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Geplantes Familienzentrum in Blumenthal Millionenprojekt stößt auf Kritik

Die Freie Christengemeinde des Sozialwerks Oldenburg möchte in Blumenthal ein Sozialzentrum bauen, um unter anderem benachteiligten Kindern zu helfen. Nicht jeder findet das gut.
26.04.2019, 18:51 Uhr
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Millionenprojekt stößt auf Kritik
Von Patricia Brandt

Dein Reich komme wie im Himmel so auf Erden, heißt es im Vaterunser. „Dein Reich komme wie im Himmel so auf Erden. Dafür wollen wir uns engagieren“, heißt es auf der Homepage der Freien Christengemeinde des Sozialwerks Oldenburg. Mit ihrem Vorhaben, eine Lücke im sozialen Netz im Stadtteil Blumenthal zu schließen, stoßen die Bibeltreuen aus Oldenburg aber auf Ablehnung. Gleich zwei offene Briefe sind gegen das millionenschwere Projekt „Ermlandstraße 2020“ in Umlauf. Das schreckt aber weder Investoren noch Verwaltung.

Als vor einigen Wochen der Beirat über ein Angebot des Sozialwerks Oldenburg zu beraten hatte, mussten die Stadtteilpolitiker nicht lange überlegen. Denn in Blumenthal, wo die Überschuldung der Familien und die Kinderarmut hoch sind, fehlt es genau an den sozialen Einrichtungen, wie sie die Oldenburger schaffen wollen: Kita, Wohngruppe, Begegnungsstätte, Kantine, Indoor-Spielplatz und Beratungsangebote. „Wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir für Blumenthal die Chance nicht ergreifen würden“, hatte die SPD-Beiratssprecherin Ute Reimers-Bruns gemeint, nachdem Stefan Sinnhuber als Geschäftsführer des Sozialwerks dem Gremium das Vorhaben „Ermlandstraße 2020“ dargelegt hatte.

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Niemand in Bremen-Nord wehrt sich gegen das Angebot selbst, nur der Investor ist den Unterzeichnern zweier offener Briefe nicht recht. Denn die Freie Christengemeinde Oldenburg ist eine Pfingstkirche, die der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) angehört, dem Dachverband der Evangelikalen. Und zur DEA gehörten auch „ultrareligiöse Sekten“, heißt es im offenen Brief des Internationalen Bunds der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA).

Der Begriff „Evangelikale“ beschreibe besonders bibeltreue Christen, die „in einer permanenten Mission“ unterwegs seien. Das Schreiben hat Herbert Thomsen verfasst, der wochentags Erwerbslose in Bremen-Nord berät. Thomsen stört, dass die rund 1,5 Millionen Evangelikalen in Deutschland ihren politischen Einfluss ausbreiteten: „Die machen zunehmend Angebote, die vom Staat finanziert werden.“

Viele Evangelikale gehen ein Bündnis mit den Rechten ein

Thomsen zieht auch Vergleiche mit anderen Ländern: Es seien Evangelikale gewesen, die Donald Trump zum Wahlsieg verholfen hätten. Thomsen sagt, viele Evangelikale gingen ein Bündnis mit den Rechten ein. In dem offenen Brief wird auch ein Auszug aus der Erklärung der Evangelischen Allianz zu Ehe und Homosexualität aus der Bibel zitiert: „Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben.“

Kindergärten und Wohngruppen, die von den Pfingstlern der freien Christengemeinden betrieben würden, seien „Missionierungseinrichtungen“, heißt es weiter im offenen Brief. Es sei nicht zu verstehen, dass der Blumenthaler Beirat ein derart rückständiges Missionierungsprojekt aus Steuermitteln über die Jugendhilfe, die Agentur für Arbeit und den Bildungsetat fördern lassen will.

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Die „spezielle Auslegung der Bibel“, die zur Folge hätte, dass „Ehen nur zwischen verschiedengeschlechtlichen Menschen akzeptiert werden, außerehelicher Sex und Schwangerschaftsabbrüche verteufelt werden“ ist auch einer zweiten Gruppe sauer aufgestoßen. In einem offenen Brief appellieren Mitglieder verschiedener Parteien, Organisationen, Gewerkschaftler und Wissenschaftler deshalb an die Senatorin für Bildung und Soziales, dem Beiratsbeschluss nicht zu folgen. Soziale Einrichtungen und insbesondere Kitas dürften „nicht in die Hände rückwärtsgewandter und wissenschaftsfeindlicher Kirchen“ gegeben werden. Mitunterzeichnerin Maja Tegeler von der Linkspartei sagt: „Unsere Sorge ist, dass dies dem Versuch, moderne Geschlechterrollen zu vermitteln, entgegen läuft.“

Freie Christengemeinde ist Teil der Evangelischen Allianz

Dass sich Nordbremer gegen das Vorhaben „ Ermlandstraße 2020“ warm laufen, „belastet uns nicht“, sagt Sozialwerk-Geschäftsführer Stefan Sinnhuber. Ja, die Freie Christengemeinde sei Teil der Evangelischen Allianz, räumt er ein. Und ja, die Mitglieder glaubten an die Bibel. „Daraus zu schließen, dass wir radikal-fundamentalistische Ansichten haben, finde ich sehr mutig. Die Allianz ist ein Zusammenschluss auch von Baptisten und Methodisten – wir sind da gerne Mitglied.“

Auch eine Verbindung zum Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden bestreitet Stefan Sinnhuber nicht, wenn er auch betont, dass das Sozialwerk der freien Christengemeinde juristisch und rechtlich eigenständig ist. „Aber es besteht eine Personenidentität.“

Was den umstrittenen Satz zur Homosexualität angeht, so findet Stefan Sinnhuber „die Stellungnahme des Bundes der Pfingstkirchen unglücklich“. Er betont: „Wir distanzieren uns von der Aussage, dass wir etwas gegen Homosexualität haben.“ Das Sozialwerk biete Menschen professionelle Hilfe an – unabhängig von religiösen Vorstellungen und sexuellen Neigungen.

Laut seiner eigener Homepage will das Sozialwerk von ihm betreute Kinder neugierig auf den Glauben machen. Missionierungsbemühungen gebe es aber keinesfalls, versichert der Geschäftsführer. Von den 45 Angestellten des Sozialwerks in Oldenburg gehörten nur vier der Christengemeinde an.

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Das Sozialwerk will als Investor auch nicht Abstand nehmen, Millionen in das neue Familienzentrum zu investieren. „Ich glaube nicht, dass die Diskussion nachhaltig sein wird“, zielt Sinnhuber in Richtung der Kritiker. Zumindest die Bremer Verwaltung steht weiter hinter ihm. Ortsamtsleiter Peter Nowack (SPD) will erst dieser Tage ein Schreiben aus dem Sozialressort erhalten haben, wonach Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) zwar das Übergangswohnheim an der Ermlandstraße bis 2021 nicht aufgeben will, aber 2020 gerne bereit sei, sich das Konzept des Sozialwerks vorstellen zu lassen.

„Wenn Fundamentalisten über Fundamentalisten schreiben, hilft das nicht weiter. Ich kann doch nicht aus einem 1500 Seiten starken Buch die Verse raussuchen, die für mich fraglich sind. Das kann nicht ernsthaft sein“, kommentiert der Ortsamtschef. „Die sollen mir nicht erzählen, dass ich auf soziale Hilfsangebote verzichten soll.“

Peter Nowack versteht nicht, wo das Problem liegen soll: „Wenn das Sozialwerk im Auftrag der Stadt einen Kindergarten betreibt, muss es sich an die Grundwerte halten. Wir haben auch katholische Kindergärten in der Stadt, die von muslimischen Kindern besucht werden. Werte wie ‚Liebe deinen Nächsten‘ gibt es in jeder Konfession.“ Immerhin, erinnert Peter Nowack, hatten auch die Stadtteilpolitiker in der Beiratssitzung nach den christlichen Werten des Investors gefragt. Und da hatte Sinnhuber das gesagt, was auch auf der Homepage des Sozialwerks steht: Das Sozialwerk wolle einen sozialen Auftrag erfüllen. Schließlich ist es 2003 aus der Not entstanden – in Oldenburg fehlten ebenfalls Kindergartenplätze.

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