Stonehenge auf einem Müllberg, Fische ohne Lobby, das verfallene Haus eines Flugpioniers und der Ort eines ehemaligen Arbeitslagers – die Radkultour präsentierte auch bei ihrer zweiten Auflage Überraschendes und Unbekanntes in Horn-Lehe und umzu. Rund 60 Radler machten sich kürzlich auf den Weg, ihren Stadtteil zu erforschen. Organisiert wurde die Tour von der Werbegemeinschaft „Wir in Horn-Lehe“. Vom Ortsamt aus startete die Gruppe ins Blockland.
Gelbe, rote und blaue Jacken zogen sich dort auf über 100 Metern Länge wie eine Ameisenstraße durchs Grün. Links das Fleet, rechts Heuballen, am Wegesrand Schwäne mit ihren Jungen und Kühe mit ihren Kälbern. „Es ist schön, dass man sofort ins Gespräch kommt“, freute sich Karin, die zum ersten Mal dabei war. Paul, der mit seinem Sohn unterwegs war, brachte es auf den Punkt: „Man lernt Nachbarn und den Stadtteil kennen.“
Metalhenge
Der erste Halt lag auf Bremens höchstem Punkt, dem Müllberg der Blocklanddeponie. Die Räder blieben unten stehen. Den Anstieg bewältigten die Teilnehmer zu Fuß. Oben belohnte das Kunstwerk Metalhenge für den Aufstieg. Die monumentale Installation mit 16 rostigen Spundwänden, kreisförmig in den Boden gerammt, hatte der Künstler Thomas Roth dem berühmten englischen Stonehenge nachempfunden und mit Hilfe des Teams vom Olbers-Planetarium astronomisch ausgerichtet. „Es verbindet Natur, Technik und Geschichte“, fasste er zusammen. Der Ausblick war überwältigend: im Süden die Silhouette der Stadt mit Dom und Weserstadion, im Norden die weite und grüne Landschaft des Blocklands.
Unter Wasser
Nur wenige Kilometer weiter, am Ufer des idyllischen Unisees, wartete schon die nächste Entdeckung auf die Radler. Claus Lumma vom Sportfischerverein Bremen berichtete dort von Gewässerschutz, Fischen, Algen und der verborgenen Ökologie des Stadtwaldsees. „Die Fische haben keine Lobby“, begann er. „Man sieht sie nicht, aber ohne sie bricht das Gleichgewicht des Sees zusammen.“ Der Verein plane darum eine Aufzuchtstation und sammle aktuell finanzielle Mittel.
Er berichtete von einer Überpopulation von Karpfen. Und von Welsen, die gern in Ufernähe laichten. „Wir haben in diesem Jahr eine Tonne Karpfen herausgeholt“, nannte er ein Beispiel für die Aktivitäten des Vereins. Gleichzeitig habe der Verein Muscheln und Krebse eingesetzt und Totholz versenkt, um den Fischen wichtige Rückzugsräume zu geben. Die Zuhörer lauschten gebannt. „Das ist erstaunlich“, sagte Peter, einer der jüngeren Radler, überrascht. „Ich komme oft hierher zum Schwimmen, aber dass unter Wasser so viel los ist, habe ich nicht geahnt.“
Arbeitslager
Still wurde es, als Chronist Michael Koppel an der Achterstraße, nahe dem Recyclinghof, von einem dunklen Kapitel des Stadtteils erzählte. Hier stand im Zweiten Weltkrieg ein Zwangsarbeiterlager. Es war für 500 Menschen geplant, belegt wurde es aber mit bis zu 1000. „Viele starben an Tuberkulose“, so Koppel. Dann zog er einen Vergleich: „In Bremen gab es rund 200 Lager. So viele etwa, wie wir heute öffentliche Schulen haben.“ Ein Satz, nach dem die Gruppe schwieg. „Man ahnt gar nicht, was hier einmal war“, flüsterte eine Teilnehmerin ergriffen.
Fockes Haus
Zum Abschluss führte die Tour zu einem verfallenen Wohnhaus in der Elsa-Brändström-Straße. In diesem lebte seit dem Ende des Krieges, und noch bis vor wenigen Jahren Henrich Focke, Luftfahrtpionier und Mitbegründer der Firma Focke-Wulff. Sein Wohnhaus, ein Messerschmitt-Leichtbauhaus, ist eines der letzten seiner Art. Dünne Wände, vorgefertigte Elemente – ein Experiment, das sich letztlich nicht durchsetzen konnte. Doch Teile des Hauses stehen seit Kurzem unter Denkmalschutz und werden renoviert, berichtete Michael Koppel. „Das dunkle und zugewachsene Gebäude wirkt heute wie ein Geisterhaus in der hellen Nachbarschaft. Gleichzeitig ist die vergangene Schönheit noch deutlich zu erkennen“, beschrieb ein Radler die Szenerie.

Das verfallene Wohnhaus von Henrich Focke in der Elsa-Brändström-Straße.
Nach rund fünf Stunden endete die Radkultour im Restaurant Bloom im Rhododendronpark, wo die Teilnehmer noch lange zusammensaßen und den Tag Revue passieren ließen. „Genau das möchten wir erreichen“, sagte Lars Hendrik Vogel, Vorsitzender der Horn-Leher Werbegemeinschaft. „Wir wollen zeigen, wie viel dieser Stadtteil zu bieten hat, wenn man ihn gemeinsam neu entdeckt.“
Die zweite Radkultour hat das eindrucksvoll bewiesen und machte Lust auf eine Fortsetzung – auch wenn diesmal streng genommen nicht alle Stationen in Horn-Lehe lagen. Termine wie dieser werden seit Kurzem im neuen Veranstaltungskalender des Stadtteils veröffentlicht, online unter www.wirinhornlehe.de.