Am liebsten, sagt Mihdiye Akbulut, am liebsten würde sie am 1. Juni ein paar Politiker ins Mütterzentrum nach Tenever einladen. „Ich würde sie dann an die Eingangstür stellen, damit sie den Leuten erklären können, warum wir unser Angebot reduzieren müssen und warum Kollegen ihren Job verloren haben“, sagt die resolute Frau.
Mihdiye Akbulut ist pädagogische Mitarbeiterin im Mütterzentrum Osterholz-Tenever. Hier schlägt das soziale Herz von Tenever, könnte man sagen. Hier können Menschen mit wenig Geld günstig essen und günstig Klamotten einkaufen. Hier lernen Geflüchtete die deutsche Sprache, hier zeigt man ihnen, wie die deutsche Bürokratie tickt, und hier hilft man ihnen, sich für den Arbeitsmarkt fitzumachen.
Aber jetzt ist die Sorge groß, dass vieles davon bald ein Ende haben könnte. Die Bundesregierung hat die Ausgaben für Integrationskurse um fast 500 Millionen Euro gekürzt. Das Jobcenter in Bremen kann, weil der Bund auch hier Mittel gestrichen hat, in diesem Jahr nur noch 491 von 876 der früheren Ein-Euro-Jobs finanzieren, die heute Arbeitsgelegenheiten (AGH) heißen. Außerdem läuft nach drei Jahren turnusgemäß die Förderung eines Programmes aus, das sich „Qualifizierung rund um den Job“ nennt und 26 Stellen betrifft.

Die Finanzierung der Stelle von Mihdiye Akbulut ist noch bis Ende Mai gesichert. Solange gibt sie Frauen mit Migrationshintergrund Tipps im Alltagstraining.
„Das trifft uns gerade alles geballt“, sagt Mihdiye Akbulut. Im Mütterzentrum stehen 23 AGH-Stellen auf der Kippe. Sie selbst und 25 andere Kollegen werden noch bis zum 31. Mai aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds ESF bezahlt. „Aus fachlicher Sicht ist das ein absolut sinnvolles Programm“, heißt es dazu aus dem Arbeits- und Sozialressort. Neue EU-Mittel werde es trotzdem nicht geben. Dafür kämen unter Umständen aber andere Fördertöpfe mit Bundesmitteln infrage, heißt es aus der Behörde weiter. Die Aussichten, sich erfolgreich darauf zu bewerben, schätzt das Ressort als gut ein.
- Sehen Sie auch unser Video: Mihdiye Akbulut führt durch "ihr" Tenever
Mihdiye Akbulut und ihre 25 Kollegen wollen sich darauf nicht verlassen. Sie haben sich bereits arbeitssuchend gemeldet. Für Akbulut steht fest: „In der bisherigen Form wird es nicht weitergehen. Hier werden Leute am 1. Juni vor verschlossenen Türen stehen.“
Die Kinder- und Jugendfarm in Habenhausen, der Verein Blaue Karawane in Walle, die Aufsuchende Altenarbeit in Hemelingen oder das Familienzentrum Mobile – die Liste derjenigen, die von Kürzungen im sozialen Bereich betroffen sind, ist noch sehr viel länger. Der WESER-KURIER hat exemplarisch einen Tag im Mütterzentrum in Osterholz-Tenever verbracht, um mit den Menschen zu sprechen, die dort arbeiten, Hilfe anbieten und selbst Unterstützung finden.
Sprachkurse
Janella möchte gern Arzthelferin werden. Precious kann sich gut vorstellen, als Notfallsanitäterin zu arbeiten. Eduard ist Elektro-Ingenieur und sucht eine Stelle. Damit sie ihre Ziele erreichen können, müssen sie gut Deutsch sprechen können. An diesem Vormittag sitzen Janella, Precious und Eduard mit acht anderen Migranten im Deutschkurs von Anette Schlichte im Schulungsraum 2.
Heute geht es um bestimmte und unbestimmte Artikel. Die Lehrerin hat Übungsblätter verteilt, Lektion 4, Grammatik und Wortschatz. Ein Lückentext: Heißt es „Niko hat eine Wohnung in München“ oder „Niko hat die Wohnung in München“? Einer nach dem anderen liest vor. Anette Schlichte lobt, korrigiert, erklärt.
Der Kurs ist an diesem Montag in die dritte Woche gestartet. Von 9 bis 12.30 Uhr, vier Tage lang, kommen die Schüler jetzt bis Herbst zusammen. Am Ende legen sie eine Prüfung ab. Ziel ist das sogenannte B1-Zertifikat, das „ausreichende Deutschkenntnisse“ bescheinigt. Der Deutschunterricht ist Teil des obligatorischen Integrationskurses, der 900 Stunden umfasst, 600 davon, um die Sprache zu lernen.
Der Spracherwerb ist in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten. Laut Bundesamt für Migration schaffen 56 Prozent der Teilnehmer am Ende die B1-Prüfung, für 33 Prozent reicht es nur für eine A2-Bescheinigung, die für qualifizierte Berufe aber zu wenig ist. Experten zufolge kommt diese Quote zustande, weil die Kurse sehr heterogen zusammengesetzt sind und die Anforderungen damit für viele zu hoch.
Die Teilnehmer am Sprachkurs von Anette Schlichte kommen unter anderem aus der Ukraine, Spanien, Syrien, Afghanistan, Irak und der Dominikanischen Republik. Manche haben Ausbildungen und qualifizierte Schulabschlüsse. Manche sind nur wenige Jahre überhaupt zur Schule gegangen. Ihnen allen gerecht zu werden, sei eine große Herausforderung, sagt Schlichte.
Umso weniger versteht sie, dass die sogenannten Wiederholungsstunden wegfallen sollen, mit dem die Schüler bisher einen zweiten Anlauf zum B1-Abschluss nehmen konnten. „Wir reden von Fachkräftemangel“, sagt die Lehrerin, „und vor mir sitzen Menschen, die in den Arbeitsmarkt wollen. Ich frage mich: Wie soll das gehen, wenn wir ihnen dafür nicht das Rüstzeug geben? Die deutsche Sprache.“
P2, die Secondhand-Tauschbörse
Christina Myles hat einen ganzen Sack voll Klamotten mitgebracht, Hemden in allen Farben und Größen, Pullover, Hosen, Mäntel. „Für diesen Mantel“, sagt sie und faltet ihn auseinander, „für diesen Mantel können wir 25 bis 30 Euro veranschlagen.“ So gut sieht das Stück noch aus. Die Kleidung, die mehrere Frauen an diesem Vormittag sortieren, ist für eine besondere Aktion gedacht. Die Erlöse aus diesem Verkauf gehen ins afrikanische Kokoben. Dort unterstützt die Ghana AG des Mütterzentrums Brunnen- und Schulbauprojekte.
Aktuell könnte das P2, die Secondhand-Tauschbörse im Mütterzentrum, selbst gut Hilfe gebrauchen. Fünf AGH-Stellen laufen hier zum 31. Juli aus. Niemand weiß, ob Aussicht auf Verlängerung besteht. Christina Myles hat das alles schon einmal mitgemacht. Bis Ende des vergangenen Jahres war sie mit 32,5 Stunden im Mütterzentrum beschäftigt, dann wurde ihre Stelle reduziert. Ihr Glück: Sie fand eine neue Stelle im Haus, finanziert aus dem EU-Sozialfonds. Ihr Pech: Diese Förderung läuft Ende Mai schon wieder aus. „Wir, die im sozialen Bereich arbeiten, sind es gewohnt, dass für Stellen immer wieder neue Finanzierungen gefunden werden müssen“, sagt Myles, „aber so unsicher wie jetzt war es noch nie. Die Luft für soziale Projekte wird immer dünner.“
Das Schicksal der Beschäftigten ist die eine Seite, die Folgen für die Kunden die andere. Vor dem P2 stehen Ständer mit Winterjacken und Kindersachen, Hosen und Hemden, Pullis und Röcken, jedes Stück für ein Euro. „Für viele unserer Kunden ist dieser Laden die einzige Möglichkeit, sich neu einzukleiden“, sagt Myles. Die Einkaufszentren im Weserpark oder in der Berliner Freiheit, beide nicht sehr weit weg, seien keine echte Alternative, sagt eine Kundin, die draußen an den Kleiderständern nach einem Schnäppchen für ihre Tochter sucht. Christina Myles wagt eine düstere Prognose: „Hier droht eine ganze Infrastruktur wegzubrechen.“
Café Gabriely
Den Gemüsereis mit Hähnchenschenkeln nach italienischer Art für sechs Euro, mit Kundenkarte sogar für nur 3,50. Grünkohl mit Kasseler, Mettwurst, Pinkel und Salzkartoffeln für neun Euro, mit Kundenkarte für sieben. Das Café Gabriely ist an diesem Vormittag gut besucht. Eine Schwimmgruppe, bestimmt zehn, zwölf Personen stark, hat sich nach dem Frühsport zum Frühstück verabredet. Vier Damen warten darauf, dass es Zeit für den Mittagstisch wird.
„Wir haben hier sehr viele Stammkunden“, sagt Zahra Zand, die als sogenannte Anleiterin im Café Gabriely arbeitet. Für vergleichsweise kleines Geld ein leckeres Mittagessen zu bekommen, das spricht hier viele Einwohner an. 10.000 Menschen leben in Tenever, aus 90 Nationen kommen sie. „Günstiger als hier bekommen Sie bei uns im Stadtteil kein Mittagessen“, sagt eine ältere Dame, die sich das Tagesgericht bestellt hat. Christina Myles, die hier regelmäßig zu Mittag isst, sagt: „Treffpunkte und Angebote wie das Café Gabriely oder die Tauschbörse sind wichtig für den sozialen Frieden im Stadtteil.“

„Wenn es nicht weitergeht, bin ich nach 22 Jahren im Mütterzentrum arbeitslos“, sagt Zahra Zand, die als Anleiterin im Café Gabriely arbeitet.
Zwei Kräfte auf AGH-Basis im Service und drei Kräfte auf AGH-Basis in der Küche sorgen dafür, dass der Laden läuft. Aber wie lange noch? Die Öffnungszeiten mussten sie schon reduzieren, weil Förderungen ausgelaufen sind. Statt wie früher um 18 Uhr machen sie jetzt schon um 14 Uhr zu. Nur noch eine statt zwei Schichten sind besetzt, Zand hat ihre Arbeitszeit von 38 auf 30 Stunden reduzieren müssen, nachdem auch sie im vergangenen Jahr beinahe hätte gehen müssen. Jetzt könnte Ende Juli Schluss sein. „Wenn es nicht weitergeht, bin ich nach 22 Jahren im Mütterzentrum arbeitslos“, sagt die Frau, die einst aus dem Iran nach Bremen gekommen ist.
Café Q und das Eastside
Jetzt hat Mariam Tarraf Zeit für ein Gespräch. Sie hat gerade zwei alleinerziehenden Müttern dabei geholfen, Anträge auszufüllen. Einmal ging es ums Arbeitslosengeld, einmal um einen Sprachkurs. „Beide Frauen wollen arbeiten“, sagt Tarraf. Sie will als Beraterin und Sprachmittlerin, wie es heißt, dabei helfen. Sie kenne mehr als 600 Familien hier, sagt Tarraf. Mit Unterbrechungen seit über 20 Jahren engagiert sich die gebürtige Libanesin im Mütterzentrum. Auch ihre Stelle läuft zum 31. Mai aus.

Als Mariam Tarraf vor über 30 Jahren aus dem Libanon nach Bremen kam, war das Mütterzentrum einer ihrer ersten Anlaufpunkte. Heute berät sie in Berufs- und Behördenfragen und hilft beim Lernen der deutschen Sprache.
In der Vergangenheit hat sie immer wieder etwas Neues gefunden, hat unter anderem als Dolmetscherin an einer Schule übersetzt, sich als Fachkraft um das Thema Inklusion gekümmert, geholfen, eine Flüchtlingsunterkunft zu leiten. Während Corona wirkte sie als sogenannte Gesundheitsmediatorin im Stadtteil. Diejenigen, die zu ihr ins Café Q kommen, tun sich schwer, in der Arbeitswelt Fuß zu fassen. „Wir helfen ihnen, die ersten Schritte zu gehen“, sagt Tarraf.
Hilfe hat auch Andi im Mütterzentrum gefunden. Er sitzt eine Etage tiefer am PC. Andi arbeitet im Eastside, dem Internet-Café. Er pflegt Daten in Tabellen ein, scannt, hilft Kunden beim Kopieren oder beim Bedienen der technischen Geräte. 30 Stunden macht er hier, stockt auf diese Weise sein Bürgergeld um 60 Euro die Woche auf. Vorher hat er sieben Jahre lang die Straßenzeitung verkauft. „Der Job hier hat mir geholfen, von der Straße wegzukommen und in die Arbeit hineinzufinden“, sagt er. Auch seine Stelle, vom Jobcenter finanziert, ist befristet.

Andi arbeitet im Internetcafé Eastside. Hier stockt er mit 30 Stunden die Woche sein Bürgergeld auf.