Umjubelte Triumphe, rauschende Feiern, bittere Niederlagen, schmerzhafte Trennungen – Bastian Fuhrken hat mit dem SV Atlas Delmenhorst seit der Neugründung im Jahr 2012 fast alles erlebt, doch am Dienstagabend machte der Sportvorstand mal wieder eine ganz neue Erfahrung. Eine Erfahrung, auf die er gerne verzichtet hätte. "Das war brutal. Solche Situationen mag ich überhaupt nicht", sagt Fuhrken. Um 18 Uhr verabschiedete sich der freigestellte Trainer Dominik Schmidt von der Mannschaft, nur wenige Minuten später stellte sich der neue Coach Key Riebau den Spielern vor. "Um 18.23 Uhr ging es schon raus zum Training", berichtet Fuhrken.
Der Sportvorstand richtete zusammen mit Vereinschef Jörg Neunaber zwischendurch auch ein paar Worte an die Mannschaft. "Ich habe den Spielern klargemacht, dass nicht Dominik Schmidt an der ganzen Sache schuld ist, sondern wir alle. Da nehme ich mich genauso mit rein wie jeden einzelnen Spieler. Ich musste dann aber auch die Kurve kriegen zu motivierenden Worten, schließlich ging es direkt mit dem Training weiter", schildert Fuhrken seine verbale Gratwanderung. Am Atlas-Mitgründer zeigt sich, welches Gefühlschaos der gesamte Verein aktuell durchlebt. Da ist die Enttäuschung über die bislang verkorkste Saison, der Ärger über eigene Fehler, die Traurigkeit über das Schmidt-Aus und die Hoffnung, dass mit Riebau nun alles besser wird.
Viel Zeit bleibt nicht, um das alles zu ordnen. An diesem Sonnabend, 26. Oktober, steht das Heimspiel gegen Lupo Martini Wolfsburg an (14 Uhr). Nach neun sieglosen Ligapartien in Folge und dieser turbulenten Woche braucht der Tabellenletzte der Fußball-Oberliga dringender denn je ein Erfolgserlebnis. "Wir können es nicht zulassen, dass wir auf einem Abstiegsplatz in der Oberliga stehen. Dafür gibt uns der Verein als erster Mannschaft zu viel, das müssen wir jetzt zurückzahlen", betont Fuhrken. Der SV Atlas ist zwar schon einmal aus der Regionalliga Nord abgestiegen, doch aktuell befinden sich die Blau-Gelben in der wohl größten Krise seit der Neugründung.
Schadensbegrenzung ist das Ziel
Sie wollten um den Regionalliga-Aufstieg mitspielen, sind jetzt aber drei Punkte von den Nichtabstiegsplätzen entfernt. "Es geht um Schadensbegrenzung", hält Fuhrken fest. Ein Abstieg in die Landesliga würde großen Schaden anrichten. "Wenn es so weitergeht, muss man sich von Dingen trennen, die wir aufgebaut haben. Das geht alles kaputt, wenn wir sportlich nicht mehr erfolgreich sind", sagt Fuhrken. Er meint damit vor allem das professionelle Umfeld, das der Mannschaft durch den Einsatz vieler Ehrenamtlicher geboten wird. "Ich habe den Spielern gesagt: Guckt euch die Bedingungen an und vergleicht sie mit anderen Vereinen. Unsere sportliche Lage passt nicht zusammen mit dem, was der Verein gibt. Wenn wir den Turnaround nicht schaffen, hat es Konsequenzen für den gesamten Verein."
Diese bedrohliche Situation gab den Ausschlag für die Freistellung Schmidts. "Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich mich sehr, sehr schwer mit solchen Entscheidungen tue. Jemanden freizustellen ist das Letzte, was man machen möchte", unterstreicht Fuhrken. Bei einem Sieg im Kellerduell gegen den FC Verden 04 am Sonntag wäre es mit Schmidt weitergegangen. Nachdem die Partie 2:2 ausgegangen war und die Mannschaft eine katastrophale erste Halbzeit gespielt hatte, habe er erst einmal trotzdem daran gedacht, am Trainer festzuhalten, sagt Fuhrken. Am Montag trafen sich dann aber die Vereinsverantwortlichen und fällten die Entscheidung, Schmidt freizustellen. Fuhrken: "Jeder ist nach dem Verden-Spiel noch einmal in sich gegangen."

Sportvorstand Bastian Fuhrken fiel Schmidts Freistellung alles andere als leicht.
Der Sportvorstand holte Dominik Schmidt Anfang 2022 als Spieler nach Delmenhorst und sprach mit dem Ex-Profi auch über Perspektiven für die Zeit nach der aktiven Karriere. Damals war Fuhrken Sportlicher Leiter und wollte diesen Posten irgendwann abgeben. Schmidt sei ein Kandidat für die Nachfolge gewesen. "Er hat nie gesagt, dass er Trainer werden will. Das ist aus der Sache heraus entstanden", schildert Fuhrken. Als Atlas in der Regionalliga tief im Abstiegskampf steckte, musste Riebau im März 2023 gehen. Schmidt hatte verletzungsbedingt als Spieler aufgehört und kurz zuvor als Co-Trainer angefangen. Da Atlas keinen neuen Trainer in der Hinterhand hatte, wurde er zum Chefcoach – zunächst übergangsweise, dann dauerhaft. "Dome ist für den Verein eingestanden und hat seine Belange hintangestellt. Er hat sich akribisch ins Traineramt reingefuchst", betont Fuhrken. Dass Schmidt sich derart für den Verein engagierte, machte es nun noch schwieriger, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden. "Eigentlich hatte niemand vor, ihn freizustellen, aber die Lage wurde zu ernst. Das Gespräch mit ihm am Montagabend war dann völlig in Ordnung, auch wenn alle natürlich angespannt waren", sagt Fuhrken.
Keine Interimslösung
Anders als nach dem Riebau-Aus Anfang 2023, hatte Atlas dieses Mal gleich einen Plan B parat. Dieses Mal sollte es keine Interimslösung geben. Der neue Sportliche Leiter Stephan Ehlers verfügt über reichlich Trainererfahrung, "aber für uns war klar, dass er jetzt kein Interimscoach wird. Er ist erst so kurz im Amt", sagt Fuhrken. Stattdessen war die Rückkehr von Key Riebau der Plan B. Dass einige nicht verstehen, warum ein Trainer zurückgeholt wurde, der bei Atlas schon einmal gehen musste, hat Fuhrken wahrgenommen. Dazu sagt er: "Wir haben uns damals in der Regionalliga getrennt. Jetzt reden wir aber nicht mehr über die Regionalliga, sondern über die Oberliga. Key hat uns als abstiegsgefährdeter Oberligist übernommen und dann als Tabellenzweiter in die Regionalliga geführt. Es spricht vieles für ihn."
Die Saison ist im vollen Gange, der neue Coach hat wenig Zeit, sich einzufinden. "Atlas hatte schon sehr erfolgreiche Zeiten mit Key. Er muss sich jetzt nicht erst neu justieren und braucht nicht viel Eingewöhnungszeit", verdeutlicht der Sportliche Leiter Ehlers. Riebau bestand auch darauf, direkt am Dienstag das Training zu leiten. "Er hat gesagt, dass er jede Einheit braucht", berichtet Fuhrken. Da es vor der laufenden Saison wieder einmal einen großen personellen Umbruch im Kader gab, habe es auch für Riebau gesprochen, dass er die Atlas-Verantwortlichen bereits kennt. "Wir hatten Zusagen von anderen Trainern, aber wir wollten nicht noch einen Neuen dazu holen. Vertrautes Zusammenarbeiten ist mir sehr wichtig. Ich bin mit Key die ganze Zeit über in Kontakt geblieben", sagt Fuhrken.
Riebau kennt den Verein ebenso wie die Oberliga. Dennoch könne er der Mannschaft einen neuen Impuls geben, glaubt Fuhrken. Die meisten Spieler kennen den neuen Coach nämlich noch nicht. Nur Raoul Cissé, Marlo Siech, Steffen Rohwedder und Philipp Eggersglüß spielten schon bei Atlas unter Riebau. Mats Kaiser und Mohammed Sultani erlebten ihn als Coach beim SSV Jeddeloh. "Jeder Spieler kann dem neuen Trainer jetzt was anbieten. Und Key kann sich bis zur Winterpause einen Eindruck verschaffen. Im Winter könnten wir dann reagieren und den Kader verstärken", hält Fuhrken fest. Erst einmal muss Riebau aber mit dem vorhandenen Personal arbeiten und die große Verunsicherung in der Mannschaft in den Griff bekommen. Ob ihm das schon bis zum Wolfsburg-Spiel gelingt, wird sich zeigen. Für die unangenehme Situation am Dienstagabend nach der Schmidt-Verabschiedung hat Riebau zumindest direkt eine Lösung gefunden. "Nicht viel sabbeln, sondern Fußball spielen", sagt Fuhrken. "Die Jungs sind schnell rausgegangen zum Training. Ich denke, das war genau richtig."