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Talentförderung Im Spagat zwischen Sport und Schule

Schulbildung im Gleichschritt mit Hochleistungssport: Was sich leicht formulieren lässt, lässt sich nicht so leicht umsetzen. Einige Beispiele aus der Sportbetonten Schule Ronzelenstraße zeigen es.
08.06.2023, 11:31 Uhr
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Im Spagat zwischen Sport und Schule
Von Olaf Dorow

Wie macht man den Champion von morgen? Dafür gibt es, zumindest hierzulande und glücklicherweise, noch kein Rezept mit hoher Erfolgsgarantie. Sonst wäre dem Sport eine große Portion Magie und Spannung genommen. Es gibt aber ein klares Wissen, was nötig ist, um junge Talente so zu fördern, dass sie mal Großes leisten können in großen Wettkämpfen. Dazu gehört im Normalfall eine Art friedliche Koexistenz von schulischer und sportlicher Ausbildung. Aber wie soll das gehen mit der Schule, wenn der Sport so groß ist im Kopf? Wenn so unendlich oft zum Training gegangen, ins Trainingslager gereist werden muss? Damit wenigstens die Chance kommt, dass die Sportträume wahr werden. An der Sportbetonten Schule Ronzelenstraße wird, mit individuellen Modellen, dieser Spagat versucht: Schulbildung im Gleichschritt mit Hochleistungssport. "Mit einem irren Aufwand", wie es Harald Wolf zugibt, der Leistungssportkoordinator der Schule. Einige Beispiele:

Yigit Bayraktar

Zusammen mit Lukrecija Kuraite aus Litauen ist der 14-jährige Tänzer vom Grün-Gold-Club (GGC) Anfang Juni in Bremen umjubelter Junioren-Weltmeister geworden. Ende Februar waren sein Vater und GGC-Präsident Jens Steinmann an der Ronzelenstraße vorstellig geworden. Ein Großteil der WM-Vorbereitung müsse in Litauen stattfinden. Der Junge bräuchte eine dreimonatige Befreiung vom Präsenzunterricht. Neben all den verwalterischen Vorgängen organisierte die Schule eine Online-Beschulung. Inbegriffen waren viermal pro Woche per Videokonferenz jeweils anderthalb Stunden Förderunterricht durch Lehramtsstudenten: montags Mathe, dienstags Deutsch, mittwochs Gesellschaft und Politik, donnerstags Naturwissenschaften. Für den jungen Leistungstänzer wurden auch Leistungskontrollen angesetzt. Die Klasse 8D bekam bisweilen für eine Stunde einen Vertretungslehrer beziehungsweise eine sogenannte Stillarbeit – damit Yigit Bayraktar online so etwas wie eine mündliche Prüfung absolvieren konnte.

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Lena Frerichs

Bundesliga mit dem Bremer HC, Lehrgänge mit der Nationalmannschaft, internationale Turniere: Die Hockeyspielerin Lena Frerichs, inzwischen A-Nationalspielerin und amtierende Bremer Sportlerin des Jahres, war viel unterwegs in der Vergangenheit. Die Vergangenheitsform muss gewählt werden, weil sie im Mai einen Kreuzbandriss erlitt. Über die Online-Plattform "Itslearning", aufgelegt 2015 von der Bremer Bildungsbehörde, ist das große Hockeytalent auf dem Laufenden geblieben, obwohl sie oft nicht am Unterricht teilnehmen konnte, zumindest nicht in Präsenz. Im vergangenen Jahr, während der U21-WM in Südafrika, fehlte sie im März wochenlang. Schließlich kehrte sie mit einer Silbermedaille nach Bremen zurück – und konnte dennoch ohne einen schier unaufholbaren Lernrückstand in die schon bald anstehenden Abiturprüfungen gehen.

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Mitja Bauer

Bereits seit der fünften Klasse besucht der Schwimmer aus dem Jahrgang 2009 die Ronzelen-Schule. "Anfangs eher verspielt, hat er nach und nach erkannt, dass Schwimmen sein Ding ist", sagt Harald Wolf, der einst auch mal Landestrainer in der olympischen Kernsportart war. Der Bundesstützpunkt Potsdam habe das Bremer Talent nach Brandenburg holen wollen. Die Bremer entwickelten ein Schule-Training-Modell, das den vielseitig begabten Jungen in seinem heimischen Umfeld hielt. Vor allem dem Engagement von Eva Schmid, einer ehemaligen Leistungsschwimmerin, sei es zu verdanken, dass Mitja Bauer auch in Bremen sportlich durchstarten konnte, sagt Wolf. Eva Schmid wird aus Honorarmitteln des Landesschwimmverbandes bezahlt, sie betreut etliche der besten Nachwuchsschwimmer sowohl in der Schule als auch im Kadertraining. Der Verband hofft auf eine Lehrer-Trainer Stelle, finanziert von der Bildungsbehörde. Laut Harald Wolf hat sich Eva Schmid auf eine sogenannte Ein-Fach-Stelle an der Schule beworben. Mitja Bauer holte im Mai die erste Bremer Medaille bei Deutschen Jahrgangsmeisterschaften seit vielen Jahren. 

Jette Behrens

Noch ehe sie Anfang April 17 Jahre alt wurde, kam die Werder-Fußballerin im März im Spiel gegen Eintracht Frankfurt zu ihrem ersten Bundesliga-Einsatz. In der U17-Bundesliga kickt die Verteidigerin regelmäßig. Und für die U16-Auswahl des DFB war sie 2021 in Dänemark zweimal aufs Feld geschickt worden. Zu DFB-Lehrgängen wurde sie regelmäßig eingeladen. So überschnitten sich auch bei ihr sportliche wie schulische Verpflichtungen. Was eine Modifizierung des Stundenplans an der Ronzelen-Schule erforderte. "Wir müssen jetzt schon immer halb drei beim Training sein", habe Jette Behrens zum Beispiel einmal zu ihm gesagt, berichtet Wolf. Seine Antwort sei gewesen: "Kriegen wir schon hin." 

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Caio Pogorzalski

Der Handballer des HC Bremen spielt in der A-Jugend-Bundesliga und wurde vom nationalen Verband DHB für die U17-Europameisterschaft der Beachhandballer Ende Juni im türkischen Izmir berufen. Das bringt automatisch Fehlzeiten mit sich, die auch hier mit einem individuell zugeschnittenen Modell kompensiert werden sollen. Dadurch bleibe ein großes Bremer Handball-Talent "in unserem System, weil es sich hier gut aufgehoben fühlt", sagt Lehrer-Trainer Tim Schulenberg. Immerhin hatte, so erzählt es Tim Schulenberg, der THW Kiel Caio Pogarzalski zu einem Probetraining eingeladen. Kiel hätte ihn gerne in die U19-Mannschaft gesteckt. So steht Caio Pogarzalski, wie auch Leander Meineke, Florian Peterson, Benedikt Syrbe, Per Haschenhermes (alle HC Bremen) und Henning Lahuis vom TuS Komet Arsten, als Bremer Spieler im DHB-Kader für Izmir.

Naomi Conze

Sie war vor zwei Jahren eine der wichtigsten Stützen der DHB-Auswahl bei der U19-EM in Slowenien, bei der sie sich unglücklicherweise einen Kreuzbandriss zuzog. Durch die zahlreichen Lehrgänge im Auftrag des Verbandes und während des EM-Turniers fehlte die inzwischen 21 Jahre alte Werder-Handballerin im Unterricht – und war dann doch dabei. "Sie wurde per Video zugeschaltet", sagt Tim Schulenberg. Was im Vergleich zum individuellen Lernen mit der Itslearning-Plattform den Vorteil gehabt habe, "dass man sich aktiv einbringen könne in den Klassenstunden". Interaktion trotz Abwesenheit. Auch so konnte sich eine Spielerin mit großem Potenzial in Bremen entwickeln, die bereits sehr früh den Sprung ins Werder-Team für die 2. Bundesliga geschafft hatte. Was auch durch den Kreuzbandriss nur unter-, aber nicht abgebrochen wurde. Nach einem Work&Travel-Halbjahr ans andere Ende der Welt soll und will Naomi Conze wieder beim SV Werder einsteigen, ihr Vertrag war zuletzt bis 2025 verlängert worden. 

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Karina Schönmeier

Der Weg der hochbegabten Huchtinger Turnerin gibt ein Beispiel, welche Brüche es geben kann, wenn die Puzzleteile Sport, Schule und Umfeld nicht mehr zueinander passen wollen. Mit ordentlichem Aufwand war die Kaderathletin des Deutschen Turner-Bundes (DTB) im vergangenen Jahr zum Realschul-Abschluss gebracht worden. Die Ronzelen-Schule schlug ein – noch deutlich aufwendigeres – Online-Modell für die gesetzlich vorgeschriebene weitergehende Beschulung der 17-Jährigen vor. Die Bremer Sportlerin des Jahres 2021 lehnte, im Verbund mit ihrer Mutter, ab. Und wechselte sozusagen ganz und nicht nur halb an den Bundesstützpunkt Chemnitz. Statt Online-Abitur in Bremen Berufsschule in Chemnitz. Zufall oder nicht: Die turnerischen Leistungen an den Geräten stagnierten.

Zur Sache

Das Ronzelen-Modell: Die Akzeptanz steigt, die Skepsis sinkt

Es war nicht alles schlecht in der Pandemie. Zumindest im privaten Talk werden wohl viele diesen Satz in den letzten Monaten so oder so ähnlich mal gesagt, gehört, oder dazu genickt haben. Home-Office und Videokonferenzen gehören inzwischen in vielen Bereichen wie selbstverständlich dazu. In der Arbeitswelt geht es vielerorts deutlich flexibler zu als vor den Corona-Jahren. Was auch für die Arbeit an der Sportbetonten Schule an der Ronzelenstraße gilt. Mehr Möglichkeiten durch den Einsatz digitaler Medien und Technik half dabei, dem Auftrag gerecht zu werden: Bremer Sporttalente so zu beschulen, dass sie sozusagen schulisch am Ball bleiben und zugleich sportlich mit der nationalen oder gar internationalen Konkurrenz mithalten können.

An der Ronzelen-Schule werden derzeit laut Leistungssportkoordinator Harald Wolf 350 junge Leistungssportler unterrichtet. Schwerpunkte sind die Team-Sportarten Handball, Hockey und Volleyball, dazu kommen unter anderem etliche junge Schwimmer, Tänzer, Gymnastinnen. Auch Triathlon oder die Leichtathletik, eventuell über eine weitere Lehrer-Trainer-Stelle, nehme man perspektivisch in den Blick, sagt Wolf. Rund 50 der Nachwuchsathleten hätten im nationalen oder internationalen Spitzensport Ambitionen oder bereits Erfolge.

Was im Grunde heiße: 50 individuelle Modelle. Mit eigens für die jungen Sportler zugeschnittenen Programmen soll es ermöglicht werden, den leistungssportlichen Weg auch in Bremen zu gehen. Bei den Eltern sinke die Skepsis, die Schule könne bei so viel Sport von Sohn oder Tochter zu kurz kommen. Im Gegenteil steige die Akzeptanz und die Nachfrage zum Ronzelen-Modell. In der Vergangenheit, erzählt Lehrer-Trainer Tim Schulenberg, hätten Eltern aus dem Umland bei der Frage, ob ihr Kind an die Schule in Bremen-Horn wechseln solle, mit Bedenken in der Stimme gesagt: Ja, aber da gibt es ja nur das Bremer Abitur! "Inzwischen gibt es diese Stimmen nicht mehr", sagt Schulenberg. Es ginge ja per sé nicht um die Noten. Sondern darum, dass trotz sich trotz der monothematisch hohen Belastung durch Training und Wettkämpfe junge Persönlichkeiten entwickeln können, gewappnet auch fürs Leben außerhalb des Sports. 

Und auch in der Infrastruktur soll es an der Ronzelenstraße vorangehen: Im Juni 2024 soll die neue zweigeschossige Halle mit je drei Feldern fertig sein.     

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