Mit der Verteidigungsbereitschaft Bremens stand es zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht zum Besten. Zur Weser hin bot die Stadt eine mehr oder weniger offene Flanke, bis auf den militärisch gesicherten Brautzwinger gab es keine Befestigung. Rund um die Altstadt sah es nicht viel besser aus, die betagte Stadtmauer hätte einem Angriff kaum standgehalten. Einzig die Hauptzugänge im Osten und Westen konnten moderne Bastionen vorweisen. Doch vor 400 Jahren zeichnete sich ein Ende dieses beklagenswerten Zustands ab. Im Sommer 1623 reiste einmal mehr der niederländische Festungsbaumeister Johan van Valckenburgh an. Sein Arbeitsfeld befand sich auf der linken Weserseite. Die Pläne für den Bau einer zeitgemäßen Befestigungsanlage hatte er längst angefertigt, nun konnten die Arbeiten beginnen. Damit schlug die Geburtsstunde der Neustadt.
Ein Zusammenhang mit dem Dreißigjährigen Krieg erscheint naheliegend. Zumal Valckenburgh ziemlich genau einen Monat nach Kriegsausbruch, im Juni 1618, die erste Vermessung vorgenommen hatte. Doch laut Konrad Elmshäuser, Leiter des Staatsarchivs Bremen, handelte es sich bei der zeitlichen Nähe "wohl eher" um einen Zufall. Valckenburghs Abstecher an die Weser dürfte von langer Hand geplant gewesen sein. Wirklich eilig hatte man es mit der zeitgemäßen Befestigung der Stadt nicht. Von der Geißel des Krieges war Bremen bis dahin verschont geblieben, die Kriegsfurie wütete ab 1618 weit entfernt in Böhmen und in der Pfalz. In aller Ruhe widmete man sich dem Bau des Vegesacker Hafens – die Versandung der Weser bedrohte den Bremer Handel, der neue Vorhafen sollte den alten Hafen an der Schlachte ersetzen. Dieses Großprojekt hatte Priorität, alles andere konnte warten.
Doch vier Jahre später standen die Zeichen auf Sturm. Bis nach Delmenhorst drangen im November 1622 die Männer des Grafen Ernst von Mansfeld vor, eines berüchtigten Söldnerführers, der damals in niederländischen Diensten gegen das katholische Spanien und den Kaiser kämpfte. Auch östlich der Weser ballten sich Gewitterwolken zusammen. Die Dänen hatten sich im Erzstift Bremen festgesetzt, zu dem damals auch die Stadt Bremen zumindest formal noch gehörte. Die Reaktion der Katholischen Liga blieb nicht aus, am 2. September 1623 stand Graf Tilly vor den Toren Oldenburgs, seine entfesselte Soldateska streifte bis nach Delmenhorst. Nur mit großer Mühe konnte sich der Oldenburger Graf Anton Günther den kaiserlichen Feldherrn vom Hals halten, bis heute rühmt man in der Huntestadt das diplomatische Geschick des Landesfürsten.

Die Bremer Stadtbefestigungen um 1729: Blick von der Neustadt-Seite über die Weser zum Ostertor.
Da traf es sich gut, dass der Vegesacker Hafen gerade fertiggestellt war. Praktisch parallel zur wachsenden Militärpräsenz von Freund und Feind im Nordwesten nahm Bremen nun in aller Eile den viel zu lange vernachlässigten Festungsbau auf. Am 22. Mai 1623 engagierte die Stadt mit Jakob Clausen den Mann, der gerade eben erst den Vegesacker Hafen fertiggestellt hatte – nun konnte er als Wallmeister Valckenburghs Pläne umsetzen. Auf einer Länge von 2,4 Kilometern und einer Fläche von 104 Hektar sollte eine hochmoderne Befestigungsanlage aus dem Boden gestampft werden. Hinter den Wassergräben war ein im Zickzack angelegtes Schanzwerk mit acht Bastionen vorgesehen, also vorgezogenen Verteidigungsstellungen, deren Kanonen jeden beliebigen Punkt erreichen konnten – ein entscheidender Vorteil gegenüber der alten Stadtmauer mit ihren kümmerlichen Rondellen. Das Problem des toten Winkels war somit gelöst.
Befestigung der Bremer Neu- und Altstadt war ein Jahrhundertprojekt
Die Befestigung der Neu- und Altstadt war so etwas wie ein Jahrhundertprojekt. Dass es erhebliche Geldmittel verschlang, versteht sich von selbst. Zwar war Bremen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert eine blühende Handelsstadt, die eindrucksvollen Bauten der "Weser-Renaissance" legen Zeugnis vom damaligen Wohlstand ab. Dennoch konnte die Fortifikation nicht mal eben so aus der Portokasse gezahlt werden, der Rat zeigte sich bei der Einführung neuer Steuern durchaus erfinderisch. Das 1622 eingeführte Soldaten- und Wallgeld erwies sich als unzureichend, 1625 kam eine Verbrauchssteuer unter anderem auf Nahrungs- und Genussmittel hinzu.
Teuer zu stehen kam der Stadt auch das Linzer Diplom von 1646. Für die Anerkennung als freie und unmittelbare Reichsstadt kassierte der katholische Habsburgerkaiser kräftig ab. Doch Bremens lange umstrittene Rechtsstellung war damit endlich geklärt, die Stadt konnte sich unter Berufung auf ihren beurkundeten Status gegen die Begehrlichkeiten auswärtiger Fürsten zur Wehr setzen. Die Ironie des Schicksals: Im Dreißigjährigen Krieg war das gemeinsame evangelische Bekenntnis keine Gewähr für Waffenbrüderschaft, zumal auch die Protestanten in Reformierte und Lutheraner gespalten waren. Bremen war reformiert, die nordischen Staaten lutherisch, wobei sich Dänemark und Schweden als "Erbfeinde" unversöhnlich gegenüberstanden. Auf dem deutschen Kriegsschauplatz hatte schon Dänemark reine Machtpolitik betrieben, nicht anders machte es später Schweden.
Vier Jahre lang wühlten sich die Bauarbeiter durch das tief gelegene Gelände, um das ambitionierte Festungswerk mit seinen beiden Durchlässen zu errichten, dem Hohentor und dem Buntentor. 1627 waren sieben der acht Bastionen vollendet, einzig die Bastion auf dem Stadtwerder fehlte noch. Nur ein Jahr später nahm man den Faden an der Altstadtseite wieder auf, wo eine Art spiegelbildliches Gegenstück zur Neustadtbefestigung entstehen sollte. Allerdings zogen sich die immer wieder unterbrochenen Arbeiten in die Länge, erst 1664 wurden sie endgültig abgeschlossen. Damit war der Ringschluss perfekt, mit ihren insgesamt 17 Bastionen galt die Bremer Stadtbefestigung als Paradebeispiel niederländischen Festungsbaus. Seine erste und einzige Feuertaufe erlebte das Schanzwerk 1666 bei der Belagerung durch die Schweden. Gleichwohl hat die Anlage laut Elmshäuser ihren Zweck erfüllt – schon allein ihre Existenz dürfte feindselige Absichten abgeschwächt haben.
Von Anfang an war vorgesehen, den Innenraum der Befestigungsanlage zu besiedeln. Auf dem Valckenburgh-Plan von 1623 ist das Straßennetz im zeittypischen Schachbrettmuster gut zu erkennen. Neben drei parallelen Längsstraßen waren zehn Querstraßen, ein zentraler Platz und sechs Grachten geplant. Die Wasserwege verraten die niederländische Herkunft Valckenburghs – was daheim so nützlich war, konnte woanders nicht schlecht sein. Angelegt wurden die Grachten allerdings nie. In den 1890er-Jahren präsentierte Oberbaudirektor Ludwig Franzius eine Variante dieser Vorstellungen. Ausgehend von der Piepe, sollten Kanal- und Hafenanlagen vor allem auf dem Areal des heutigen Flughafens entstehen, der Heimatforscher Peter Strotmann spricht von einem "Klein-Venedig links der Weser". Doch auch daraus wurde nichts, ein paar Jahre vor dem Ersten Weltkrieg verschwanden die Pläne wieder in der Schublade.
Freilich kam die Besiedlung der Neustadt – ursprünglich als "Süderort" bezeichnet – nur schleppend voran. In den 1630er-Jahren habe man gerade 60 Männer für den Wachtdienst zusammen bekommen, bemerkt der Regionalhistoriker Herbert Schwarzwälder. Auf "wenige hundert" schätzt er die damalige Einwohnerzahl. Wie auf dem Merian-Plan von 1641 zu sehen ist, beschränkte sich der spärliche Häuserbau vorwiegend auf den östlichen Teil der Neustadt. Das entsprach ganz sicher nicht den Erwartungen der Stadtväter. Mit einem unentgeltlichen, dafür aber beschränkten Bürgerrecht versuchte der Rat, den Zuzug anzukurbeln. Doch auch dieses Lockmittel brachte zunächst nicht den erhofften Erfolg. Der Murtfeldt-Plan von 1796 zeigt eine vergleichsweise lockere Besiedlung, in der Neustadt gab es noch reichlich Platz für Gemüsegärten und kleinere Gartenanlagen. Dennoch lebten jetzt knapp 7200 Menschen in der Neustadt, bei einer Gesamtzahl von 36.000 Einwohnern waren das 20 Prozent der bremischen Bevölkerung. Heute liegt der Anteil bei acht Prozent.
Mit der Weiterentwicklung der Waffentechnik büßte die Anlage im Laufe des 18. Jahrhunderts ihren militärischen Wert ein. Bereits vor Beginn der französischen Vorherrschaft unter Napoleon entschlossen sich die Stadtväter 1796, den Brautwall und die Bastion auf dem Stadtwerder zu schleifen. Um die eigene Neutralität in unruhigen Zeiten zu unterstreichen, wurden von 1802 bis 1804 die Wälle, Brustwehren und Stadttore abgetragen. Das gleiche Schicksal ereilte die beiden Durchlässe: Das prachtvolle Hohentor musste 1823 weichen, das eher schmucklose Buntentor folgte 1861. Auf der Altstadtseite begann 1803 die Umwandlung der vormaligen Befestigung in eine Grünanlage nach Vorbild englischer Landschaftsgärten. Die Wallanlagen vermitteln noch heute einen plastischen Eindruck von Verlauf und Umfang der militärischen Anlage.
Solche Pläne gab es für die Neustadt nicht. Als Bremen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts rasch anwuchs, wurde die vormaligen Bastionen als willkommener Platz für Neubauten wie die Kaserne und das Technikum genutzt, die heutige Hochschule. Von 1891 bis 1903 wurde der frühere Festungsgraben zugeschüttet. Einzig im Osten verblieben bis 1911 der Bereich jenseits der Schulstraße und der Holzhafen, der sich bis heute unter dem Namen "Piepe" als letztes Überbleibsel des Wasserlaufs erhalten hat. Immerhin lassen die teils durchbrochenen und bebauten Neustadtswallanlagen mitsamt der Straße "Neustadtscontrescarpe" noch immer gut erkennen, wo früher die Befestigung verlief.