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Energiewende Stephan Weil: "Wir müssen schneller werden"

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) berichtet im Interview mit dem WESER-KURIER, wie es mit der Energiewende vorangeht und wann Grundschullehrer mehr Geld bekommen.
16.12.2022, 05:00 Uhr
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Stephan Weil:
Von Peter Mlodoch

Herr Weil, Weihnachten ist die Zeit der Wünsche. Was ist Ihr größter politischer Wunsch für das nächste Jahr?

Stephan Weil: Das klingt vielleicht etwas kitschig, ist aber bitter ernst gemeint: Friede auf Erden und vor allem auch in der Ukraine.

Danach sieht es leider nicht aus.

Man kann nur hoffen. Ich bin immer noch einigermaßen erschüttert davon, dass sich in der russischen Gesellschaft kein relevanter Widerstand abzeichnet. Nach all dem, was passiert ist, muss inzwischen auch dort eigentlich überall klar sein, dass dieser Krieg nicht nur ein Verbrechen in der Ukraine ist, sondern auch in Russland selbst größte Schäden auslöst. 

Auch in Niedersachsen sind die Folgen dieses Krieges zu spüren. Um die Menschen und Betriebe davon zu entlasten, haben Sie mit Ihrer rot-grünen Koalition im Rekordtempo einen Nachtragshaushalt für ein Sofortprogramm unter Dach und Fach gebracht. Geht es mit der Umsetzung der Hilfspakete in die Praxis auch so fix?

Im Prinzip ja. Aber leider noch nicht überall. Wir haben insbesondere dort Probleme, wo der Bund parallel ebenfalls an Programmen arbeitet. Hier müssen wir die Schnittstellen gut organisieren und Konfusion vermeiden. Diese Gefahr bestand bis vor ganz kurzer Zeit bei der Hilfe für kleine und mittlere Unternehmen. Dort haben wir auf der Ministerpräsidentenkonferenz einen Durchbruch erzielt; unsere vom Bund aufgestockte Landeshilfe für die Betriebe kann bald starten. Aber in anderen Bereichen müssen die Hilfen noch aufeinander abgestimmt werden – beispielsweise im Kultursektor.

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Hat der aktuelle Beschluss, Besitzer von Öl- und Pelletheizungen zu unterstützen, für Entspannung gesorgt?

Teils, teils. Es ist gut, dass der Bund nach vielen Monaten hier endlich Hilfsangebote machen will. Wir sind aber noch nicht sicher, ob dieses Angebot bei der vorgesehen Berechnung wirklich ganz vielen Menschen helfen wird. Und schließlich rätseln wir noch, wie das Ganze eigentlich in die Praxis umgesetzt werden soll. Zuständig dafür sollen die Länder sein. Der Bund hat mit uns Ländern aber vorher nicht geredet, wie man sich das vorstellen könnte. Solche Gespräche müssen schnell folgen. Sonst bekommen die allermeisten Länder große Probleme, ein einigermaßen praktikables Verfahren zu installieren.

Um welche Dimensionen geht es?

In Niedersachsen reden wir über rund 800.000 Haushalte, die im Prinzip antragsberechtigt wären. Das ist keine kleine Zahl. Und weil die Voraussetzungen bislang sehr streng sind, müssen wir uns auch davor hüten, zu große Erwartungen zu wecken. Viele werden die Voraussetzungen nicht erfüllen können. All das wird nicht ganz einfach zu vermitteln sein.

Am Anfang schien es auch beim landeseigenen Härtefallfonds zu hapern. Sind Sie da weitergekommen?

Ja. Die Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände steht vor dem Abschluss. Deswegen gehe ich davon aus, dass direkt Anfang des neuen Jahres die Richtlinie dazu vorliegen wird. Ich freue mich, dass in erkennbar mehr Kommunen in allen Teilen Niedersachsen daran gearbeitet wird, die entsprechenden Fonds aufzubauen. Wir sind als Land bereit, diese mit zu finanzieren. Aber wir brauchen natürlich die Prüfung vor Ort.

Bekommen auch Bürger, die in Städten oder Kreisen ohne eigenen Fonds leben, Unterstützung bei hohen Energiekosten?

Diese Hilfe muss vor Ort geprüft und entschieden werden. Wir können als Land keine Härtefallprüfungsbehörde aufbauen. Da bitte ich um Verständnis. Das Beispiel Hannover zeigt uns, dass die Fonds vor Ort richtig angesiedelt sind. Dort gibt es die nötigen Erkenntnisse und im Zweifel auch bessere Wege, Menschen zu helfen, als wenn wir das vom grünen Tisch aus auf Landesebene versuchen würden. Der Härtefallfonds als Teil unseres Sofortprogramms ist ein Angebot an die Kommunen und Energieversorger. Als Land übernehmen wir ein Drittel der Hilfen.

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Welche Schwerpunkte sind im nächsten Jahr von Ihrer neuen Regierung zu erwarten?

Je nachdem, wie es in Ukraine weiterläuft, wird uns die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten weiter intensiv beschäftigen. Wir haben in diesem Jahr eine Rekordzahl von Menschen aufgenommen, deutlich über eine Million in Deutschland und rund 130.000 in Niedersachsen. Dies fordert die Kommunen und das Land enorm. Ich hoffe sehr, dass sich die Situation in der Ukraine wieder beruhigen wird und die Menschen auch dort eine Chance haben, einigermaßen durch den Winter zu kommen. Das würde dann auch die Lange hier etwas entspannen. Aber klar ist, dass wir den Menschen helfen möchten, die unter diesem grausamen Krieg leiden. Das zweite Thema ist dann hoffentlich eines, das künftig hoffentlich weniger herausfordernd sein wird. Mit dem Energiepreisdeckel, der an diesem Freitag im Bundesrat abschließend beschlossen werden soll, kommt eine große Entlastung für die von den Preissteigerungen gebeutelten Menschen. Aber in Härtefällen wollen wir als Land helfen. Das dritte Thema, das dann ganz weit nach vorne gestellt werden muss, lautet: Wir müssen wesentlich schneller werden bei der Energiewende.

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Und wie?

Der erste Flüssiggastanker ist in Wilhelmshaven angekommen. Wir werden ihn am Sonnabend begrüßen. Die Geschwindigkeit, in der dieses Vorhaben realisiert worden ist, muss für uns der Maßstab sein, wie wir auch alle anderen Vorhaben für die Energiewende deutlich schneller hinbekommen. Das wird uns massiv beschäftigen. Im Jahr 2023 erwarte ich noch keinen großen Durchbruch bei den Zubauzahlen etwa für Windanlagen. Aber damit das 2024 geschieht, müssen 2023 wichtige Voraussetzungen geschaffen werden. Das wird ein Schwerpunkt des Umwelt- und des Wirtschaftsministeriums.

Und in anderen Bereichen?

Im sozialen Sektor wird es um die strukturelle Verbesserung der Situation in den Krankenhäusern gehen. Dazu hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einen Vorschlag gemacht, der sich aber nur mit den Ländern gemeinsam umsetzen lässt. Denn Krankenhausplanung ist Sache der Länder. Wir in Niedersachsen sind mit unserem neuen Krankenhausgesetz vorangegangen. Wir können schon viele Dinge konkret umsetzen und wollen das auch tun. Im Bildungsbereich werden wir hart daran arbeiten, dass wir zur gleichen Eingangsbesoldung für alle Lehrerinnen und Lehrer in Niedersachsen kommen. Dieser Schritt ist auch deshalb notwendig, weil wir insbesondere in den Grundschulen für eine bessere Bildungsqualität sorgen müssen. Da sind die Ergebnisse der jüngsten Bildungsvergleiche sehr eindeutig.

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Jetzt haben Sie die nächste Frage bereits vorweggenommen. Der Einstieg in eine höheren Besoldung für Grund-, Haupt- und Realschullehrern soll also schon 2023 erfolgen?

Das hoffe ich sehr, das kann aber nur Teil des Haushalts für 2024 sein. Aber über den reden wir schon im Mai 2023 auf Basis der nächsten Steuerschätzung. Die Gleichbehandlung der Lehrerinnen und Lehrer ist für mich ein wichtiges Thema.

Zurück in diesen Winter: Ist Niedersachsen für mögliche neue Corona-Wellen vorbereitet?

Corona macht uns derzeit weniger Sorgen. Wir haben es zum Glück nicht mit gänzlich neuen Mutationen zu tun. Stand jetzt – toi, toi, toi – haben wir bei einem vergleichsweise niedrigen Schutzniveau die Dinge ganz gut unter Kontrolle. Aber auch hier gilt der Grundsatz: Die Summe der Probleme bleibt immer gleich. Statt Corona erleben wir gerade eine große Infektionswelle mit zahlreichen Atemwegserkrankungen. Das ist sicherlich auch ein Reflex auf ein reduziertes Immunsystem nach zwei Corona-Jahren und fordert die Menschen im Gesundheitswesen enorm. Auch in gesundheitlicher Sicht ist der Anfang des Jahres also sehr anspruchsvoll.

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Da ist es sicher nicht hilfreich, dass einige Bundesländer ihre Regeln zu Masken und Isolation lockern.

Seit Beginn der Pandemie ist es immer so gewesen, dass wir bei einzelnen Thema unterschiedliche Handhabungen in den Ländern hatten. Ich erinnere nur an die Baumarkt-Diskussion am Anfang der Pandemie. Ich wünsche mir das alles nicht, und jedenfalls Niedersachsen verhält sich so wie die große Mehrheit der Länder. Wir haben derzeit ein Schutzsystem auf niedrigem Niveau, aber das ist auch einstweilen weiter notwendig.

Die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und die Pflicht zur Isolation bei einer Corona-Infektion bleiben also vorerst?

Ja. Für mich ist es eindeutig: Wenn jemand krank ist und andere Menschen anstecken kann, dann bleibt er besser zu Hause. Wenn wir weiter so gut durch diesen dritten Corona-Winter kommen, wie es bislang gelungen ist, werden wir sicherlich im Frühjahr darüber reden können, ob wir dann keine weiteren Schutzmaßnahmen mehr brauchen. Aber so weit sind wir jetzt noch nicht.

Können Sie eigentlich alle Regeln zumindest in Niedersachsens Nachbarländern aufzählen?

Nein, das konnte ich aber noch nie. Ich weiß, dass die unterschiedlichen Regeln in der Öffentlichkeit immer wieder ein Stein des Anstoßes sind. Einen Schönheitspreis gewinnt der Föderalismus damit ganz bestimmt nicht. Gleichzeitig hat er Deutschland nicht daran gehindert, in der Summe ganz erfolgreich gegen die Pandemie vorzugehen. Insofern rege ich mich nicht mehr darüber auf.

Nach Ihrem Wahlerfolg im Oktober befinden Sie sich jetzt in Ihrer dritten Amtsperiode nacheinander. Werden Sie diese auch bis zum Ende durchhalten?

Da gilt die gleiche Antwort, die ich schon dutzendfach gegeben habe: Ja, das ist der Plan.

Gilt dies auch für Ihren Vorsitz der Landes-SPD? Oder leiten Sie hier einen Stabswechsel ein?

Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Darüber haben wir uns in der niedersächsischen SPD noch nicht abschließend unterhalten. Bis zum nächsten Landesparteitag im Sommer ist es ja auch noch eine Weile hin.

Zum Schluss dürfen Sie auch noch einen Weihnachtswunsch für Sie persönlich loswerden.

Am liebsten einfach nur ein paar Tage Ruhe. Das war ein besonders stressiges Jahr, da geht es mir wie den meisten anderen Menschen in unserem Land. Nicht alles, was wir in diesem Jahr erlebt haben, war schön. Bei mir kam dann noch ein echt anstrengender Wahlkampf dazu. Und jetzt freue ich mich darauf, dass ich ein paar Tage mal nichts machen muss.

Das Gespräch führte Peter Mlodoch.

Zur Person

Stephan Weil (64)

ist seit Februar 2013 Ministerpräsident von Niedersachsen. Am 8. November trat er in einer rot-grünen Koalition seine dritte Amtsperiode an. Von 2006 bis 2013 war der frühere Richter Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Hannover. Seit 2012 leitet der gebürtige Hamburger die Landes-SPD.

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