Die Nordbremer Beiräte haben sich geschlossen gegen die Pläne des Senats gestellt, Teile der Frühchen-Versorgung vom Klinikum Bremen-Nord abzuziehen und im neuen Eltern-Kind-Zentrum in Mitte zu konzentrieren. Im Beschluss des Regionalausschusses, in dem die Fraktionssprecher der Beiräte vertreten sind, wird Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) aufgefordert, „die bisherigen Planungen zu korrigieren und die Level-II-Versorgung am Standort Bremen-Nord sicherzustellen“. Von Politikern und Ärzten wurde Quante-Brandt am Montagabend mit massiver Kritik konfrontiert.
Ab Ende 2011 wurde die Versorgung der Frühgeborenen durch den Keimskandal am Klinikum Mitte auf den Kopf gestellt. An den Kliniken Links der Weser und Nord entstanden in der Folge perinatale Stationen, die auf die Behandlung der Frühchen spezialisiert sind. 2016 fällte dann der Senat die Entscheidung, lediglich ein Zentrum zu entwickeln, in dem alle Kompetenzen zur Level-I-Versorgung konzentriert werden: am Klinikum Bremen-Mitte.
Laut Eva Quante-Brandt soll das Eltern-Kind-Zentrum dort Ende dieses Jahres fertig werden. Danach beginne schrittweise und mit einer ausreichenden Übergangsphase die Verlegung der Stationen erst vom Klinikum Links der Weser, dann von Nord. Wobei in Nord die Versorgung der Frühchen mit einem Geburtsgewicht von mindestens 1500 Gramm – sogenannte Level-III-Kinder – erhalten bleibe.
Die SPD-Senatorin hatte einen denkbar schlechten Stand im Sitzungssaal des Vegesacker Ortsamtes. Praktisch jede Zahl, die sie vorlegte, wurde von den anwesenden Fachleuten – überwiegend Frauen- und Kinderärzte – lautstark in Zweifel gezogen. Das begann bei der Zahl der Geburten und setzte sich bei den vorhandenen und geplanten Betten der Frühchen-Versorgung und der Auslastungsquote der Intensivbetten fort.
Derzeit verfügt das Klinikum Bremen-Nord über fünf Intensivplätze für Frühgeborene, dazu kommen zehn Beobachtungsbetten. Im Klinikum Links der Weser bestehen zwölf Intensivplätze und ebenfalls zehn Beobachtungsbetten. Uneins waren sich die Senatorin und die Kritiker allerdings in der Frage, wie viele Plätze nach der Inbetriebnahme der neuen Station in Mitte zur Verfügung stehen. Nach Aussage der Senatorin sind es 24 Intensivplätze und zwölf Beobachtungsbetten. Die Kritiker gehen aber davon aus, dass in dieser Zahl Intensivplätze für ältere Kinder eingerechnet werden und es tatsächlich nur zwölf und zwölf sind. Quante-Brandt: „Offenbar haben wir unterschiedliche Zahlen. Das müssen wir abgleichen.“
Nach Darstellung der Nordbremer Ärzte im Sitzungssaal reicht aber das Platzangebot schon heute nicht aus. Eine Ärztin warf ein: „Die Betten sind mehr als ausgelastet. Wir verlegen nach Hannover, wir verlegen nach Oldenburg.“ Der inzwischen pensionierte Kinderarzt Jürgen Bachmann, der die Frühchen-Station am Klinikum mit aufgebaut hat, unterstrich dies: „An etwa 200 Tagen im Jahr sind schon jetzt die Kapazitäten nicht ausreichend." Bachmann spricht für die Initiative "Kindgerecht", die es sich zum Ziel gemacht hat, den Abzug der Level-II-Versorgung aus Nord zu verhindern.
Er lieferte während der Sitzung des Regionalausschusses Argumente. Zum Beispiel, so Bachmann, würde die Planung die räumliche und soziale Struktur Bremen-Nords nicht beachten. Konkret: „Der Weg nach Mitte ist mit dem ÖPNV nicht unter einer Stunde zu erledigen. Und wenn eine Mutter zwei Kinder hat, kann sie nicht über Wochen bei ihrem Level-II-Kind bleiben. Wie stellen Sie sich das vor?“
Wenn in Bremen-Nord und Links der Weser keine Level-II-Versorgung mehr bestehe, könnten die Kinder zudem erst ab Level III wieder in die regionalen Krankenhäuser verlegt werden. Bachmann: „Das dauert Wochen.“ Eine Ärztin warf ein: Wenn es stimme, was sie gehört habe, dass bei fehlenden Kapazitäten kritische Fälle aus Niedersachsen abgewiesen werden sollten, dann sei das unterlassene Hilfeleistung.
Für die gesamte Kindermedizin im Stadtteil sagte Bachmann einen Kompetenzverlust voraus – angefangen beim Wegfall von Qualifizierungen am Klinikum-Nord über die Abwanderung von Klinik-Ärzten bis hin zu einem Mangel an praktischen Erfahrungen bei den niedergelassenen Ärzten.
Auch der Beirat argumentierte geschlossen. Der Vegesacker Thomas Pörschke (Grüne) appellierte an den Senat, seinen Beschluss, der 2016 schon fragwürdig gewesen sei, zu überprüfen. „Man muss auch berücksichtigen, welche Funktion das Klinikum Nord für die Region hat.“ Der Lesumer Reinhard Hennig (SPD) warf der Senatorin vor, sie sei mit ihrem Konzept weit von der Realität entfernt. In dem Antrag, den die Lesumerin Bettina Hornhues (CDU) mit Pörschke vorlegte, heißt es: „Gerade in Zeiten, in denen die Geburtenzahlen ständig ansteigen und andererseits Geburtskliniken im niedersächsischen Umland schließen, ist der Abbau von Kapazitäten und Qualitätsstandards nicht nachzuvollziehen.“
„Ich weiß, dass Sie sich etwas anderes gewünscht haben“, hatte Eva Quante-Brandt eingangs zu ihren Plänen gesagt. Die Blumenthaler Linken-Politikerin Anke Krohne formulierte es anders: „Wir können sagen, was wir wollen – Sie machen das sowieso.“
Die Level der Frühgeborenen
Der „Gemeinsame Bundesausschuss“ zur Versorgung von Früh- und Reifgeborenen hat zum 1. Januar 2006 festgelegt, in welche Behandlungsgruppen Frühgeborene und Schwangere eingeteilt werden. Anhand dieser Einteilung werden auch die Behandlungs- und Pflegestandards formuliert.
Level I: Bezeichnet Schwangere, die voraussichtlich ein Kind mit weniger als 1250 Gramm nach 29 Schwangerschaftswochen oder weniger zur Welt bringen. Dazu zählen auch Schwangere, bei deren Kindern schon vor der Geburt eine intensivmedizinische Behandlung absehbar ist.
Level II: Umfasst Schwangere, die ein Baby mit einem Gewicht zwischen 1250 und 1499 Gramm erwarten, von der 29. bis zur 31. Schwangerschaftswoche (mitunter bis zur 37. Schwangerschaftswoche). Auch Frauen mit schweren Erkrankungen in Verbindung mit der Schwangerschaft oder Diabetes (einschließlich einer Gefährdung des Kindes) werden dem Versorgungslevel II zugerechnet.
Level III: In diesen Level werden Frauen eingruppiert, deren Kind voraussichtlich mindestens 1500 Gramm wiegt und zwischen der 32. und 35. Wochen (bis zur 41. Woche) zur Welt kommt.