Der eine ist mehr als 20 Jahre als Kapitän zur See gefahren, der andere hat diesen Weg noch vor sich und träumt von der großen weiten Welt. Beide wohnen sie auf dem Seefahrtshof in Bremen-Grohn und wenn es die Zeit zulässt, so wie an diesem Tag, dann sprechen sie über ihre gemeinsame Leidenschaft. Klaus Müller, 87 Jahre alt, erzählt dann von seiner Zeit auf dem Meer, von Großseglern wie der "Alexander von Humboldt" und Ejike Emmanuel Nwoye, 30, hört gebannt zu und malt sich aus, wie sein Leben als Kapitän wohl sein wird.
In den acht Häusern auf dem Seefahrtshof leben unter anderem Kapitäne, ihre Ehefrauen, Witwen und andere Seeleute, die in Not geraten und dadurch bedürftig geworden sind. Unterstützt werden sie von der Stiftung Haus Seefahrt, dem wohl ältesten Sozialfonds in ganz Europa. Die Spenden der Schaffermahlzeit, die in knapp zwei Wochen im Bremer Rathaus stattfindet, sind die wichtigste Einnahmequelle der Stiftung. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs leben vier ukrainische Seefahrerfamilien auf dem Gelände, zudem werden seit einigen Jahren Nautik-Studenten gefördert.

Der Zugang zum Seefahrtshof führt durch ein barockes Tor von 1665. Trotz Kriegsfolgen und verschiedener Umzüge ist es bis heute unversehrt geblieben.
Mehr internationale Studenten
Einige von ihnen sind extra aus dem Ausland nach Bremen gekommen. Mit dem rein englischsprachigen Studiengang "Ship Management – Nautical Sciences" an der Hochschule Bremen können sie direkt als Wachdienstoffizier in das Berufsleben starten. Auch Ejike Emmanuel Nwoye ist dafür vor einigen Jahren aus Nigeria nach Bremen gezogen. In seiner Heimat hat er bereits ein Geologie-Studium abgeschlossen und gearbeitet, doch sein Traum sei schon lange die Seefahrt gewesen. Zunächst hat ihn die Stiftung mit einem Stipendium unterstützt, vor zwei Jahren ist er dann in eine Zwei-Zimmer-Wohnung auf den Seefahrtshof gezogen. Bereut habe er diese Entscheidung nicht. "Der erste Eindruck von dem Gelände hat mich umgehauen. Ich habe gedacht, ich käme in ein Schloss", sagt er.
Der Zugang führt durch ein barockes Tor von 1665. Trotz Kriegsfolgen und verschiedener Umzüge ist es bis heute unversehrt geblieben. Dahinter verbirgt sich eine parkähnliche Anlage, am Rande steht ein großer Pavillon, an dem sich die Bewohner im Sommer zu Grillfesten versammeln. Die Wohneinheiten liegen oberhalb des Sperrwerks nahe der Lesum. Mittendrin steht das Versammlungsgebäude nebst Verwaltung und Archiv von Haus Seefahrt. Zentraler Raum ist der Wappensaal, dessen Wände die Wappen der Vorsteher, der Ober-Alten und der Verwaltenden Kapitäne seit 1586 die Wände zieren.
Andreas Mai ist seit 2021 Verwaltender Kapitän. Er begrüßt die Förderung der Studenten. Vier von ihnen wohnen aktuell auf dem Seefahrtshof, einige weitere werden mit einem Stipendium unterstützt und haben sich eine Wohnung in der Nähe der Hochschule gemietet, darunter seien junge Menschen aus Uganda, Ghana, Ägypten oder Syrien.
Wenn neue Bewohner einziehen, sei es üblich, dass die anderen sie begrüßen, erzählt Mai. Da werde etwa am Morgen nach dem Einzug eine Tasse Kaffee und ein Toast an die Tür gebracht. Diese Gastfreundschaft hat auch Nwoye erlebt. Er könne viel aus dem Austausch mit den ehemaligen Kapitänen ziehen. "Ich höre ihnen gerne zu und sie unterstützen uns Studenten, wenn wir beispielsweise einen Praktikumsplatz suchen", sagt der 30-Jährige.

Andreas Mai ist Verwaltender Kapitän von Haus Seefahrt.
Ein paar Mal im Jahr gibt es gemeinsame Essen – Grünkohl, Spargel oder Matjes. Die Schaffermahlzeit ist natürlich das größte, und längst nicht alle Bewohner des Seefahrtshofes dürfen daran teilnehmen. Ihr Höhepunkt folgt einen Tag später, beim sogenannten Prövenermahl in Grohn, wo es die gleichen Gerichte noch einmal gibt, und es in der Regel etwas ungezwungener als im Rathaus zugeht. "Prövener", so heißen die Bewohner seit uralten Zeiten. Die, die eine Gabe empfangen, heißt das übersetzt.
Altersarmut bei Kapitänen? Das kann schneller passieren, als man denkt. Dabei spielt vor allem die Ausflaggung deutscher Schiffe eine große Rolle. Wer unter ausländischer Flagge zur See fuhr, war nicht mehr verpflichtet, Sozialbeiträge zu zahlen. Viele haben sich das Geld dann erst einmal eingesteckt, anstatt sich privat abzusichern. Wer auf dem Seefahrtshof bedürftig ist, darüber hält man sich jedoch eher bedeckt. Einige der Bewohner zahlen zudem eine reguläre Miete.
"Es tut gut, mit den jungen Menschen zu reden"
Es gehe an diesem Ort auch nicht immer nur um Geld. "Bedürftigkeit hat viele Facetten", sagt Mai. Dazu gehöre Einsamkeit. Viele der Bewohner seien den Großteil ihres Lebens zur See gefahren. Darunter leide das soziale Umfeld. Die Bedeutung des Zusammenseins hätte deshalb einen großen Stellenwert, genauso wie die Mischung aus Jung und Alt – Mai nennt das Quartierswohnen. Man helfe sich gegenseitig. Während der Pandemie etwa hätten die Studenten Einkäufe für die älteren Bewohner erledigt.

Der berühmte Wappensaal von Haus Seefahrt. Dort zieren die Originalwappen der Vorsteher, der Ober-Alten und der Verwaltenden Kapitäne die Wände.
"Es tut gut, mit den jungen Menschen zu reden", sagt auch Klaus Müller. Zusammen mit seiner Frau ist er im Sommer 2016 auf den Seefahrtshof gezogen. Sein Zimmer hat er ein bisschen wie eine Bordkabine eingerichtet. Auf dem Regal an seinem Bett reihen sich Buddelschiffe aneinander. An der Wand darüber hängen alte Gemälde und Fotos von Schiffen, die Müller in seinem Leben etwas bedeutet haben. Für den Kapitän sind diese Überbleibsel die Verbindung zu seiner Vergangenheit.
Das alles liegt erst noch vor Ejike Emmanuel Nwoye. Er schreibt gerade an seiner Bachelorarbeit, im Anschluss will er sich bei Reedereien bewerben. Wenn alles nach Plan läuft, erhält er in zwei bis drei Jahren auf See sein Kapitänspatent und kann endlich seine eigenen Erfahrungen machen.