Die ersten Weichen für die Ampel-Koalition sind gestellt. SPD, Grüne und FDP wollen erstmals dieses Experiment auf Bundesebene wagen. Der Union bleibt nur die Zuschauerrolle – zumindest vorerst. Denn ein Selbstgänger wird die Ampel trotz positiver Vorzeichen kaum werden.
Andererseits haben die Vorgespräche in einem erfrischend guten Klima stattgefunden. Darauf können die möglichen künftigen Partner aufbauen. Zumindest besteht die Chance, dass die Koalitionsverhandlungen nicht wie bei den Jamaika-Runden von 2017 in einem nervigen Herumgeeiere enden.
SPD, Grüne und Liberale scheinen aus dem damaligen Desaster gelernt zu haben. Alles richtig gemacht. Es war clever, dass die beiden kleineren Parteien das Heft des Handelns in die Hand nahmen. Es war zudem sehr überlegt, sich zur ersten Runde in der vergangenen Woche geheim zu treffen. Es war auch ein kluger Schachzug, erst einmal die Schnittmengen auszuloten und nicht mit lauter Spiegelstrich-Papieren in die Gespräche einzusteigen.
Ganz anders CDU und CSU. Aus ihren Reihen heraus wurde am Stuhl von Armin Laschet offen gesägt, ein gravierender Vertrauensverlust in den Umfragen ist die Folge. Noch dazu der bislang unbekannte Maulwurf, der Details aus dem vertraulichen Gespräch mit den Liberalen sogleich an die "Bild-Zeitung" ausplauderte. Vertrauen ist nun einmal das A und O für neue politische Partnerschaften. Für FDP-Chef Christian Lindner war der Regelverstoß die Steilvorlage, um mit Rot-Grün anzubändeln.
Deshalb ist es eher unwahrscheinlich, dass Jamaika doch noch eine Chance bekommt. Auch wenn FDP und Grüne eine Rückkehr an den Verhandlungstisch mit der Union nicht ausschließen. Die Jamaika-Karte bleibt also in der Hinterhand. Und sei es nur, um mit dieser Option den Preis in den kommenden Gesprächen hochzutreiben.
Diesen Preis wird am Ende vor allem die SPD zahlen. Olaf Scholz hat momentan gute Chancen, Angela Merkel im Kanzleramt zu beerben. Zwei Vorgaben stehen bereits fest. Die Grünen sind gezwungen, die Ampel mit dem Stempel "Klimaregierung" zu versehen. Und die Liberalen können kaum von ihren steuer- und finanzpolitischen Zielen abrücken, sie stehen beim Wähler in der Pflicht. Sie werden sich an 2009 und 2010 erinnern. Damals hatte Guido Westerwelle den Fehler gemacht, klare Steuerversprechen ("Mehr Netto vom Brutto") nicht einhalten zu können. Die Sozialdemokraten wiederum sind gezwungen, ihr Wahlkampf-Credo "Gerechtigkeit" und "Respekt" mit politischen Inhalten zu füllen.
Soweit sind die Rollen verteilt. In den kommenden und Wochen wird man viel von Markenkernen und roten Linien hören. Die größten Schnittmengen haben SPD, Grüne und FDP in gesellschaftspolitischen Fragen. Wahlrecht ab 16, eine kontrollierte Freigabe von Cannabis, eine moderne Zuwanderungspolitik – da trennt die drei Parteien nicht viel. Auch bei Klimaschutz und Digitalisierung sollte einiges gehen. In diesen Bereichen ist jeweils nicht das Ziel umstritten, aber der Weg dorthin.
Die politische Philosophie könnte sich noch als Problem herauskristallisieren. Denn während Sozialdemokraten und Grüne eher für eine aktive und gestaltende Rolle des Staates sind, steht die FDP für das Vertrauen in den Markt. Ein Feld, wo do diese beiden unterschiedlichen Ansätze einfach nicht zusammenpassen wollen, ist zum Beispiel die Wohnungspolitik.
Die Ampel wird jeder der drei Parteien noch schmerzhafte Kompromisse abverlangen. Aber in diesem Modell liegt nach drei Großen Koalitionen in den vergangenen 16 Jahren auch eine charmante Chance. Deutschland braucht rasch eine funktionierende Regierung. Die Aufgaben sind immens: Corona, Schuldenberg, die Krise der EU, geopolitische Herausforderungen.
Eine neue Regierung braucht auch immer eine gute Opposition. Das ist die Chance für CDU und CSU nach den Merkel-Jahren. Vor allem die Christdemokraten müssen sich personell neu aufstellen und endlich auch wieder programmatisch liefern. Das Jamaika-Aus könnte für die CDU am Ende die Chance für eine Erneuerung sein. Eine Chance, die die Partei eigentlich gar nicht wollte.