Fast wäre Mike Volquards gesprungen – aus seiner Wohnung im elften Stock. „Ich konnte nicht mehr“, sagt er. Aber gesprungen ist er nicht. Irgendeine höhere Macht hat ihn davon abgehalten, glaubt er. Er hat sich entschieden, die Polizei zu rufen. Die hat ihn sofort ins Klinikum Ost gebracht.
Mindestens zwei Flaschen Wodka hat Volquards zu diesem Zeitpunkt am Tag getrunken. Zweieinhalb Promille hat er bei seiner Einlieferung. „Erst in der Klinik hat es dann ‚klick‘ gemacht“, sagt er. Zu viele Dinge sieht er dort. Menschen, die mit Krampfanfällen wild zuckend und mit Schaum vor dem Mund auf dem Krankenhausboden liegen.
Er selbst hat zwar keine Anfälle, aber mehrmals erlebt er sie bei anderen. Er will auf keinen Fall selbst erfahren, wie sich diese Krämpfe anfühlen. „Ich trinke nie wieder, habe ich mir gesagt.“ Nach zweieinhalb Monaten stationärer Behandlung fängt er eine Langzeit-Therapie an.
Viel Unterstützung während der Therapie
Vier Monate verbringt er in einem Rehabilitationszentrum. Einzelgespräche seien sehr hilfreich gewesen – aber vor allem die Abschreckung. Immer wieder kommt Volquards auf die Krämpfe zu sprechen. „Die entstehen, weil das Gehirn nach Alkohol schreit“, erklären die Ärzte ihm. Während der Therapie erfährt er viel Unterstützung von Ärzten und Sozialarbeitern.
Aber sein altes Leben holt ihn ein. Er hat Mietrückstände, kann diese mithilfe des Sozialarbeiters und dem Wohlwollen des Vermieters klären. Heute ist er dankbar für die Unterstützung und blickt positiv auf seine Behandlungszeit zurück. „Die Menschen im Krankenhaus haben mir auf die Beine geholfen.“
Bei seiner Einlieferung steht Volquards kurz vor einer Leberzirrhose. Er ist abgemagert, weil er kaum noch etwas gegessen hat. Und einen unerkannten Schlaganfall hatte er. Ausgelöst durch Depressionen, die über Jahre nicht erkannt worden sind. Bis er in das Rehabilitationszentrum kommt.
Ohne fremde Hilfe geht es nicht
„Es ist einem Arzt zu verdanken, der das erkannt hat.“ Wie es sonst hätte weitergehen können, will Volquards sich nicht ausmalen. Jetzt nimmt er täglich Tabletten. Toll findet er das nicht, aber er kann damit leben. Er hat es geschafft, aus seinem tiefen Loch zu kommen – mit fremder Hilfe. Ohne die geht es nicht, sagt er. Die Ärzte sagen, er habe großes Glück gehabt.
Volquards will das alles nicht mehr. Er ändert sein Leben. Seit einem Dreivierteljahr hat er keinen Tropfen mehr angerührt. „Ich habe so viel Scheiße erlebt.“ Er lebt in einer stationären Rehabilitationseinrichtung. Mike Volquards ist 56 Jahre alt, hat immer seine „zwei Bier“ getrunken.
Nach seiner Arbeit als Lagerist. Davor fährt er zur See. Mit 16 hat er das erste Mal Kontakt mit Alkohol. „Aber das waren nie harte Sachen.“ Irgendwann wird es mehr Alkohol – weil er keinen Job findet. Er erhält immer nur Absagen, meist, weil er als zu alt eingestuft wird. „Es wurden vier, fünf Biere. Dann Wodka.“
Praktikum bei der Bremer Bahnhofsmission
Manchmal sogar ein oder zwei Flaschen am Tag. Dazu eine Flasche Cola. „Aber nur für den Geschmack.“ Wodka mag er nicht mal, sagt Volquards. Das Trinken sei vielmehr Arbeit für ihn gewesen. Irgendwann hat er dann seinen Job verloren, sei nur noch zum Alkoholkaufen aus der Wohnung gegangen. Post hat er nicht mehr geöffnet. Soziale Kontakte schlafen ein, sein Leben dreht sich nur noch um Alkohol.
„Am Wochenende war es am schlimmsten, weil ich Sonntag keinen Nachschub besorgen konnte.“ Manchmal trinkt er den Vorrat für das Wochenende auch schon am Sonnabend. Dann muss er noch mal los. Jetzt macht Volquards ein Praktikum bei der Bremer Bahnhofsmission. Er will zurück ins Leben. Er hat viel gelernt. „Nein“ kann er jetzt sagen. Und er weiß genau, was er will – und was nicht.
Gerne will er wieder im Lager arbeiten, große Hoffnung hat er allerdings nicht. Er glaubt nicht, dass ihn eine große Firma einstellen würde. Zu einer Leiharbeitsfirma will er nicht. Für die Zukunft hofft er, dass einige Alkoholkranke aufwachen. „Ich fühle mich ganz gut gestärkt nach den zwei schlimmen Jahren.“ Trinken wird er nicht mehr. „Scheiß Alkohol, macht einen richtig kaputt.“
Beratung für Alkoholabhängige Menschen mit Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit können sich in den Behandlungszentren (BHZ) des Kilinikums Ost und des Klinikums Bremen Nord beraten lassen. Es gibt fünf verschiedene Zentren. Das BHZ Nord liegt am Aumunder Heerweg 83/85, die Telefonnummer ist 04 21 / 66 06 12 34. Die Adresse des BHZ Ost ist Osterholzer Landstraße 51, Telefon 04 21 / 40 81 85. An der Gröpelinger Heerstraße 104-106 liegt das BHZ West, erreichbar unter 04 21 / 222 14 10. Das BHZ Mitte ist an der Bürgermeister-Smidt-Straße 70, die Telefonnummer ist 04 21 / 79 03 33 10. Am Buntentorsteinweg 122 ist das BHZ Süd, telefonisch ist es unter 04 21/ 22 21 30 zu erreichen. In den Kliniken Ost und Nord gibt es auch die Möglichkeit einer qualifizierten Entgiftungsbehandlung.
Dieser Artikel ist Teil unserer Wochenserie zum Thema Sucht.
Die anderen Teile der Serie finden Sie hier:
Teil 1: Wenn Alkohol zum Problem wird
Teil 2: Cannabis als Begleiter
Teil 3: Neuanfang nach Alkoholsucht
Teil 4: Abhängig vom Online-Poker
Teil 6: Zwanzig Jahre auf Drogen
Teil 7: Ein Monster namens Magersucht