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Funde in den Tunnelröhren Bremen-Neustadt: Wie es im Erdbunker unter dem Delmemarkt aussieht

Ein Lippenstift-Herz und Alltagsgegenstände: Im Luftschutzbunker unter dem Delmemarkt wurden stumme Zeugen der Vergangenheit entdeckt. Sie geben Einblick in die Geschichte des Zweiten Weltkriegs.
28.06.2024, 16:12 Uhr
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Bremen-Neustadt: Wie es im Erdbunker unter dem Delmemarkt aussieht
Von Karin Mörtel
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Ein mit rotem Lippenstift aufgemaltes Herz ist an der Wand zu erkennen. Auch Alltagsgegenstände wie einen Kochtopf, eine Schöpfkelle und Bettgestelle, die an der Wand befestigt sind, befanden sich jahrzehntelang im Luftschutzbunker unter dem Delmemarkt. Entdeckt hat diese stummen Zeitzeugen von Fliegerangriffen auf Bremen während des Zweiten Weltkrieges Matthias Antkowiak. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Landesarchäologie Bremen und war Teil einer Expertengruppe, die nach dem überraschenden Bunkerfund in der Neustadt an einer Begehung des Bauwerks teilgenommen hat. Was die Funde bedeuten und wie es mit dem Bunker im Flüsseviertel weitergeht.

Welche Ausmaße hat der Bunker?

Der Bunker liegt laut einer aktuellen Vermessung parallel zum Rewe-Gebäude unter dem Platz, der Zugang an der Westseite war ganz in der Nähe des heutigen Eingangs zum Supermarkt. Entgegen hartnäckiger Gerüchte im Stadtteil gibt es demnach keinerlei bauliche Verbindung zwischen dem Bunker und dem Keller des heutigen Supermarktes.

Er besteht aus zwei jeweils etwa zweieinhalb Meter breiten und zwölf Meter langen Röhren, die im Eingangsbereich durch eine sogenannte Gasschleuse miteinander verbunden sind. Das ist ein durch gasdichte Türen abgetrennter Extra-Raum, der das Eindringen von Rauch zu den Schutzsuchenden verhindern soll, wenn oberirdisch Feuer ausbrechen sollte.

An den Wänden sind Aufschriften zu erkennen wie Hinweise zu einem polizeilichen Rauchverbot und Angaben zur zugelassenen Personenzahl mit 50 Menschen pro Röhre im Falle einer künstlichen Belüftung. "Wir gehen aber davon aus, dass bei Bombenangriffen regelmäßig mehr Menschen dort Schutz gesucht haben als offiziell zugelassen waren", sagt Antkowiak.

Was verraten die Funde über die Geschehnisse vor Ort?

"Der Bunker ist wie eine Zeitkapsel, er ist so erhalten wie er damals während der Bombenangriffe genutzt wurde", sagt Archäologe Antkowiak zu seinem Eindruck während der Begehung. Auf den Klappbetten müssen die Schutzsuchenden nebeneinander dicht gedrängt gesessen haben. Das Kochgeschirr und Blechdosen deuten darauf hin, dass sich die Menschen bei längeren Wartezeiten zum Teil auch notdürftig mit Essen versorgt haben.

Jeweils die Hälfte der beiden unterirdisch angelegten Tunnelröhren ist nach einem Bombentreffer im Jahr 1944 an der Ostseite Richtung Rüdesheimer Straße bis heute verschüttet. Damals hat es viele Todesopfer vor Ort gegeben, so schildern es Zeitzeugen aus dem Stadtteil. Neben dem Herz hat der Archäologe auch eine Bleistiftzeichnung von einem Entenkopf im Comic-Stil gefunden. "Diese Hinweise auf persönliche Schicksale, die mit dem Ort verknüpft sind, berühren mich schon, auch wenn ich meinen professionellen Blick darauf habe", sagt Antkowiak.

Abgeschnittene Kabel an Lampen verraten ihm, dass die Elektro-Installationen vor der Aufgabe des Bunkers noch zurückgebaut wurden. "Unsere These ist, dass die Anwohner den Bunker seit dem Bombentreffer im Jahr 1944 nicht mehr in Anspruch genommen haben, weil er ihnen zu unsicher erschien", so der Archäologe.

Aber nicht nur das Schicksal der Neustädterinnen und Neustädter ist eng mit dem Bauwerk verknüpft, denn bekannt ist auch: Nachtbunker dieser Art wurden vorwiegend durch Zwangsarbeiter errichtet, die jedoch von den Schutzräumen in der Regel ausgeschlossen waren.

Wie geht es weiter mit der geplanten Umgestaltung des Delmemarktes?

Die Landesarchäologie Bremen hat das Bauwerk nun vorübergehend unter Denkmalschutz gestellt, um möglichst viele Details vor Ort dokumentieren zu können. Ein dauerhafter Erhalt der Anlage ist nicht möglich, da eine Überprüfung der Statik des teilzerstörten Bunkers ergeben hat, dass er dauerhaft nicht sicher genug ist als Untergrund für den Marktbetrieb mit seinem schweren Lieferverkehr auf dem Platz. "Verkehrssicherheit geht vor Denkmalschutz", sagt Antkowiak.

Die Betonwände des Bunkers werden nun zeitnah abgerissen und die Zwischenräume mit Sand verfüllt, so ist es aus dem Amt für Straßen und Verkehr zu erfahren, das für den Platz zuständig ist. Der Zeitplan dafür stehe aber noch nicht fest. Erst nachdem der Untergrund wieder sicher ist, kann dann der Delmemarkt mit seinen neuen Bäumen so umgestaltet werden, wie es bereits Anfang des Jahres umgesetzt werden sollte.

Wird der Wochenmarkt während des Bunker-Rückbaus ausfallen?

Bereits heute müssen die Marktbeschicker besonders sonnabends wegen der unterbrochenen Baumaßnahme wesentlich enger als bisher zusammenrücken. Wenn der Bunker abgerissen wird, muss der Marktbetrieb sicherlich komplett den Platz räumen. Sorgen um einen Ausfall des Angebotes müssen sich die Kundinnen und Kunden offenbar dennoch nicht machen. "Wir prüfen zurzeit schon mehrere Optionen, wohin wir während der Bauzeit ausweichen können", versichert Lars Jansen vom Großmarkt Bremen. Ziel sei es, dass der Wochenmarkt ohne Unterbrechung in der näheren Umgebung weiterlaufen könne, "und ich bin sehr zuversichtlich, dass das klappen kann."

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Ab 1940 wurde in Bremen das Sonderbauprogramm für die sogenannten Nachtbunker aufgelegt. Der unter dem Delmemarkt entdeckte Erdbunker ist einer von 281 Bauten dieser Art, die als kleinere, splitter- und trümmersichere, unterirdische Schutzbauten für die Zivilbevölkerung errichtet werden sollten. Ob alle Bunker tatsächlich gebaut wurden, ist laut Landesarchäologie Bremen noch unklar.

Aufgrund der technikgeschichtlichen und landesgeschichtlichen Bedeutung gilt der Bunker aktuell als Bodendenkmal, das nach dem Denkmalschutzgesetz dokumentiert werden muss. Die Funde werfen "ein Schlaglicht auf den Bombenkrieg in Bremen und die Lebensumstände der Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg", schreibt Archäologe Matthias Antkowiak dazu.

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