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Mehr Patientensicherheit ist Ziel Nach Högel-Morden: Was bringt Niedersachsens neues Krankenhausgesetz?

Nach der Aufdeckung der Mordserie von Niels Högel überarbeitete Niedersachsen sein Krankenhausgesetz, um die Patientensicherheit zu erhöhen. Was bedeuten die Neuerungen in der Praxis?
14.02.2022, 02:03 Uhr
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Nach Högel-Morden: Was bringt Niedersachsens neues Krankenhausgesetz?
Von Katia Backhaus

Als der vierte Prozess gegen Krankenpfleger Niels Högel begann, am Landgericht Oldenburg im Herbst 2018, da fragte der "Stern", warum Kliniken perfekte Orte für Serienmörder sind. Högel wurde in diesem Prozess wegen des Mordes an 85 Menschen verurteilt, die er während seiner Schichten im Krankenhaus mithilfe von Medikamenten ums Leben gebracht hatte. Die Frage, wie das geschehen konnte, in Einrichtungen, in denen Menschen geheilt und nicht getötet werden sollen, beschäftigte nicht nur den "Stern" und die deutsche Öffentlichkeit, sondern auch das niedersächsische Gesundheitsministerium. 

Zum 1. Januar 2019, als der Prozess gegen Högel noch lief, trat in Niedersachsen eine Novelle des Krankenhausgesetzes in Kraft. Das Ziel: mehr Sicherheit für Patientinnen und Patienten. Seit Anfang 2022 soll mit der verpflichtenden Einstellung von Stationsapothekern und Stationsapothekerinnen auch der letzte Punkt dieser Neuerung umgesetzt sein.

In Bremen wird derzeit der Fall eines 34-jährigen Pflegers untersucht, der zwei Patienten absichtlich getötet haben soll. Der Mann hatte bereits in Untersuchungshaft gesessen, ist nun aber wieder auf freiem Fuß – allerdings gilt ein Berufsverbot, bis der Vorwurf geklärt ist. Und am 17. Februar wird der fünfte Prozess im Högel-Komplex eröffnet, dann stehen acht ehemalige Vorgesetzte und Kollegen des Krankenpflegers aus Oldenburg und Delmenhorst vor Gericht. Anlass, um zu fragen: Was hat die Novelle des Krankenhausgesetzes gebracht? Antworten gibt es aus dem Delme-Klinikum und dem niedersächsischen Gesundheitsministerium. Das Klinikum Oldenburg möchte sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu dem Thema äußern.

Klinikum Delmenhorst: "Fühlen uns gut gerüstet"

"Unser Sicherheitsnetz ist im Verlauf der Jahre immer größer und stabiler geworden. Inzwischen fühlen wir uns sehr gut gerüstet, um zumindest eine Tötungsserie schneller erkennen zu können", meint Frank Starp, ärztlicher Direktor des Delme-Klinikums in Delmenhorst. Dort arbeitete Högel von Dezember 2002 bis Juni 2005, dort wurde er letztendlich ertappt. "Uns muss aber auch klar sein, dass es einen 100-prozentigen Schutz, gerade auch vor Einzeltaten, nicht geben kann", sagt Starp. Sein Haus ist eins von gut 180 Krankenhäusern in Niedersachsen und in mancher Hinsicht Vorreiter beim Thema Patientensicherheit.

Das Delmenhorster Sicherheitsnetz sei aus mehreren Fäden gewebt, berichtet Starp. Ein Faden ist die Arzneimittelkommission, die den Medikamentenverbrauch erfasst und überwacht. Die habe es schon gegeben, als Högel in dem Klinikum arbeitete. Das Konzept sei mittlerweile an das neue Gesetz angepasst worden, eine externe statistische Aufarbeitung sei hinzugekommen. Diese kann laut Starp soweit gehen, dass Verbräuche pro Patient und Behandlungszeitraum errechnet werden, um Fehl- und Überdosierungen auszuschließen.

Seit Mai 2018 verdichtet zusätzlich ein Stationsapotheker das Sicherheitsnetz des Klinikums. Als eines der ersten Krankenhäuser Deutschlands habe Delmenhorst diesen Posten geschaffen, berichtet Starp. Speziell ausgebildete Fachkräfte betreuen die einzelnen Stationen, beraten zu Nebenwirkungen und Dosierungen von Medikamenten. Außerdem haben sie den Vorrat im Blick: Wird ein Mittel deutlich häufiger verwendet als sonst, wird nicht einfach eine Neubestellung ausgelöst, sondern nachgefragt. Ob inzwischen alle Krankenhäuser in Niedersachsen diesen Posten besetzt haben, kann das Gesundheitsministerium nicht beantworten: "Auf Grund der mit der Bewältigung der Corona-Pandemie verbundenen hohen Belastung der Krankenhäuser wurde bisher davon abgesehen, die Krankenhäuser flächendeckend auf die Einhaltung der Rechtspflicht zum Einsatz von Stationsapothekerinnen oder Stationsapothekern zu überprüfen." In vielen Kliniken habe es diese aber bereits vor der Pflicht gegeben.

Dass Arzneimittel nicht nur Leben retten, sondern auch nehmen können, war Högel nur allzu bewusst. Siebenmal häufiger als in den Jahren zuvor wurde das Medikament Gilurytmal 2003 und 2004 auf der Intensivstation Delmenhorst bestellt, als er dort arbeitete – so schildert es Karl H. Beine in seinem Buch "Tatort Krankenhaus". Nachfragen habe es damals nicht gegeben.

Eine Verdachtsmeldung landet beim Ministerium

Mehr Kontrolle auf der einen Seite, mehr Freiraum auf der anderen: Um Missstände aufzudecken, hat das Klinikum Delmenhorst laut Direktor Starp im April 2016 ein Whistle-Blowing-System eingerichtet, um anonym Verdachtsmomente mitzuteilen. Inzwischen könnten sowohl "vermutete Zwischenfälle, Auffälligkeiten, aber auch ,Beinaheunfälle' oder mögliche Fehlerquellen innerhalb eines Ablaufs oder Prozesses" gemeldet werden. Einen Hinweis auf eine Straftat habe es bisher nicht gegeben. Ein anonymes Fehlermeldesystem ist nach niedersächsischem Krankenhausgesetz für alle Krankenhäuser im Land Pflicht – und laut Ministerium auch Realität. Wird etwas gemeldet, das auf eine besondere Gefährdung der Patientensicherheit schließen lässt, muss das Gesundheitsministerium benachrichtigt werden. Einmal sei das bislang vorgekommen. 

Die Fäden des Sicherheitsnetzes reichen bis an die Grenze des Lebens und darüber hinaus. In regelmäßigen Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen soll über Komplikationen, Todesfälle und "Beinahezwischenfälle" gesprochen werden – und darüber, ob sie vermeidbar gewesen wären, erklärt Starp. Hinzu kommt seit 2017 die qualifizierte Leichenschau, ein nach Delmenhorster Angaben bundesweites Pilotprojekt. Ein externer Rechtsmediziner überprüft dabei in einer dritten Leichenschau die im Krankenhaus festgestellte Todesursache. Starp würde es gern sehen, wenn das auch in anderen Häusern eingeführt oder sogar gesetzlich verankert werden würde.

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