderer dort. Der zerdrückte Blechadler von Rahel Bruns befragt den Sinn von Nationalsymbolen – gegen den AfD-Politiker, der ein Exemplar des Adlers zum Symbol des deutschen Niedergangs umdeuten wollte, hat sie vor Gericht gewonnen.  

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"Geschlechtliche Identität": Aktfotos von David Hockney, Paul Mpagi Sepuya und Terike Haapoja erinnern daran, dass sich gerade Nacktheit und Sexualität eindeutigen Zuordnungen entziehen. Anna Uddenbergs monströser Sitz zwischen Bullenreiter, Gynäkologenstuhl und Karussell bringt männlich-weibliche Machtfragen ebenso ins Spiel wie die Aufschrift "BOSS*" der Bremerin Claudia Christoffel. Zum Frauenbild hat Marianna Simnett ein poetisches, KI-gestütztes Video entwickelt: Es handelt von der Göttin Athene, die sich eine Flöte schnitzte und beim Blasen hässlich fand.

Das Thema "Kulturelle Identität" schließt sich nahtlos an, etliche Bremer Künstler sind hier vertreten. Ein Stockwerk tiefer verdient auch der Bereich, der sich der Nichtfarbe "Schwarz" widmet und sehr unterschiedliche Positionen zusammenführt, unbedingt Aufmerksamkeit. Im Raum "Konzept Malerei" bündeln sich dann viele Ideen, die man schon vorher sah.

Wer dort Norbert Schwontkowski vermisst, darf beruhigt sein: Er hat weiter seinen eigenen Raum. Zum zehnten Todestag wird er mit Druckgrafik geehrt. Von seinem Freund Andreas Slominski, mit dem er 1994 gemeinsam den Kunstpreis des Landes Bremen erhielt, steht aber nun eine Krähenfalle im Raum. Auf die Fallen der Wahrnehmung verstanden sich ja beide Künstler. Also Augen auf, die Weserburg macht wieder anregende Gedankengänge möglich.

Info

Die Dauerausstellung wird am 22. September um 19 Uhr eröffnet. Für Kinder uinter 18 Jahren gibt es zur Schau kostenlos einen Comic von Max Baitinger (Erwachsene zahlen 2,50 €).

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