Der Streit um die Kosten für die häusliche Pflege in Bremen weitet sich deutlich aus: Nachdem schon Anfang Dezember die Verhandlungen zwischen Wohlfahrtsverbänden und Krankenkassen über höhere Preise für die häusliche Krankenpflege gescheitert waren, sind nun auch die Gespräche über die Finanzierung der ambulanten Altenpflege ohne Abschluss geblieben. Damit müssen die Träger ab Januar in Vorleistung gehen – die dann fällige Tariferhöhung für Bremer Pflegekräfte ist nicht gegenfinanziert
„Wir haben die Erklärungen mit den Pflegekassen für gescheitert erklärt“, bestätigt Arnold Knigge, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Freien Wohlfahrtsverbände. Der LAG gehören 23 von insgesamt 115 Pflegediensten in Bremen und Bremerhaven an. Laut Knigge zahlen sie alle nach dem Bremer Pflegetarif. In diesem Jahr ist eine tarifliche Lohnerhöhung mit der Gewerkschaft Verdi ausgehandelt worden. Damit wird mehr Geld von den Kostenträgern nötig – doch die wollen die Forderungen nicht voll übernehmen. Private Pflegedienste, die nicht der Tarifgemeinschaft angehören, verhandeln separat ihre Preise.
Für die häusliche Altenpflege kommen die Pflegekassen auf, zumindest zum Teil. Pflegebedürftige zahlen einen Eigenanteil. „Zunächst verliefen die Verhandlungen relativ konstruktiv, und wir waren zuversichtlich“, berichtet Knigge über die Gespräche mit den Pflegekassen. Die Forderung der LAG lautete zu Beginn acht Prozent mehr. Es sei signalisiert worden, dass man sich auf 7,4 Prozent einlasse, so Knigge: „Aber das wurde dann nicht noch mal bekräftigt.“ Die Verhandlungen platzten. Jetzt wird auch hier ein Schiedsverfahren nötig – genau wie mit den Krankenkassen. Das Argument der LAG: Ohne bessere Bezahlung in der häuslichen Pflege würden immer mehr Fachkräfte in Krankenhäuser wechseln, wo weitaus höhere Löhne gezahlt würden. Anfang Dezember, als die Verhandlungen mit den Bremer Krankenkassen scheiterten, warnten die freigemeinnützigen Träger, die Versorgung mit häuslicher Pflege sei bedroht. Schon jetzt müssten Pflegedienste Patienten wegen Personalmangels abweisen.
AOK moniert fehlende Belege
Marco Nordhusen, Abteilungsleitung Pflege bei der AOK Bremen, ist an den Verhandlungen beteiligt. Er betont: „Dass es Lohnsteigerungen bei Pflegekräften geben muss, ist absolut keine Frage.“ Warum boten die Kassen nur 4,76 Prozent statt der geforderten 6,8 Prozent für die ambulante Krankenpflege? Nordhusen zufolge blieb den Krankenkassen unklar, ob wirklich alle 23 Träger der Freien Wohlfahrtspflege nach dem Bremer Pflegetarif zahlen. Er sagt, es fehlten Informationen, ob das geforderte Geld bei den Mitarbeitenden ankomme oder für andere Zwecke genutzt werde. Der Abteilungsleiter vermutet, dass einzelne Pflegedienste in den vergangenen Jahren mithilfe der kontinuierlichen Mittel-Erhöhungen Reserven angehäuft haben. Als Beispiel nennt er die Awo Ambulant in Bremen, die als gemeinnützige Gesellschaft für 2018 Gewinnrücklagen von mehr als 3,3 Millionen Euro in ihrem Geschäftsbericht ausweist. Auch sei in den vergangenen Jahren jeweils ein Überschuss erwirtschaftet worden, 2017 mehr als 700 000 Euro, obwohl eine gemeinnützige Gesellschaft keine Gewinne machen dürfe. Nordhusen moniert, dass die LAG keine Unterlagen vorlege, die den Bedarf der LAG-Mitglieder nachweise: „Wir bekommen Unterlagen nur spärlich“.
Und warum gab es im Bereich der Pflegekassen, die angedockt an die Krankenkassen sind, keine Einigung? Ein AOK-Sprecher widerspricht, dass 7,4 Prozent Erhöhung im Raum gestanden habe. Das letzte Angebot will man jedoch nicht beziffern. Nordhusen sagt: Wenn der Preis der ambulanten Altenpflege steige, steige auch der Eigenanteil der Pflegebedürftigen. „Am Ende zahlen es also die Pflegebedürftigen. Viele nehmen dann weniger Pflege in Anspruch."
Die LAG weist die Vorwürfe als Vermutungen zurück. „Wir verweigern keine Informationen“, betont Sprecher Arnold Knigge. Diese seien nie so konkret gefordert worden. „Wenn die Krankenkassen die gebildeten Durchschnittswerte anzweifeln, müssen sie Einzelverhandlungen führen“, sagt Knigge. Es sei in Kollektivverhandlungen vollkommen normal, dass ein Verband Durchschnittswerte bilde und für all seine Mitglieder verhandle.
Der Vorwurf, die Awo Ambulant brauche die geforderte Erhöhung gar nicht, weil sie Überschüsse erwirtschaftet, weist die LAG ebenfalls zurück. „Das ist unlauter“, findet LAG-Geschäftsführerin Sylvia Gerking, „die Awo Ambulant ist ein Betrieb mit Pflegeheimen, teilstationärer Pflege und ambulanten Diensten. Man kann anhand der Bilanzen gar nicht sagen, auf welchen Bereich wie viel Gewinn entfällt.“
„Wir finden es sehr verwunderlich, dass von Seiten der Kassen mit dem Finger auf ein gemeinnütziges Unternehmen gezeigt wird“, teilt die Geschäftsführerin der Awo Ambulant, Petra Sklorz, mit. „In gemeinnützigen Unternehmen wird jeder Ertrag vollständig und zeitnah wieder gemeinnützig eingesetzt.“ Gewinne dürfe ein gemeinnütziges Unternehmen nicht machen, es müsse aber wirtschaftlich gesund sein. Rücklagen dienten dazu, kurzfristige Liquiditätsengpässe abzusichern und konkrete Projekte umzusetzen – zum Beispiel die Modernisierung von Pflegeheimen. „Alleine für die Absicherung der laufenden Personalkostenzahlungen und der Miet- und Leasingaufwendungen für einen Zeitraum von drei Monaten benötigt die Awo Ambulant circa 2,7 Millionen Euro“, erklärt Sklorz. Sie führt an, dass nur zwei der elf Einrichtungen der Awo Ambulant ambulante Pflegedienste seien. Die Bilanzen enthielten daher keine Aussage über die ambulanten Dienste.
LAG-Sprecher Knigge hofft, dass sich die Bremer Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) einschaltet. Auch ohne Einigungen müssen die Träger der Freien Wohlfahrtspflege ab Januar die erhöhten Tarife zahlen.