Die Vorweihnachtszeit ist die Zeit der Spendenaufrufe. Viele Hilfsorganisationen appellieren dann besonders intensiv an das Mitgefühl der Menschen. Dass auch ein Fußballverein um Spenden bittet, ist eher ungewöhnlich, doch der BSV Kickers Emden tut genau das momentan. Der Klub aus Ostfriesland spielt zusammen mit dem SV Atlas Delmenhorst in der Oberliga Niedersachsen und steht als Tabellenzweiter sportlich sehr gut da. Finanziell dagegen sieht es düster aus. Der Spendenaufruf enthält klare Worte: "Die Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit müssen getilgt werden – damit der Spitzenfußball in Emden eine Zukunft hat, damit der BSV Kickers Emden als Verein überhaupt eine Zukunft hat." Auch konkrete Zahlen werden genannt: Es geht demnach um Gesamtschulden von 300.000 Euro, die sich aufteilen in 150.000 Euro aus kurzfristigen Verbindlichkeiten und 150.000 Euro aus langfristigen Darlehen.
Atlas-Sportchef Bastian Fuhrken hat die Meldung aus Emden überrascht zur Kenntnis genommen. "Ich kann das natürlich nur aus der Ferne beurteilen. Erst einmal ist es bedenklich, dass es solch einen Hilferuf gibt. Die Lage muss ernst sein", sagte er. Die Delmenhorster und die Emder pflegen eine sportliche Rivalität, die Fanlager beider Klubs sind verfeindet. Dass die Kickers vor der laufenden Saison mit Julian Stöhr, Tobias Steffen und Efkan Erdogan gleich drei Spieler vom SV Atlas verpflichteten, sorgte zusätzlich für Ärger. Fuhrken betont aber, dass Schadenfreude fehl am Platz sei: "Ich habe großen Respekt vor den handelnden Personen in Emden. Auf die Spiele gegen Kickers freue ich mich immer. Ich hoffe, dass sie es hinbekommen, ihre Probleme zu lösen."
Namhafte Zugänge aus Oldenburg
In der laufenden Saison warf der SV Atlas die Emder aus dem Niedersachsenpokal (4:2) und kassierte im Ligaspiel eine 0:2-Niederlage in Ostfriesland. Am Ende der vergangenen Spielzeit waren die Delmenhorster und die Emder gemeinsam aus der Regionalliga Nord abgestiegen. Mit der Unterstützung ihres neuen strategischen Partners Henning Rießelmann rüsteten die Kickers anschließend personell enorm auf. Es kamen nicht nur die drei Spieler vom Erzrivalen Atlas, sondern unter anderem auch die drittligaerfahrenen Fabian Herbst, Dennis Engel und Kai Kaissis vom VfB Oldenburg. Rießelmann stellte von Anfang an klar, dass das Ziel die Ausgliederung der ersten Herrenmannschaft aus dem eingetragenen Verein (e.V.) in eine GmbH sein müsse, um die Voraussetzungen für Leistungsfußball zu schaffen.
In der Mitteilung der Kickers wurde Rießelmann nun wie folgt zitiert: "Die Lage ist nicht hoffnungslos, aber sehr ernst. Die Verbindlichkeiten im e.V. müssen weg, sonst können wir nicht ausgliedern." Die Kickers-Führung um den Vorsitzenden Jörg Winter erklärte: "Wir sind als Vorstand mit großer Unterstützung durch den Wirtschaftsrat und viele Sponsoren, aber auch persönlich an unsere finanziellen Grenzen gegangen, um den Weg frei zu machen für den unter Henning Rießelmann bereits so vielversprechend eingeschlagenen Neuanfang. Dabei sind Henning und sein Team sowohl finanziell als auch operativ extrem in Vorleistung gegangen und haben ohne die vereinbarte Ausgliederung bisher den Spielbetrieb der ersten Mannschaft finanziert."
Vorstand gesteht Fehleinschätzung ein
Voraussetzung für die Ausgliederung ist die Erstellung einer Geschäftsbilanz. Das war zuvor nicht nötig. Zunächst war das Geschäftsjahr bis zum 30. Juni 2022 dran, dann folgte der Zeitraum bis zum 30. Juni 2023. Das Ergebnis war wenig erfreulich für die Emder, das eine Jahr in der Regionalliga dürfte teuer gewesen sein. "Wir sind nun im Rahmen der erstmals notwendigen Bilanzierung leider an einem Punkt angelangt, wo wir als Vorstand eingestehen müssen, dass wir das Ausmaß der Altschulden unterschätzt haben und der e.V. ohne weitere Hilfe von außen nicht überleben kann", teilte die Klubführung mit. Zusätzliche Kosten entstanden dem Verein zuletzt, weil der Ex-Sportdirektor Daniel Franziskus vor dem Arbeitsgericht die Nachzahlung mehrere Monatsgehälter erwirkte. Seine Arbeit hatte er wegen Streitereien nie wirklich aufgenommen.
Die Lizenz für die Oberliga erhielten die Kickers im Sommer ohne Auflagen. Als Folge der Corona-Krise hatte der Niedersächsische Fußballverband das Zulassungsverfahren vereinfacht und verzichtete auf umfangreiche wirtschaftliche Prüfungen. Aktuell heißt es aus Emden, der Spielbetrieb sei trotz der Schulden gesichert. Das liegt vor allem an Rießelmann, der das erste Herrenteam finanziert. Der strategische Partner hatte bei der Ausgliederung der Oberliga-Mannschaft stets aufs Tempo gedrückt. Ursprünglich sollte alles in diesem Jahr über die Bühne gehen, doch daraus wird nichts mehr. Von einem möglichen Ausstieg Rießelmanns ist bislang dennoch nichts zu hören.
Der Verein setzt jetzt alle Hoffnungen in die Spendenkampagne unter dem Motto: "Wir retten Kickers!" Auf der extra eingerichteten Internetseite www.wir-retten-kickers.de lässt sich der Spendenstand einsehen. Er lag am Mittwochnachmittag bei rund 17.000 Euro. Das erklärte Ziel sind 150.000 Euro. Mehrere Aktionen des Vereins sollen bei der Spendensammlung helfen. Vor dem Heimspiel gegen Arminia Hannover am 6. Dezember steigt etwa ein Weihnachtssingen im Ostfriesland-Stadion, um viele Zuschauer anzulocken. Die Besucherzahlen sind aber ohnehin das geringste Problem der Ostfriesen, denn sie kommen auf einen beachtlichen Schnitt von rund 1500 Fans pro Heimspiel.