Wirtschaftsfachleute haben es immer geahnt: Bremen muss der Europäischen Union (EU) viel Geld für ein millionenschweres, gescheitertes Tourismusprojekt zurückzahlen. Bootsbau hautnah erleben – das war die Idee, die Touristen nach Vegesack bringen sollte. Doch ein Jahrzehnt lang hat kein Besucher mehr den 14 Meter hohen, von der EU mitfinanzierten Aussichtsturm erklommen oder den Bootsbaulehrpfad besichtigt. Längst ist Gras über das Areal an der Weser gewachsen, auf dem die Hoffnungen der Tourismusbranche ruhten. Anfang des Jahres wurde das Werftgelände an die Lürssen-Gruppe übergeben. Die Geschichte eines Pleite-Projekts.
Einem Mahnmal gleich ragt der rote Aussichtsturm heute am Ende der Vegesacker Meile in den Himmel. Für Besucher ist er gesperrt. Drei Millionen Euro hatte die EU ab dem Jahr 2000 als Ko-Finanzierung zugesagt, damit Bremen beginnen konnte, hier, auf dem früheren Gelände der Vulkan-Werft, dem Standort der Bremer Bootsbau Vegesack (BBV) gGmbH, zu investieren. Die BBV qualifizierte damals Arbeitssuchende für den Bootsbau. Ein neuer Schiffsanleger wurde gebaut, eine Kinderwerft zum Mitmachen und eben jener rote Aussichtsturm, der Ausflüglern einen Panoramablick über Weser, Stadtgarten und das Gelände der Bootsbauer bieten sollte. Doch bald wurde das Areal zu dem, was es viele Jahre bleiben sollte: Ein Friedhof maritimer Träume.
2011 Insolvenz angemeldet
Ende 2011 meldete die BBV Insolvenz an. Auch die Idee, aus dem Werftgelände fix einen maritimen Forschungsstandort zu machen, verpuffte: Die BBV baute keine öffentlich zugängliche Ballastwasser-Aufbereitungs-Testanlage, um eingeschleppte Tiere wie die chinesische Wollhandkrabbe aus Schiffswasser zu filtern. Stattdessen wurde 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Schuldenberg der Werft belief sich laut Insolvenzbüro auf 450.000 Euro. Um Geld reinzubekommen, startete im Mai 2013 der große Ausverkauf der Werft: Binnen neun Stunden versteigerte der Auktionator bei brütender Hitze 900 Positionen. Unter den Hammer kamen Schiffe, Schweißtische und eine Paella-Pfanne. Die Auktion hatte Volksfest-Charakter. Im alten Magazin gab es heiße Würstchen. Und auf dem sonnigen Platz vor dem roten Aussichtsturm konnten Bieter und Schaulustige Schiffe und Schrottberge begutachten.
Doch weder alle früheren Ausstellungsstücke noch das Gelände selbst fanden Abnehmer. Seit der Pleite 2012 rosteten auf dem Werftgelände hinter den meterhohen Fluttoren Heringslogger und andere alte Kähne vor sich hin. Der Bootsbaulehrpfad war als letztes Highlight der gläsernen Werft gedacht gewesen. Doch auch mit diesem, 90.000 Euro teuren Projekt konnte Bremen das Ruder nicht herumreißen. Und muss nun für die Pleite zahlen. Denn die EU-Fördergelder waren an das inhaltliche Konzept des Tourismusprojekts und an einen bestimmten Zeitraum – zehn Jahre nach der letzten Zahlung – geknüpft.
Rückzahlungsforderung erwartet
Dass eine Rückzahlung droht, schwante dem damaligen Staatsrat im Wirtschaftsressort deshalb schon 2012. Er rechnete mit Rückzahlungsforderungen von mehr als einer halben Million Euro für den Fall, dass das Areal anders genutzt würde, als ursprünglich vorgesehen. Er hat richtig kalkuliert, wie sich jetzt herausstellt: „Nach dem Verkauf des Geländes werden nun in diesem Jahr gemäß Bescheid Mittel in Höhe von rund 525.000 Euro zurückgezahlt“, berichtet auf Anfrage die Sprecherin der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), Andrea Bischoff. „Die Rückzahlung erfolgt aufgrund der Insolvenz der BBV – nicht aufgrund der Nichtnutzung des Turms“, betont sie.
Bei der Rückzahlungsforderung handelt es sich der WFB zufolge um Geld, das Bremen über das Förderprogramm „Förderung von Projekten im Rahmen des Dienstleistungsfonds“ bekommen habe. „Für den Bau und die Einrichtung des Schaufensters Bootsbau wurde im Jahr 2003 die Förderung des Projekts bewilligt und die Summe durch den Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen ausgezahlt. Die Zweckbindungsfrist für die Mittel endete am 30. Juni 2019“, so Andrea Bischoff weiter. Da das Projekt vor dem Ende dieser Frist, am 31. August 2013, endgültig eingestellt worden sei, müssten anteilig Fördermittel zurückgezahlt werden.
Die WFB hat die halbe Million nach den Worten von Andrea Bischoff im Dezember an die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa übermittelt. Das Wirtschaftsressort wiederum sei für die Rückzahlung an die EU zuständig.
Turm für Besucher gesperrt
Der Aussichtsturm ist seit mehr als einem Jahrzehnt gesperrt. Mit der Insolvenz der Werft wurde Besuchern auch die Nutzung des Turmes untersagt. „Ein offener Betrieb ohne Aufsicht und Pflege des Bauwerks ist nicht möglich“, begründet Andrea Bischoff.
Mit dem im Dezember 2022 besiegelten Verkauf des Geländes an die Lürssen-Gruppe hat auch der Turm den Besitzer gewechselt: „Die Lürssen Werft hat im Zuge des Kaufs der Gläsernen Werft auch den Roten Aussichtsturm erworben“, erläutert Lürssen-Sprecherin Sylke auf dem Graben. Dass er jemals wieder der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird, ist unwahrscheinlich. Dazu Sylke auf dem Graben: „Bezüglich der Verwendung des Turms gibt es noch keine Planung. Er wird aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, da er sich auf dem Betriebsgelände der Firma Lürssen Werft befindet.“