Die SPD auf Talfahrt, die Regierungsmehrheit futsch, die Zustimmung für den Bürgermeister gefallen. Sehr viel schlechter hätte die Umfrage zur Stimmung ein Jahr vor der Wahl nicht ausfallen können, oder?
Carsten Sieling: Natürlich sind das keine Ergebnisse, die mir Freude bereiten. Sie zeigen vielmehr, was wir noch leisten müssen. Der SPD-Wert entspricht etwa dem bei der Bundestagswahl. Bei der Bürgerschaftswahl werden wir wieder stärker sein.
Weshalb hat sich Ihre Partei denn im letzten halben Jahr nicht erholt?
Man muss sich klar machen, aus welcher Situation wir kommen. Als ich 2015 Bürgermeister wurde, hat mir jeder gesagt, dass wir die Konsolidierung der Landesfinanzen nicht schaffen. Alle meinten: Die Schuldenbremse haltet ihr nie ein, und was 2020 kommt, das weiß auch niemand. Daher mussten wir, um dieses in unserer Verfassung verankerte Ziel zu erreichen, weitere unpopuläre Maßnahmen ergreifen. Heute stehen wir dafür aber deutlich besser da. Wir sind an einer richtigen Zeitenwende. Wir sind nicht mehr der Schuldenweltmeister, haben den Bund-Länder-Finanzausgleich erfolgreich abgeschlossen und ab 2020 gut 500 Millionen Euro mehr im Haushalt.
Aber ganz offensichtlich honorieren die Wähler das bisher nicht, sonst wären die Zahlen nicht so grottenschlecht. Gegenüber der Wahl 2015 verlieren Sie derzeit über sechs Prozent.
Noch im vergangenen Jahr haben wir darum gekämpft, die Auswirkungen des jahrelangen Sparkurses in den Griff zu bekommen. Ich nenne nur die langen Wartezeiten im Stadtamt, die wir behoben haben, oder den Ganztagsschulausbau, den wir jetzt vorantreiben. Lange war unklar, ob wir den Haushalt 2018/19 meistern können. Auch das ist gelungen, und die Handlungsmöglichkeiten, die wir jetzt haben, die nutzen wir. Für den Bürgerservice, die Schulen und Kindergärten, für mehr Wohnungen und für Arbeitsplätze und eine starke Wirtschaft. Ich kann aber gut verstehen, dass viele sagen: Wir sehen davon noch zu wenig. In einigen Bereichen wird das auch noch etwas dauern, viele Verbesserungen laufen erst an.
Sie genießen offenbar keinen Amtsbonus als Bürgermeister, anders als viele Ihrer Vorgänger. Warum haben Sie es bisher nicht geschafft, sich einen solchen Bonus zu erarbeiten?
Die drei Jahre, in denen ich jetzt Bürgermeister bin, waren vor allem von den genannten Problemen geprägt. Wir haben Bremen natürlich einiges zumuten müssen. Das ist keine Zeit, in der Boni verteilt werden.
Profil und Respekt kann man sich durchaus auch als Krisenmanager verschaffen, der ein Gemeinwesen durch eine harte Zeit führt. Bei Ihnen klappt das aber nicht.
Ich bin sehr froh, dass uns die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen für Bremen so gut gelungen ist. Das war eine existenzielle Frage für unser Bundesland. Unsere Wirtschaft brummt, es sind viele neue Arbeitsplätze entstanden, und auch beim Ausbau von Kitas und Schulen ist Enormes geleistet worden. Aber ich verstehe absolut: Wenn jemand sich sorgt, ob er für sein Kind im Sommer den gewünschten Kindergartenplatz bekommt, dann ist das für eine Familie eine große Belastung. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an Lösungen.
Haben Sie sich angesichts der auf ganzer Linie schlechten Umfragewerte gefragt, ob Sie noch der Richtige für das Amt des Regierungschefs sind?
Ich mache jetzt seit fast 25 Jahren Politik für Bremen. In der Bürgerschaft, als Bundestagsabgeordneter und nun als Bürgermeister. Ich kenne die Probleme, die unser Land hat, sehr gut. Natürlich kommt der Wind von vorne. Ich bin viel unterwegs in unseren beiden Städten und erfahre dabei Unterstützung – sowohl von den Bürgern als auch aus meiner Partei.
Das ist Ihre subjektive Empfindung, aber die spiegelt sich nicht in den Zahlen.
Mir war von Beginn an klar, dass das kein Spaziergang wird, sondern eher ein Marathonlauf. Und wir sind jetzt mittendrin. Abgerechnet wird am 26. Mai nächsten Jahres. Und bis dahin werde ich weiterhin die Ärmel hochkrempeln, und wir werden unsere Hausaufgaben machen.
Bei den Sachthemen hat die Umfrage gezeigt, dass es nur zwei Felder gibt, auf denen der Senat mehr Zustimmung als Ablehnung erfährt: Stadtentwicklung und Flüchtlingsintegration. Auf wichtigen anderen Gebieten wie Verkehr, Wohnungsbau und Schule sind die Menschen mit den Ergebnissen wenig bis gar nicht zufrieden.
Wir haben die mit der starken Zuwanderung verbundenen Herausforderungen in der Tat in unseren beiden Städten gut gemeistert. Auf diese Solidarität und diesen Zusammenhalt können wir sehr stolz sein. Das ist bremisch im besten Sinne. Und auch in der Stadtentwicklung geht es voran, das kann man an vielen Orten gut sehen. Offensichtlich ist aber auch, dass wir dort noch stärker überzeugen müssen, wo wir noch mitten auf der Strecke sind.
Im Wohnungsbau haben wir deutlichen Nachholbedarf. Mit über 2000 neuen Wohnungen pro Jahr sind wir zwar auf dem richtigen Weg, aber selbstkritisch muss man sagen, dass wir zu spät damit angefangen haben. Und zum Verkehr: Wenn man das wirtschaftsstärkste Bundesland ist und ein boomender Logistikstandort, dann ist der Verkehr immer eine Herausforderung, aber eben auch Ausdruck einer pulsierenden Stadt.
Die schlechtesten Noten verteilten die Umfrageteilnehmer für die Schulpolitik. Dort droht nach den Sommerferien der nächste große Ärger, wenn wegen der stark gestiegenen Schülerzahlen über 50 neue Klassen untergebracht werden müssen. Diese Herausforderung ist eigentlich kaum zu bewältigen.
Das ist in der Tat eine Riesenaufgabe, aber wir gehen auch das mit Hochdruck an. Und im Unterschied zu früher haben wir die finanzielle Ausstattung, um die notwendigen Investitionen zu tätigen. Wir haben gut 200 Millionen Euro zusätzlich für Bildung bereitgestellt.
Sie haben nicht genug Zeit, um dieses Geld in Klassenräume umzuwandeln, selbst wenn Sie auf Container zurückgreifen. Auch Mobilbauten müssen geplant und vorbereitet werden.
Wir haben gerade das größte Kita-Ausbauprogramm in der Geschichte des Landes realisiert, 27 Mobilbauten und hunderte neuer Plätze geschaffen. Den gleichen Kraftakt unternehmen wir nun im Schulbereich. Wir werden das stemmen, denn wir müssen die gesetzliche Schulpflicht erfüllen.
Im vergangenen Jahr haben Sie Ihre Zukunftskommission gestartet. Fachleute und Bremer Akteure sollen sich dabei auf Entwicklungsperspektiven und Leuchtturmprojekte für den Zwei-Städte-Staat verständigen. Nun zeigt sich: Die Zukunftskommission ist eher unbekannt, kaum jemand erwartet sich positive Impulse.
Ich möchte, dass wir uns schon heute Gedanken darüber machen, wie unser Land in 15, 20 Jahren aussehen soll. Bremen muss diese Chance ergreifen. Diesen Perspektivwechsel, diese neue Sicht auf die Dinge müssen wir uns erarbeiten. In den nächsten Monaten werden wir verstärkt öffentliche Veranstaltungen machen und im Herbst die Ergebnisse vorlegen. Die Debatte um die Zukunft unseres Landes muss dann fortgeführt werden – gerne auch im Wahlkampf.
Möglicherweise werden Sie an der Gestaltung dieser Zukunft nicht mehr beteiligt sein. Denn das ist ja gerade die Sorge mancher Ihrer Parteifreunde: Das zusätzliche Geld aus Berlin ab 2020, die Aufwertung der Innenstadt durch diverse Bauprojekte, die Vorschläge der Zukunftskommission – das alles klingt gut, liegt aber noch im Nebel, während die Gegenwart aus maroden Schulen und veralteter Infrastruktur besteht. Die Wähler messen Sie nächstes Jahr aber an der Gegenwart.
Klar ist, es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Ich werde 2019 für einen erneuten Regierungsauftrag werben und bin gespannt, welche Angebote andere den Bremerinnen und Bremern machen wollen.
Mal angenommen, die Bürger honorieren das nicht und die Zahlen der Umfrage bestätigen sich im Großen und Ganzen im Mai 2019. Würden Sie 26 Prozent für die SPD als Regierungsauftrag empfinden?
Sie sagen es, wir reden hier über eine Umfrage und ich werde meine Zeit jetzt nicht mit Spekulationen über mögliche Wahlergebnisse verschwenden. Ich werde dafür arbeiten, dass Bremen weiter gestärkt wird. Und ich bin sehr sicher: die SPD wird am 26. Mai 2019 die stärkste Partei in Bremen sein.
Ginge denn die Welt unter, wenn in Bremen nach 73 Jahren mal ein Senat ins Amt käme, der nicht von der SPD geführt wird?
Für die Menschen in Bremen wäre das schlecht. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben in unserem Bundesland den starken gesellschaftlichem Zusammenhalt, neue wirtschaftliche Kraft und vor allem wirklich lebens- und liebenswerte Städte geschaffen. Es ist gut für Bremen, wenn wir weiter in Verantwortung bleiben.
Sollte es für Rot-Grün 2019 nicht mehr langen: Was ist Ihre Präferenz: Erweiterung des Bündnisses um die Linken? Oder käme auch eine Große Koalition in Betracht?
Nochmal: Ich werde das verbleibende Jahr dafür nutzen, weiter eine erfolgreiche Politik für Bremen zu machen und damit auch die SPD zu stärken. Nach der Wahl schauen wir in Ruhe, was geht und wie wir Bremen weiter voranbringen. Mehr ist dazu heute nicht zu sagen.
Die Fragen stellte Jürgen Theiner.
Bei der Umfrage im Auftrag des WESER-KURIER kam heraus, dass viele Bremerinnen und Bremer die örtlichen Politiker nicht gut kennen. Wie sieht es bei Ihnen aus? Hier geht es zum Quiz.
Carsten Sieling (59)
ist seit Juli 2015 Bürgermeister. Von 2005 bis 2009 war der promovierte Ökonom Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion und anschließend bis zu seinem Wechsel ins Rathaus Mitglied des Bundestages. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.