Der SV Werder hat beim 0:5 in Leverkusen eine Lektion erhalten. Nicht nur auf dem Rasen, wo die Mannschaft in Sachen Tempo, Leidenschaft und Klasse nicht mithalten konnte. Sondern auch, was die Vorbereitung auf eine solche Partie betrifft. Was wurde nicht alles gesagt auf Werders Seite, tagelang: Man wolle die erste Mannschaft sein, die Leverkusen besiegt. Man wolle die Party des neuen Meisters verschieben. Man wolle alles dafür tun, eine Überraschung zu landen. Den Worten folgten aber keine Taten. Überraschend war eher die Höhe der Niederlage.

Grün auf Weiß ist die Werder-Kolumne des WESER-KURIER, in der Chefreporter Jean-Julien Beer einen Blick hinter die Kulissen des Bremer Traditionsvereins wirft, Zusammenhänge erklärt und Entwicklungen einordnet.
Leverkusen machte das anders. Zurückhaltung prägte vor dem Spiel die Äußerungen der Bayer-Mannschaft, aus Respekt vor dem Gegner Bremen, wie Trainer Xabi Alonso betonte. Sie wollten nicht über einen Sieg reden, sondern lieber eine starke Leistung bringen – um erst anschließend darüber zu reden. Das ist ein feiner Unterschied.
Der Fall Keita ist ein Desater
Dass man die großen Worte bei Werder nicht immer ernst nehmen muss, ist keine neue Erkenntnis. Wozu das aber führen kann, wenn die Worte wenig mit der Realität zu tun haben, zeigt nun der Fall Naby Keita. Was haben sie bei Werder nicht immer betont, dass sie bei dieser Personalie alles im Griff haben. Dass der Spieler sich tadellos verhält und hart arbeitet, um der Mannschaft bald helfen zu können. Dass man ihm nichts vorwerfen kann. Dabei konnte jeder sehen, dass etwas überhaupt nicht passte. Nun ist die prominente Personalie eskaliert. Für die Innen- und Außenwirkung ist das ein Desaster.
Apropos Keita: Wenn ein Spieler bei Werder gute Gründe gehabt hätte, beleidigt nicht in den Bus zu steigen, dann nicht der unfitte Afrikaner, sondern eher Dawid Kownacki. Dass dem früheren Torjäger erneut Nick Woltemade vorgezogen wurde bei der Besetzung des Angriffs, ist sportlich inzwischen schwer zu rechtfertigen. Werder benötigt für den Klassenerhalt wohl mindestens noch einen Sieg – und wird dafür Tore schießen müssen. Genau daran hapert es aber im Angriff: Marvin Ducksch hat seit seinem Siegtor am 3. Februar in Mainz nicht mehr getroffen. Sieben seiner neun Saisontore schoss er vor Weihnachten. Inzwischen braucht Ducksch statistisch gesehen 253 Minuten für ein Tor – so viel Zeit hat Werder aber nicht mehr. Bei Woltemade ist es bisher so, dass er keine Tore schießt. Justin Njinmah, zuletzt operiert und schmerzlich vermisst, war der letzte Stürmer, der für Werder traf (bei der 1:2-Niederlage gegen Dortmund).
Kownacki war Düsseldorfs Rekordeinkauf
Neben Keita ist Kownacki der zweite Neuzugang, bei dem etwas gewaltig schief läuft. Erst 327 Minuten kam der Stürmer zum Einsatz und erzielte kein Tor. Das sind Werte, die man im Sommer für unmöglich gehalten hätte. Kownacki war mit fünf Treffern in der Saisonvorbereitung der große Gewinner, man bekam eine Ahnung davon, weshalb er vor wenigen Jahren mit rund sieben Millionen Euro Ablöse zum Rekordeinkauf von Fortuna Düsseldorf wurde. In 102 Spielen für die Fortunen schoss er 28 Tore und bereitete 17 vor, auch bei Lech Posen war er einst mit 32 Treffern und 14 Vorlagen (in 134 Einsätzen) ein mitspielender Torjäger. Vor seinem ablösefreien Wechsel zu Werder kam er in der zweiten Liga auf 14 Saisontore und neun Assists.
Bei seiner Verpflichtung gab es auf Bremer Seite wieder große Worte, denen bisher aber die Taten nicht folgten. Kownacki sei eine qualitative Bereicherung der Offensive, sagte Clemens Fritz damals, „wir sind froh, dass er sich für den Werder-Weg entschieden hat“. Ole Werner setzte noch einen drauf: Kownacki verfüge als polnischer Nationalspieler über wichtige internationale Erfahrungen, „die er bei uns einbringen kann“. Seine Stärken würden sehr gut zu Werders Fußball passen. Der Stürmer selbst, den viele Erstligisten umwarben, erklärte: „Wir hatten direkt die gleiche Wellenlänge. Das war ein ganz wesentlicher Faktor für meine Entscheidung pro Werder.“
Doch schon im ersten Pflichtspiel war das mit den Worten, den Taten und der Wellenlänge so eine Sache: Beim Pokalaus gegen den Drittligisten Viktoria Köln ließ Werner nämlich nicht den Gewinner der Vorbereitung stürmen. Kownacki saß erstaunlicherweise 90 Minuten draußen. Seither scheint die gegenseitige Wertschätzung zu bröckeln.
Alle drei bis vier Wochen mal einen Punkt zu holen, wie beim 1:1 gegen Darmstadt und gegen Frankfurt, wird für Werder nicht reichen, um die Klasse zu halten. Das Wehklagen wegen der Ausfälle und Sperren ist irreführend: Verletzte Spieler haben die anderen Vereine auch, die vielen Sperren durch Gelbe und Rote Karten sind hausgemacht.
Warum also nicht Kownacki von Beginn an stürmen lassen? Im schlimmsten Fall schießt er, wie seine Kollegen, kein Tor. Im besten Fall bringt er neuen Schwung in die Offensive. Es muss ja einen Grund geben, warum Werder ihn unbedingt wollte.