Das Entsetzen über das, was sie in den vergangenen Wochen in ihrem Heimatland und auf der Flucht erlebt haben, ist ihren Mienen anzusehen. Vier Frauen und fünf Kinder aus der Ukraine leben seit dem 10. März in der Alten Apotheke in Lesum. Sie selbst sind hier in Sicherheit. Doch die Sorgen um Familie und Freunde, die sich noch im Kriegsgebiet befinden, lassen sie ganz offensichtlich nicht los. Es gibt nur wenige Momente, in denen sie lächeln können. "Immerhin kommen diese Momente mittlerweile schon häufiger vor", sagt Stephan Meyer.
Der Geschäftsführer des Unternehmens Pensum, das auf Personalvermittlung spezialisiert ist, hat mit seinem Team fast die gesamte obere Büroetage des Hauses geräumt, um Platz für die Ukrainerinnen und ihre Kinder zu schaffen. Gemeinsam mit anderen Nordbremern hat Meyer sie in Przemysl, einem Ort in der Nähe der polnisch-ukrainischen Grenze, auf- und mit nach Bremen-Nord genommen.
Zuvor hatte die Gruppe Spenden an die Grenze gebracht. Die Idee zu der Aktion, die Meyer zusammen mit Freunden spontan auf die Beine gestellt hat, entstand aus einem Gefühl der Hilflosigkeit. "Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen und hatte den Impuls etwas tun zu müssen", erzählt Meyer. "Ich habe einen Freund angerufen und gesagt: Wir müssen da hin." Zunächst sammelten sie Spenden. "Es gab eine große Welle der Hilfsbereitschaft", betont der Lesumer. Für etwa 5000 Euro kauften sie schließlich Medikamente, Lebensmittel, Babynahrung und Hygieneartikel. Damit machten sich die Nordbremer auf dem Weg an die Grenze im Südosten von Polen.
"Einen Teil der Sachen haben wir dort an einer Hilfsstation der Malteser abgegeben. Dann sind wir zu einem Aufnahmelager gefahren, wo wir kontrolliert und registriert wurden", erzählt Meyer. Die Nordbremer machten das Angebot, Menschen mit nach Bremen zu nehmen. "Doch niemand wollte." Nach einer Nacht in einer Pension fuhren die Helfer schließlich zu einer Flüchtlingsunterkunft in Przemysl. Meyer zeigt Fotos von einem großen Feldbetten-Lager in einem ehemaligen Möbelhaus. "Dort hatten wir Kontakt zu einem italienischen Hilfsteam, das zwei Stunden später mit 16 Menschen vor uns stand. Sie wollten alle nach Deutschland."
Neun von ihnen leben nun übergangsweise in den Räumen der Personalvermittlung. Die Familien stammen aus Charkiw und Krywyj Rih. Nähere Details zu den Umständen ihrer Flucht kennen die Helfer nicht. "Wir fragen sie nicht, denn sie sollen erst einmal zur Ruhe kommen", erläutert Meyer. Zwei Schlafräume, ein großer Aufenthaltsraum, eine Küche und Sanitärräume mit Dusche und WC sowie eine Waschmaschine stehen den Frauen und ihren Kindern zur Verfügung. "Es sind unsere Gäste und wir tun alles dafür, damit sie sich in der neuen Umgebung möglichst wohl fühlen", so Meyer. Dennoch soll die Unterkunft nur vorübergehend sein. "Wir suchen deshalb für die Familien nach Wohnungen." Eine der Frauen möchte weiter nach Ungarn reisen, weil sie dort Freunde hat.
Die Unterhaltskosten finanzieren Meyer und sein Team derzeit aus Spenden. Einen großen Teil steuert der Lions-Club Bremer Schweiz bei. Dessen Präsident, Sven Janßen, ist ebenfalls Geschäftsführer von Pensum. Doch nicht nur finanziell ist die Hilfe des gesamten Teams gefragt. "Wir möchten, dass die Frauen möglichst schnell auf eigenen Beinen stehen", betont Meyer. Obwohl die Frauen alle zurück in die Ukraine möchten, sollen sie sich zumindest für den Moment in Bremen-Nord zu Hause fühlen. Deshalb hat das Team ihnen bei Spaziergängen die Umgebung gezeigt und sie zu einem gemeinsamen Grillfest eingeladen.
Auch die Kinder sollen möglichst schnell Anschluss finden. Der 14-jährige Artem konnte bereits bei einem Handballtraining mitmachen. Über einen Kontakt zur St.-Martini-Gemeinde, die Teil der Willkommensinitiative Lesum ist, besteht die Möglichkeit, dass die vierjährige Mylana schon bald in den Kindergarten gehen kann. Unterstützung bekommen sie auch von zwei ukrainischen Studentinnen der Jacobs University, die dolmetschen. "Wenn die beiden nicht da sind, helfen wir uns mit einer Übersetzungs-App", erzählt Janßen. Eine ukrainische Mitarbeiterin der Jacobs University hat zudem angeboten, die Frauen bei Behördengängen zu begleiten. "Wir haben auf jeden Fall das Gefühl, die Familien erst einmal aus einer schlimmen Situation geholt zu haben. Ich würde es wieder tun", sagt Meyer.