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"So wie wir sind" Mit Riesenteppich: Weserburg gestaltet Sammlung zum sechsten Mal neu

Das sechste Jahr in Folge gestaltet die Weserburg ihre Räume mit Leihgaben aus 30 Sammlungen thematisch um. Diesmal sind viele Köpfe von Norbert Schwontkowski und ein Riesenteppich im Lichthof dabei.
27.11.2024, 17:24 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Die Idee lag offenbar in der Luft: "Als wir uns 2019 entschieden, nicht mehr Einzelsammlungen auszustellen, sondern 30 Privat- und Unternehmenssammlungen als Fundus zu nutzen, um kleine Themenareale zu gestalten, setzten unabhängig davon auch das MoMa in New York, das Stedelijk Museum in Amsterdam und das Folkwang-Museum Essen auf dieses Konzept", erinnert sich Janneke de Vries. Die Direktorin der Weserburg lacht und sagt: "Wir sind also in bester Gesellschaft."

Einmal jährlich wird das Museum an der Weser seither unter dem Titel "Sowie wir sind" quasi neu gestaltet, ein Riesenaufwand. Im vergangenen Jahr nahm sich das Team deshalb vor, künftig nur einen Teil der Schau auszutauschen und einzelne Arbeiten in neuen Kontexten zu präsentieren. Für die nunmehr sechste Ausgabe wurden von 15 Sälen zehn ganz oder teilweise umgestaltet, mit 200 Werken von etwa 100 Künstlern: "Inzwischen stammt die Hälfte der Arbeiten von Frauen", stellt Kurator Ingo Clauß fest.

Die zentrale Künstlerin: Das Atrium der Weserburg – wo im alten Speicher Waren durch die Bodenklappe im ersten Stock hochgezogen wurden – bespielt Sibylle Springer. Sie hat in Bremen bei Karin Kneffel und Katharina Grosse studiert und lenkt den Fokus auf die Rolle der Frau in der Kunst, aktuell auf die niederländische Barockmalerin Rachel Ruysch (1664-1750), die von 1708 bis 1716 Hofmalerin in Düsseldorf war und für ihre Stillleben europaweit gefeiert wurde.

Springer hat das winzige Detail einer Rosenblüte mit Schmeißfliege aus einem Blumenbild Ruyschs auf 7,5 mal 3,5 Meter vergrößert, das Insekt aber verzerrt eingefügt, sodass es nur aus gehörigem seitlichen Abstand gut zu erkennen ist. "Das soll daran erinnern, wie wenig Künstlerinnen lange Zeit aus männlichem Blickwinkel wahrgenommen wurden", erläutert Springer. Das Motiv ließ sie auf einen Teppich drucken, der nun über der Bodenklappe liegt und auch aus den oberen Stockwerken am Lichthof betrachtet werden kann. "Dieses Werk würden wir gern ankaufen", bemerkt Museumsdirektorin de Vries.

Schwontkowskis Köpfe: "Dank der Sammlung Seinsoth mit ihren 200 Werken von Norbert Schwontkowski konnten wir ,seinen' Raum wieder komplett neu gestalten", berichtet Kurator Clauß. "Diesmal zum Thema Köpfe." Aus einem guten Dutzend Kleinformaten ragen drei Köpfe mit Imkerhut und -schleier hervor. Überraschungen sind zwei plastische Leihgaben der Städtischen Galerie: vier Tonköpfe auf Wagenrädern, noch nie gezeigt, und ein monochromes Triptychon, in das ein Kopf hineinmodelliert ist. Ebenfalls ein Hingucker ist das hintersinnige Bild "Dorian Gray", das sich auf Oscar Wildes Romanfigur bezieht, deren Gesicht nur auf einem Porträtbild altert. Das Bremer Bild von 2011 zeigt einen Mann ohne Kopf, im leeren Gemälde spiegelt sich der Kopf einer Katze.

Abstrakte Formen: Im Themenbereich "Die vertikale Form" im zweiten Stock fällt eine Skulptur von Phyllida Barlow ins Auge, die 2023 in London im Alter von 78 Jahren verstorben ist. Auf einem Sockel recken sich bunte Latten in die Höhe, auf denen wie ein Hütchen ein Karton thront. Oder ergießen sich die Latten aus dem Karton nach unten? Ebenfalls eine starke Dynamik geht nebenan im Themenraum "Schwarz" von einer Wandskulptur des Kongolesen Patrick Bongoy aus. Die stark riechenden gedrehten Gummischläuche erinnern einerseits an das traditionelle Korbflechtwerk des Landes, andererseits an die Kolonialherrscher, die den Kongo als Müllkippe missbrauchten.

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Schwarz und schwul: Im Saal "Kulturelle Identität" kamen drei starke Positionen schwarzer Künstlerinnen hinzu: ein Künstlerbuch von Kara Walker, das eine Geschichte der Gewalt in aufklappbaren Scherenschnitten erzählt, Anys Reimanns Frauenporträt aus Zeitungsausschnitten und eine Collage von LaRissa Rogers mit afroamerikanischen Kindern, die in die Höhe streben oder fliegen. Daneben stapelt der deutsch-türkische Maler Murat Önen in Altmeistermanier einen Haufen nackter Männerkörper wie einen "Heuhaufen", um "die Unordnung der Männlichkeit, den Kampf der Queerness" abzubilden.

Die Kunst des Alltags: Zurück in den ersten Stock, wo sich im Doppelraum "Alltag" viel verändert hat. Geblieben ist der Flaschentrockner von Marcel Duchamp – als Fixpunkt, um den sich alles dreht. Flankiert wird das Readymade durch die ums Doppelte vergrößerte gelbe Zitronenpresse der Firma Braun, mit der Lena Henke an die einstige Rolle der Hausfrau erinnert. Unter Glas liegt Daniel Spoerris schmählich mit Kronkorken und Zigarettenkippen verunreinigter Brotteig. Dem Bremer David Hepp wiederum gelingt das Kunststück, ein stilisiertes Segelboot zu zimmern, das den Betrachter an der Nase herumführt: Die verschiedenen Spanplatten, ja selbst Scharniere und Schrauben entstammen ein und demselben Holzklotz und sind nur geschickt bemalt.

Kurator Ingo Clauß haben es besonders die geometrischen Formen angetan, die die 86-jährige Rumänin Geta Bratescu in ihrem Todesjahr 2018 aus bemalten Kaffee-Rührstäbchen gelegt hat, und die Gummiband-Arbeit "Saitensprung" des Komponisten Mauricio Kagel von 1968. "Daran knüpfen wir mit einer Mitmach-station an, mit einer großen Wandtafel, an der jeder Besucher mit Gummibändern eigene Formen gestalten kann – vom Buchstaben bis zum Herzchen."

Info

Die sechste Ausstellung "So wie wir sind" wird am 29. November um 19 Uhr eröffnet.

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