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Bremer Walfang Die letzte Fahrt der „Aurora“

Anderthalb Jahre war die "Aurora" im nördlichen Polarmeer unterwegs, im September 1866 kehrte sie nach Bremen zurück. Ein paar Jahre später brach zum letzten Mal ein Bremer Walfänger in den Norden auf.
26.02.2023, 11:58 Uhr
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Von Asmut Brückmann

Vermutlich mit gemischten Gefühlen sah Kapitän Johann Hinrich Westermeyer aus Lesumbrok dem Frühjahr 1873 entgegen. Vor 150 Jahren begann für ihn eine neue Epoche. Erstmals nach 30 Jahren fuhr er nicht mehr zur Waljagd ins Eismeer. Erstmals legte im Vegesacker Hafen kein Walfangschiff mehr ab. Zwei Walkiefer am Eingang seines Bauernhofs blieben ihm als Erinnerung. Die Jagd auf Wale und Robben, heute verpönt, war rund 200 Jahre lang auch eine Domäne Bremer Seefahrer.

Von Vegesack aus starteten seit dem 17. Jahrhundert jährlich bis zu 25 Schiffe in die Arktis. Vom Glück und Geschick der Mannschaft hing es ab, ob sie mit vollen Laderäumen zurückkehrte. Von einer besonders ertragreichen Fangsaison des Jahrs 1696 berichtet die Chronik von Peter Koster: Elf Schiffe kehrten mit rund 1800 Fässern Walspeck von 43 getöteten Tieren zurück, Rohstoff für etwa 2700 Tonnen Tran. Am Vegesacker Utkiek halten zwei bronzene Walkiefer die Zeit des Bremer Walfangs im Gedächtnis.

Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Walbestände stark geschrumpft, Petroleum und Gas hatten Waltran als Leuchtmittel verdrängt. Und kapitalkräftige Kaufleute investierten ihr Geld lieber in die aufstrebende Industrie als in die teure Ausrüstung eines Walfangschiffs. Daher verlegte man sich verstärkt auf die Robbenjagd, den brutalen „Robbenschlag“. Doch auch das lohnte sich immer weniger.

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Zum Schluss fuhren nur noch drei Bremer Schiffe in die Arktis, die Bark „Weser“ der Reederei Heinrich Schröder sowie 1872 das von Kapitän Westermeyer kommandierte Vollschiff „Hudson“ und die Galiot „Aurora“ der Reederei B. Groverman & Co. Die „Aurora“ fuhr bereits 1866 zum letzten Mal ins Nordmeer. Ihr Logbuch von 1865 ist erhalten geblieben. Steuermann Hermann Haake aus Mittelsbüren notierte darin knappe Informationen zu Wind und Wetter, Seegang und Takelung, zur Zahl der erlegten Robben und zu besonderen Ereignissen.

Kapitän der „Aurora“ war Johann Hagens, seine Mannschaft stammte meist aus den Dörfern des Bremer Landgebiets. In Nieder- und Mittelsbüren, Seehausen, Hasenbüren, Lankenau und „umzu“ war die Nordmeerjagd Tradition. Für nachgeborene Söhne, die den Hof nicht übernehmen konnten, und kleine Kätner war sie oft die wichtigste Einnahmequelle. Auch der 1836 geborene Hermann Haake stammte von einem Bauernhof mit Walfangtradition. Die Dörfer im Werderland mussten Ende der 1950er-Jahre der Ansiedlung der Klöcknerhütte weichen. Erhalten geblieben ist das gut 400 Jahre alte Bauernhaus Nr. 20. Es wurde 1964 auf dem Gelände des Focke-Museums wieder aufgebaut.

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Für den Walfang war die auf der Oltmann-Werft in Motzen gebaute „Aurora“ nicht besonders gut geeignet. Der mit 18 Mann besetzte Zweimaster führte zwar drei Beiboote mit, war aber mit gut 25 Metern Länge relativ klein. Die tonnenschweren Meeressäuger konnten dem Schiff mit einem Schlag ihrer Fluke durchaus schwere Schäden zufügen. Und bei nur 50 Last (rund 150 Tonnen) Ladekapazität gab es auch nicht viel Stauraum. Zum Vergleich: Westermeyer verfügte mit der „Hudson“ über einen Dreimaster mit 229 Last (rund 690 Tonnen) und sechs Beibooten und kommandierte 50 Mann. Hauptziel der „Aurora“ war die Robbenjagd. Aber auch Rentierfleisch oder die weichen Daunen aus den Nestern der Eiderenten kamen als „Mitbringsel“ infrage.

Der Start der „Aurora“ im März 1865 stand unter keinem guten Stern: Ein Segel riss und bei Farge lief sie in einer Untiefe auf Grund. Ein Dampfschlepper musste bis Bremerhaven aushelfen. Von dort kämpften sich die Männer ohne nennenswerten Schutz und Komfort, nass und durchgefroren fast drei Wochen gen Norden. Haakes knappe Wetternotizen dazu: „Stürmischer Wind mit Hagel und Schneeböen“ (22.3.), „Hart zunehmender Wind, dicke Luft, machten alle Segel fest bis auf dichtgerefftes Großsegel“ (30.3.), „Sahen Eisknollen treiben, zunehmender Wind, dunkel von Schnee“ (3.4.). Besonders heftig war es am 5. April: „Gegen Mittag stürmischer Wind mit starker Kälte, bekamen viel Wasser an Deck, welches gleich zu Eis wurde, dass das ganze Schiff mit Eis überzogen wurde, des Nachts hoch schäumende See.“ Fast jeden Tag hieß es „Pumpen lenz“, immer wieder musste eingedrungenes Wasser über Bord gepumpt werden.

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Den „Komfort“ an Bord schildert der Grambker Heimatforscher Johann Hägermann: „Der Mannschaftsraum auf dem Schiff war sehr knapp bemessen. Achtern wohnten nur der Kommandeur […] und die Offiziere. Die Mannschaft lag sehr eng im Vorderschiff. Der übrige Raum des Schiffes wurde benötigt für die Aufnahme des Fanges, auf der Hinreise für leere Fässer und Wasserballast.“ Mit der Verpflegung sah es nicht besser aus. Den Speiseplan der „Hudson“ kommentiert ein Zeitgenosse: „Montag Schelde-Gerste und gesalzenes Ochsenfleisch; Dienstag gelbe Erbsen und Speck; Mittwoch grüne Erbsen und Ochsenfleisch; Donnerstag graue Erbsen und Ochsenfleisch; Freitag Sauerkohl und Schweinefleisch; Sonnabend weiße Bohnen und Pudding (Sackkuchen); Sonntag graue Erbsen und Ochsenfleisch, und so geht es in der folgenden Woche wieder in der reizenden Abwechselung zwischen Grau, Grün und Gelb fort, so dass es nicht zu verwundern ist, wenn auch die Mannschaft zuweilen nach etwas Anderem verlangt.“

Frisches Gemüse, Vitamine? Fehlanzeige! Auf der „Aurora“ muss es selbst den karge Kost gewohnten Seeleuten schon früh zu bunt gewesen sein. Anfang April steht im Logbuch: „Setzten den Matrosen Heinrich Fink als Koch ein und der andere wurde abgesetzt.“

Wie gefährlich die Jagdreisen ins Nordmeer waren, illustriert eine Notiz im Logbuch der „Hudson“ von 1867: „Um 7 ½ Uhr abends ist unser Mitbruder, der Matrose Hinrich Westermeyer, unserem Kommandeur sein Sohn, an Backbordseite, bei die Kunterbrassen festmachen, über Bord ins Wasser gefallen und ertrunken. Ließen schnell eine Schaluppe ab, waren aber zu spät. Es stand ein hoher Seegang.“ Ein bitterer Verlust für Kapitän Westermeyer aus Lesumbrok. Der 18-jährige Hinrich hatte in der eiskalten See keine Chance.

Manchmal versanken sogar ganze Schiffe mit ihren Besatzungen im Eis. 1825 und 1826 gingen die Walfänger „Patriot Gloystein“ und „Harpunier“ mit über 20 Männern aus den Weserdörfern in der Arktis verloren. Der Mittelsbürer Pastor Johann Melchior Kohlmann (1795-1864), der später in Horn tätig war, notierte im Kirchenbuch: „In welche Noth die hinterbliebenen Witwen und Waysen geriethen, läßt sich leicht begreifen! So allgemein ist wohl noch nie hier die Trauer gewesen. Aus jeder Familie, fast aus jedem Hause in Niederbüren eine Leiche.“

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Mitte August machte sich die „Aurora“ wieder auf die Heimreise. Der Laderaum der „Aurora“ war mit Speck und Fellen von etwa 500 Robben gefüllt, dazu kamen in Salz eingelegtes Fleisch von 21 Rentieren, einige Säcke Eiderdaunen, Vogeleier und ausgestopfte Seevögel. In Brake und Elsfleth kamen Lotsen an Bord. Anfang September war die Crew wieder zuhause. Sie wurde schon sehnsüchtig erwartet. Der Mittelsbürer Pastor Heinrich Hoops (1867-1946) schreibt: War „die Weser erreicht, so wurde ein Bote vorausgeschickt, der die willkommene Nachricht ins heimatliche Dorf bringen mußte; er durfte eines guten Trinkgeldes sicher sein. ‚De Grolanners kamt!‘ rief er schon von weitem, und ‚Hurrah! De Grolanners sind da!‘ so pflanzte sich der Ruf von Haus zu Haus fort. Endlich kamen sie dann ins Dorf gezogen, die kräftigen, wetterharten Gestalten, meist mit runderen Wangen, als da sie fortgingen; dann zog wieder frisches Leben ein in die vorher stillen Dörfer.“

Hermann Haake fuhr danach nicht mehr zur See. Er heiratete Metta Wurthmann und wurde in Niederbüren Landwirt. Der erste Sohn Hinrich starb mit fünf Jahren. Eine Tochter und ein weiterer Sohn überlebten zwar, doch schon 1877 starb ihre Mutter mit 44 Jahren. Zwei Jahre später heiratete Haake die deutlich jüngere Meta Rebecca Wieting aus Schönemoor, die sechs weitere Kinder gebar. 1896 stürzte Hermann Haake bei der Arbeit vom Wagen und verletzte sich tödlich. Den Hof übernahm sein ältester noch lebender Sohn Johann, der erste Sohn Hinrich war 1894 mit 20 Jahren gestorben.

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