Die Ansage kam zum Schluss und eher beiläufig. Aber umso überraschender war sie. Über 53 Minuten hatte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Dienstag in Hannover gut gelaunt und geduldig alle möglichen Fragen der Landespressekonferenz zu seiner Partei und deren neuen Vorsitzenden, zu Landwirtschaft und Bauernprotesten, zum Klima in der Koalition und zu seiner eigenen Zukunft beantwortet. Da probierte es ein Zeitungsmann plötzlich noch mit dem Reizthema Tempolimit. „Die ganze Diskussion hängt doch fast allen Menschen inzwischen ziemlich weit zum Halse raus. Ich bin dafür, dass wir jetzt einen Schnitt machen und sagen, jawoll, Tempolimit ist eine gute Sache“, antwortete Weil.
Die Journalisten glaubten, sich verhört zu haben. „130, davon ist die Rede“, bestätigte der Ministerpräsident auf Nachfrage seine Kehrtwende. Er verwies darauf, dass sich damit im Alltag der Autofahrer nicht viel ändern werde. „Nach meinen praktischen Erfahrungen ist es nämlich so gut wie ausgeschlossen, 130 Kilometer in der Stunde auf einer deutschen Autobahn zu fahren“, meinte das Aufsichtsratsmitglied von Volkswagen mit Blick auf die vielen bestehenden Einschränkungen aus Sicherheitsgründen, aber auch auf das dichte Verkehrsaufkommen. „Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass es so rum oder so rum nicht der ganz große Unterschied ist.“
Für den Klimaschutz sei ein Tempolimit zwar eine „ziemlich irrelevante Fragestellung“, fügte Weil an. „Dass wir uns aber daran so abarbeiten, lenkt von viel wichtigeren Fragen ab.“ Damit sollte nach 40 Jahren Diskussion nun endlich Schluss ein. Noch vor einem Jahr hatte der Aufseher des VW-Konzerns, des größten Arbeitgebers in Niedersachsen, allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkungen angesichts der Realität auf den vollen Autobahnen als „überflüssig“ bezeichnet.
Alles andere als begeistert reagierte der Koalitionspartner. „Die Debatte hat ein sehr emotionales Niveau erreicht. Es wird offenbar nur noch zwischen Rasern auf der einen und Klimaschützern auf der anderen Seite unterschieden“, sagte Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef Bernd Althusmann (CDU) dem WESER-KURIER. „Mehr Fakten würden der Diskussion guttun.
Wir sollten daher auf Grundlage belastbarer Studien über die tatsächlichen Auswirkungen eines Tempolimits debattieren und nicht auf Basis von Annahmen.“ Das Thema Sicherheit könne nicht das entscheidende Argument für ein Tempolimit sein, schließlich hätten viele andere EU-Länder trotz Geschwindigkeitsbegrenzung immer noch mehr Verkehrstote zu beklagen als Deutschland, betonte Althusmann. Niedersachsen habe mit seinen flexiblen Tempo-Regelungen auf Autobahnen einen guten Weg gewählt: Die erlaubte Geschwindigkeit werde durch Beeinflussungsanlagen an die jeweilige Situation angepasst, sodass der Verkehr vernünftig fließen könne.
Gutes Klima in Niedersachsens Großer Koalition
In der Fragestunde hatte Weil noch das gute Klima in Niedersachsens Großer Koalition gelobt, das von Vernunft und Nüchternheit geprägt sei. Natürlich gebe es bei den vielen Gemeinsamkeiten auch diverse unterschiedliche Auffassungen, etwa über neue Befugnisse für die Polizei oder in der Flüchtlingspolitik. „Wir sind nach wie vor nicht in der Gefahr zu verschmelzen, ganz und gar nicht“, meinte der SPD-Landeschef halb scherzend, halb ernst mit Blick auf die Partner von der CDU. Die Autobahnen erwähnte er bei möglichen Differenzen nicht.
Scharf kritisierte FDP-Fraktionsvize Jörg Bode die Weil-Aussage: „Die Forderung nach einem Tempolimit ist rein symbolisch und löst keine Probleme.“ Die Sicherheit auf den Straßen werde damit höchstens in Einzelfällen verbessert. „Wenn man sich wirklich um Verkehrssicherheit bemühen wollte, dann würde man über Baumunfälle an Landstraßen, Handynutzung beim Fahren oder Lkw-Auffahrunfälle in Baustellen/Stausituationen reden“, meinte der ehemalige Verkehrsminister. Grünen-Fraktionschefin Anja Piel lobte dagegen den Vorstoß als „ebenso erfreulich wie notwendig“. Die Kehrtwende komme allerdings spät und gehe nicht weit genug. Man brauche ein Tempolimit von 120, forderte Piel. „Denn die Raserei gefährdet Menschen und Umwelt.“
Beim Thema Landwirtschaft zeigte der Ministerpräsident Verständnis für die Sorgen und Proteste der Bauern, mahnte allerdings gleichzeitig deren Beitrag zum Klimaschutz an. So seien beim Grünland strenge Dünge-Grenzen kontraproduktiv, hier müsse die EU Ausnahmen zulassen. Andererseits sei die hohe Bestandsdichte von Kühen, Schweinen und Geflügel mit Blick auf Gülle und Kot gerade in Niedersachsen ein Problem. Man müsse zu der Erkenntnis gelangen, dass „weniger Nutztiere notwendig sind, aber Landwirte dennoch davon leben können“. Anständige Preise für landwirtschaftliche Produkte seien daher unabdingbar.
Auf Fragen zur SPD-Spitzenkandidatur bei der nächsten Landtagswahl im Herbst 2022 gab der Ministerpräsident ein klares Bekenntnis ab. Er wolle erneut antreten. „Wenn ich gesund bleibe, wenn meine Partei mich mag, wenn alle Beteiligten den Eindruck haben, dass das eine gute Lösung ist, sehr gerne“, widersprach Weil all jenen, die bei ihm gewisse Spuren von Amtsmüdigkeit festgestellt haben wollen. „Mir macht meine Arbeit anhaltend große Freude. Immer wenn ich in Niedersachsen unterwegs bin, fühle ich mich pudelwohl.“