Im Umsonstladen des Flüchtlingsnetzes Stuhr an der Bremer Straße in Brinkum herrscht reges Treiben. Die Kundinnen und Kunden stöbern durch die Waren, immer wieder kommen auch Spenderinnen und Spender mit Kartons und neuen Artikeln vorbei. "Das Angebot wechselt von Tag zu Tag", sagt Dörthe Siemers-Wulff vom Flüchtlingsnetz. Hinten in der Werkstatt kümmert sich Ingo Cordes um die elektrischen Geräte und die Reparatur von Fahrrädern. "Wir sind hier quasi auch die Spendenannahme", sagt Cordes.
Die Einrichtungen des Flüchtlingsnetzes mit dem Treffpunkt B5, in dem Aktionen und Beratungen stattfinden, dem Umsonstladen inklusive dem Lager und der Fahrradwerkstatt leisten eine wichtige Aufgabe bei der Integration von Flüchtlingen in der Gemeinde Stuhr, sind sich die Beteiligten einig. Doch das Engagement ist bedroht. Durch die Ortskernumgestaltung in Brinkum muss auch das Flüchtlingsnetz seine Räume verlassen. Vor Ort plant die Bremer Specht-Gruppe als Investor für den Ortskern eine Pflegeeinrichtung für Seniorinnen und Senioren (wir berichteten).
Abriss erst im Jahr 2025
Eigentlich sollten die Engagierten bereits im Oktober dieses Jahres die Gebäude verlassen. "Wir haben schon nicht mehr so in die Zukunft geplant", sagt Siemers-Wulff. Doch jetzt bleibt noch ein bisschen mehr Zeit. Die Verlagerung ist nun "voraussichtlich für Anfang 2025 geplant", der Abriss der Gebäude beginne nach aktuellem Zeitplan "frühestens im Sommer 2025", teilt Stuhrs Bürgermeister Stephan Korte auf Anfrage des WESER-KURIER mit. Auch Frauke Meyenberg, Pressesprecherin der Specht-Gruppe, bestätigt die Planungen für die Abrissarbeiten für das "dritte Quartal 2025". Die Aktiven sprechen trotzdem von einer "gewissen Unsicherheit".
Wie geht es also weiter mit den teils stark frequentierten Einrichtungen des Flüchtlingsnetzes? Die Aktiven um Andre Becker und Torsten Ehlers von der Fahrradwerkstatt suchten immer wieder das Gespräch mit der Gemeinde. "Wir haben vier Funktionen unter einem Dach", sagt Becker. Dazu gehören die Fahrradwerkstatt, der Umsonstladen, das Beratungsgeschäft und der Treffpunkt B5. Die Gemeinde habe dem Flüchtlingsnetz in den vergangenen Jahren verschiedene alternative Objekte in Brinkum, Seckenhausen, Stuhr und Groß Mackenstedt angeboten, blickt Bürgermeister Stephan Korte zurück. Die Räume hätten jeweils aber keine Zustimmung erhalten, weil nicht alle Funktionen des Flüchtlingsnetzes dort Platz gefunden hätten, so Korte weiter.
Alternativen im Blick
In neuen Gesprächen mit Stephan Korte konnten die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer nun zumindest einen Teilerfolg erzielen. So bot die Gemeinde Räume an der Schmidtstraße in Seckenhausen für die Fahrradwerkstatt an. Das Beratungsangebot könnte in das Multifunktionshaus an der Bassumer Straße 10 ziehen, berichtet Andre Becker aus den Gesprächen. "Die Gemeinde ist bereit, wie bislang, eine kostenfreie Nutzung von Räumlichkeiten zu ermöglichen", sagt auch Stephan Korte und bestätigt ein neues Angebot an das Flüchtlingsnetz.
"Die Räume an der Schmidtstraße sind zwar deutlich kleiner, wären aber als Fahrradwerkstatt tauglich", sagt Andre Becker zu dem Angebot. Daher habe sich das Flüchtlingsnetz entschieden, zumindest mit der Fahrradwerkstatt nach Seckenhausen umzuziehen. "Dort haben wir wahrscheinlich aber weniger Publikumsverkehr", nennt er eine Einschränkung. "Es ist sehr weit ab vom Schuss", sagt auch Hanna Bakker vom Ehrenamtlichen-Team. "Eine Ideallösung wie in Brinkum" sei aber eigentlich auch unmöglich, weiß Andre Becker. "Das ist von der Lage ein Traum gewesen", sagt er weiter. Die Gemeinde wolle die Räume in Seckenhausen auch noch herrichten.
Für das Beratungsangebot stünde dann das frisch-sanierte Gebäude an der Bassumer Straße 10 zur Verfügung. "Wir bräuchten einen Raum mit Drucker und Scanner", weist Andre Becker auf die Anforderungen hin. Das könnte im Mehrzweckhaus realisiert werden. "Wie wir das Beratungsangebot weiterführen, möchten wir kurzfristig mit der Gemeinde abklären", sagt Becker zu dem Angebot. Sowohl die Räume für die Fahrradwerkstatt als auch für das Beratungsangebot sollen "schnellstmöglich, voraussichtlich Anfang 2025, nutzbar sein", betont Stephan Korte.
Kein Platz für den Umsonstladen
Fehlen noch Räume für den Treffpunkt B5 und vor allem für den Umsonstladen. "Räumlichkeiten für den Umsonstladen stehen bislang hingegen nicht zur Verfügung. Hier sind wir noch auf der Suche", sagt der Bürgermeister, was für Ernüchterung bei den Aktiven des Flüchtlingsnetzes sorgt. "Viele Menschen sind auf den Umsonstladen angewiesen", sagt Antje Kanarski vom Flüchtlingsnetz. Gerade jetzt im Winter würden viele Frauen kommen und Winterkleidung für Kinder benötigen. "Die verteilen sie dann auch in ihrer Community,", sagt sie weiter. "Es ist ein Ding, was bleiben müsste. Der Umsonstladen hat sich bewährt. Es würde zu einer reichen Gemeinde wie Stuhr passen, sich auch um die nicht ganz so Reichen zu kümmern", ergänzt Dörthe Siemers-Wulff.
Neben der Kundenseite gebe es auch noch den Spenderblick. "Viele sind glücklich, dass sie ihre Haushaltsauflösungen nicht wegschmeißen müssen und andere freuen sich darüber", sagt Siemers-Wulff außerdem. Auch Andre Becker ergänzt: "Wir haben jeden Tag vier bis fünf Spenden." Hinzu komme das Projekt "Spenden statt entsorgen", das das Flüchtlingsnetz gemeinsam mit dem nahen Mehr-Generationen-Haus (MGH) und der Abfallwirtschaftsgesellschaft (AWG) betreibt. So werden bei der AWG Elektrogeräte abgegeben, die dann vom Reparatur-Café des MGH überprüft und repariert werden. Diese werden dann an Bedürftige über den Umsonstladen weitergegeben. "Dafür müsste man sich dann auch eine Alternative überlegen", sagt Becker. "Das hat auch etwas mit Nachhaltigkeit zu tun", ergänzt Antje Kanarski.
Anforderungen an Objekte
Aber was müsste ein potenzieller Raum für den Umsonstladen mitbringen? "Er müsste eine gewisse Größe wie der jetzige Laden und ein Lager haben", sagt Andre Becker. Die Ehrenamtlichen bräuchten auch Platz, die eingehenden Spenden zu sortieren und zu sichten. "Er müsste auch relativ zentral liegen und nicht an den Ortsrändern", sagt Becker weiter. So müsste der Ort am besten in Brinkum oder Alt-Stuhr sein. "Wir müssen auch die Schwellen abbauen", betont Antje Kanarski. Sie könnte sich einen Laden vorstellen, in dem auch Platz für ein kleines Büro ist, in dem das Flüchtlingsnetz seine Beratungen anbieten kann.
"Schade" findet es Kanarski auch, das noch keine Lösung für einen Begegnungsraum, der Integration ermögliche, gefunden ist. "Alle reden von Integration und dann wird uns der Raum genommen", sagt sie weiter. "Viele nutzen das hier als Treffpunkt", sagt auch Dörthe Siemers-Wulff mit Blick auf das B5.
Das Flüchtlingsnetz hofft daher noch auf weitere Angebote – vielleicht auch aus der Bevölkerung. So hat das Team auch leer stehende Immobilien im Blick, so Andre Becker.
Auch sei die Gruppe immer auf der Suche nach Unterstützung. Durch die Corona-Pandemie seien viele Aktive abgesprungen. Derzeit umfasst die Gruppe rund 15 Helferinnen und Helfer, andere wiederum betreuen Geflüchtete ohne die Anbindung ans Flüchtlingsnetz. "Hilfe wird immer benötigt. Diese nimmt auch viel Zeit in Anspruch und ist sehr intensiv", berichtet Helfer Christian Lassek über die Unterstützung bei Behördengängen oder zum Arzt. Aber sie sei auch effektiv: "Flüchtlinge in Betreuung tun sich leichter mit der Integration. Sie sprechen eher Deutsch und finden eher einen Job. Sie sind deutlich erfolgreicher", hat Andre Becker beobachtet.
Und auch Stuhrs Bürgermeister Stephan Korte lobt die Arbeit: "Das Flüchtlingsnetz mit seinen ehrenamtlich Tätigen leistet wertvolle Unterstützung bei der Betreuung und Integration der Geflüchteten und ist ein enger Kooperationspartner der Gemeinde. Insbesondere die Hilfestellung beim Ausfüllen von Anträgen und die Ausgabe von reparierten Fahrrädern zur Verbesserung der Mobilität ist ein wichtiger Bestandteil der Integrationsarbeit." Neben der miet- und betriebskostenfreien Überlassung der Räumlichkeiten unterstütze die Gemeinde das Flüchtlingsnetz bei den Geschäftsausgaben und der Förderung gezielter Projekte. Die Gemeinde bemühe sich "daher sehr darum, geeignete alternative Räumlichkeiten anbieten zu können", verspricht er.