In diesem Winter ist es deutlich kälter als in den vergangenen Jahren. Was für Kinder und den einen oder anderen Erwachsenen ein weißes Paradies bedeutet, kann für die gut 600 Obdachlosen in Bremen zur Lebensgefahr werden. Andere Städte haben die ersten Toten zu beklagen: Die BAG Wohnungslosenhilfe meldet deutschlandweit bislang 20 Kältetote für diesen Winter, davon sechs in Hamburg. Seit zehn Jahren hat es laut Wohnungshilfe nicht mehr so viele Kältetote in der Bundesrepublik gegeben.
„In Bremen haben wir bisher keine Fälle“, sagt Bernd Schneider, Sprecher der Sozialsenatorin. Aus Sicht der Behörde liegt das an den Notunterkünften, die derzeit von 550 Obdachlosen genutzt würden. Diese Übernachtungsmöglichkeiten seien normalerweise nur nachts geöffnet, in der Winterzeit stünden sie den Menschen auch tagsüber zur Verfügung. Für Frauen und Männer gibt es den Angaben zufolge getrennte Anlaufstellen und die Zahl der Plätze ist deutlich erhöht worden.
„Die Corona-Regelungen führen dazu, dass wir maximal zwei Menschen in einem Zimmer unterbringen“, sagt Schneider. In vergangenen Jahren seien Menschen auch in Vierer- oder Sechser-Zimmer untergebracht worden, das gehe dieses Jahr aufgrund der Hygienemaßnahmen nicht. Um mehr Zimmer anbieten zu können, werden den Angaben zufolge sogenannte Einfachhotels, also ordnungsrechtliche Unterkünfte, und Pensionen angemietet. Die Verträge mit den Hotels erlaubten es auch, kurzfristig weitere Zimmer zur Verfügung stellen zu können: „Falls mehr Bedarf besteht, stocken wir auf.“
Dass einige Bedürftige trotz des extremen Winterwetters nicht in eine Unterkunft wollen, hat laut Katharina Kähler, Leiterin der Wohnungslosenhilfe des Vereins für Innere Mission, verschiedene Gründe. Manche Menschen kämen mit der Gesellschaft in den Gemeinschaftswohnungen nicht klar, andere misstrauten den Institutionen.
Jan Klaassen, Sprecher des Landesverbands der Johanniter Niedersachsen/Bremen, nennt noch einen weiteren Grund: „Die Betroffenen haben Tiere und die sind in vielen Unterkünften nicht zugelassen.“ In manchen Städten gibt es daher Angebote von Tierschutzvereinen. Auch in Bremen können obdachlose Hundebesitzer ihre Vierbeiner vorübergehend im Tierheim unterbringen. „Das Angebot wird momentan aber gar nicht in Anspruch genommen“, sagt Gaby Schwab, Sprecherin des Tierheims. Seit 2018 biete das Heim diese Aktion an, bisher liege die Zahl der so aufgenommenen Tiere allerdings bei null.
Schwab sieht dafür zwei Gründe: Die Obdachlosen wollten sich nicht von ihren Wegbegleitern trennen und hätten Angst, diese nicht wieder zurückzubekommen. „Das ist völliger Unsinn“, sagt Schwab. Sie könne aber auch nicht nachvollziehen, dass die Tiere in Notunterkünften nicht erlaubt sind. „Die Betreiber tun so, als ob die Hunde voller Flöhe und Dreck sind. In jedes gute Hotel dürfen Gäste ihren Hund mitnehmen, warum geht das bei Obdachlosen nicht?“, fragt sie. Sozialressort-Sprecher Schneider kennt nach eigenen Angaben keine Unterkunft, die die Aufnahme von Tieren erlaubt. Das habe in der Vergangenheit nur zu Problemen geführt. Als Beispiele nennt er Allergien und die Angst anderer Beherbergter.
Tagsüber können sich wohnungslose Menschen und ihre Tiere derzeit auch in den Bussen und Bahnen der Bremer Straßenbahn AG aufhalten. Das Verkehrsunternehmen hat seine Regelung zur kostenfreien Mitnahme von Obdachlosen bis Ende des Monats verlängert. Für viele Hundebesitzer ist es laut Schwab eine beliebte Alternative, die ganze Nacht Bus zu fahren, damit sie ihren Hund bei sich behalten könnten.
In Bremen gibt es noch weitere Hilfsangebote. Die Johanniter stehen beispielsweise drei Mal pro Woche mit ihrem Kältebus am Hauptbahnhof und versorgen Bedürftige mit warmem Essen, Trinken, Kleidung, Schlafsachen und Hygieneartikeln. „Derzeit rechnen wir immer mit um die 70 Rationen pro Tag“, sagt Nicole Baumann von den Johannitern. Der Bedarf sei momentan sehr hoch.
Die Diakonie und die Wohnungslosenhilfe der Inneren Mission berichten Ähnliches: Neben den Anlaufstellen Café Papagei und dem Frauenzimmer steht auf der Bürgerweide ein Bus als Aufwärmmöglichkeit zur Verfügung. Montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr hat er geöffnet und wird von Streetworkerinnen und Streetworkern betreut. Hier werden neben Heißgetränken und Fertigsuppen auch FFP2-Masken verteilt. Katharina Kähler schätzt, dass hier 70 bis 80 Hilfsbedürftige täglich versorgt werden.
Doch nicht jeder finde den Weg. Deswegen sei gerade in den Nischen der Stadt die Sozialarbeit so wichtig. „Unsere Kolleginnen und Kollegen sind suchend in der Stadt unterwegs“, sagt Kähler. Sie informierten stetig über das Angebot der Notunterkünfte und sprächen mit den Menschen über ihre Sorgen und Nöte. Jeder habe das gute Recht, sich gegen eine Notunterkunft zu entscheiden. „In diesem Fall versorgen wir vor Ort mit weiterer Ausstattung wie warmer Kleidung, Thermounterwäsche, große Jacken zum Überziehen, Schlafsäcken, Isomatten oder Thermoskannen mit heißem Tee.“ Seit fast einem Jahr befinde man sich in einer Pandemiesituation, die besondere Herausforderungen mit sich bringe – zusammen mit dem Winter und der Kälte sei das eine große Belastung.
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Kälteregelung
In Bremen müssen derzeit auch Menschen ohne Leistungsansprüche in die Notunterkünfte aufgenommen werden. Normalerweise haben nicht alle Obdachlosen einen Anspruch auf eine Notunterkunft und auf die Angebote der Wohnungslosenhilfe. Das gilt zum Beispiel für EU-Bürgerinnen und -Bürger, die noch nicht lang genug in einer sozialversicherungspflichtigen Anstellung in Deutschland gearbeitet haben, sodass sie von den Sozialleistungen ausgeschlossen sind. Doch bei Kälte gilt in der Hansestadt: Niemand der in eine Notunterkunft gehen möchte, muss auf der Straße bleiben.
Weitere Informationen
Notübernachtung für Frauen: Verein für Innere Mission, Abbentorstraße 5 (Telefon 17 10 09).
Notübernachtung für Männer: Verein für Innere Mission, Rembertriring 49 (Telefon 33 02 23 11).
Die zentrale Fachstelle Wohnen stellt kurzfristig Zimmer zur Verfügung unter Telefon 36 126 20.
In medizinischen Notfällen sollte die 112 angerufen werden.