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Bremer Geschichtenhaus Droht Heini Holtenbeen die Beschäftigungslosigkeit?

Das Bremer Geschichtenhaus, betrieben vom Beschäftigungsträger Bras, steht vor der Schließung. Das Jobcenter kürzt die Mittel wegen "fehlender Arbeitsmarktnähe". 58 Menschen droht die Arbeitslosigkeit.
02.12.2024, 05:00 Uhr
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Von Matthias Holthaus

„Mit dem Jobverlust werden häufig die Gelegenheiten weniger, Anerkennung zu erfahren, sich mit anderen Menschen auszutauschen oder Alltagsroutinen aufrechtzuerhalten“ – so ist es auf der Website der Bundesagentur für Arbeit, die auch das Bremer Jobcenter betreibt, zu lesen. Diese Anerkennung könnten demnächst die Menschen verlieren, die im Bremer Geschichtenhaus tätig sind, betrieben vom Beschäftigungsträger Bras: Nach anstehenden massiven Mittelkürzungen wird das Haus wohl im Februar 2025 schließen müssen – laut Bras begründet das Jobcenter die Mittelkürzung mit „fehlender Arbeitsmarktnähe“ des Projekts.

15 Beschäftigte sind derzeit im Geschichtenhaus sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 43 befinden sich in einer vom Jobcenter vermittelten Arbeitsmaßnahme. „Arbeitslosigkeit macht etwas mit den Menschen“, sagt Geschichtenhaus-Betriebsleiterin Sara Fruchtmann, „doch dieser Prozess ist reversibel und das Nichtgelernte kann man lernen.“ Wieder arbeitsmarktnah zu werden, wie es das Jobcenter als Ziel solcher Maßnahmen formuliert, benötige Zeit: Bei manchen Menschen dauere dieser Prozess länger als bei anderen, „es ist ein Mix von dem, was die Menschen zuvor nicht mitbekommen haben. Oder sie haben es verlernt oder es ist einfach etwas anderes passiert. Ganz zu schweigen vom fehlenden Selbstvertrauen.“

Körperliche und psychische Probleme

Deshalb sei die Definition des Jobcenters, dass die zu ihnen vermittelten Menschen arbeitsmarktnah seien, so nicht richtig: „90 Prozent dieser Menschen sind nicht arbeitsmarktnah. Die Leute, die zu uns kommen, haben Schwierigkeiten körperlicher oder psychischer Natur. Und sie sind auch von der Ausbildung her nicht gut aufgestellt.“ Und diese Schwierigkeiten seien sichtbar: „Bei der Mehrzahl der Menschen, die zu uns kommen, ist die Körperhaltung das Auffälligste: hängende Schultern, Vermeidung des Blickkontakts. Vielen dieser Menschen merkt man an, dass sie kaum Erfolg in beruflichen Gemeinschaften hatten. Und viele haben auch Niederlagen und Ablehnung im Gepäck, wenn sie herkommen.“

Zum ersten Mal würden sie dann bei ihnen Anerkennung erhalten. „Das Gefühl, gesehen zu werden“, meint sie. Und wenn es dann zur Schließung kommen müsste, „dann wäre das wieder eine Niederlage, noch ein Scheitern. Und das, obwohl sie doch gerade ein wenig Hoffnung geschöpft haben.“

Historische Bremer Originale

Im Geschichtenhaus sollen die Menschen lernen, sich vor Publikum zu bewegen – sie erzählen Geschichten in Kostümen, sind Bremer Originale wie Heini Holtenbeen, Fisch-Lucie oder Gesche Gottfried. „Anhand des Spiels verändert sich das Verhalten“, sagt Fruchtmann. „Da gab es zum Beispiel eine sehr schüchterne Frau, die sich nichts zugetraut hat und das ändern wollte. Und während der Zeit bei uns hat sich ihr ganzes Verhalten geändert.“ Lange Arbeitslosigkeit forme, sagt sie, verforme sogar. "Und man verlernt, den Umgang mit Kundschaft und das ganze berufliche Gebaren.“ Aufrichtung des Körpers, Artikulationsfähigkeit, Selbstbewusstsein: Manche gehen und kommen irgendwann wieder im Rahmen einer Maßnahme zurück, andere machen vielleicht doch noch eine Ausbildung. „Wenn sie hier bemerken, dass sie eben doch etwas können, dann trauen sie sich auch eine Ausbildung zu“, so Fruchtmann. Einige Menschen gehen auch anschließend in Rente „und manche nehmen während der Zeit im Geschichtenhaus wieder eine Beziehung zu ihren Kindern auf, manche lassen sich die Zähne machen“, beschreibt Sara Fruchtmann weitere Faktoren.

Es sei aber nicht nur ein Problem der Menschen, es gehe zudem auch um den Tourismus und um einen außerschulischen Lernort. „Wenn es das Geschichtenhaus nicht gäbe, könnte man im Schnoor Kaffee trinken, bei Phil Porter Fotos anschauen und einkaufen“, sagt sie, ohne das Angebot des Schnoors abwerten zu wollen. „Die Touristen fragen sich aber, wie wir in Bremen so sind, der Lokalcharakter, der sich aus der Geschichte heraus erklärt. Und sie wollen sich annähern an ein Bild von Bremen, das sie in ihrem Kopf und in ihrem Herzen wieder mitnehmen möchten.“ Ein Gefühl für den lokalen Charakter möchten die auswärtigen Besucher erleben, davon ist sie überzeugt. „Und auch Einheimische, die häufig zugezogen sind, fragen sich, was uns ausmacht.“ Oder Schulklassen, „plötzlich interessieren sie sich für Geschichte, sie erfahren, dass Geschichte nicht doof, sondern auch spannend sein kann. Und vielleicht ist dann Geschichte positiv besetzt.“

Eine Schnoor-Attraktion weniger

Im Falle einer Schließung gäbe es im Schnoor keinen touristischen Anlaufpunkt mehr, „man erfährt nichts mehr über die Geschichte der Innenstadt. Allein aus wirtschaftlichen Gründen wäre es klug, das Geschichtenhaus zu erhalten. Der Schnoor würde dann deutlich weniger attraktiv sein, zumal auch Leute aus dem Geschichtenhaus im Kostüm durch den Schnoor laufen.“

Eine „nicht mehr auskömmliche Finanzierung“ werde es ab 2025 geben, meint Sara Fruchtmann – „so wenig, dass wir es nicht mehr machen können.“ Und sie fragt sich angesichts der 180.000 Euro, die laut André van Waegeningh vom Leitungsteam der Bras fortan jährlich fehlen, um die Einrichtung sinnvoll weiterzuführen: „Wollen wir wirklich so wenig Geld zurückhalten und dafür so viel Repräsentation lokaler Identität aufgeben?“ Und mit Blick auf die Mitarbeitenden meint sie: „Es ist ein Irrsinn, wenn man glaubt, einen so großen Teil der Gesellschaft zur Seite schieben zu wollen.“

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