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Wolf im Visier "Es gibt Problemwölfe wie den GW 2403"

Dem niedersächsischen Umweltministerium liegen aktuell mehrere Anträge auf Abschuss eines Wolfes im Kreis Osterholz vor. Wolfsberater Heiko Ehing sagt im Interview, was er davon hält...
10.08.2022, 18:00 Uhr
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Von Patricia Brandt

Herr Ehing, 2030 wird es in Deutschland 1408 Wolfsterritorien geben. Davon geht eine neue Studie der Universität für Bodenkultur in Wien aus. Wegen der exponentiellen Zunahme der Wölfe fordert Umweltminister Olaf Lies, dass diese künftig ohne langwierige Einzelgenehmigungen geschossen werden können. Was halten Sie davon?

Heiko Ehing: Die Wölfe sind bereits ins Jagdrecht aufgenommen worden. Seit Mai gibt es Sonderregelungen für den Wolf. Es ist jetzt einfacher, einen Wolf gezielt zu entnehmen. Persönlich finde ich das sinnvoll. Denn es gibt Problemwölfe, wie den Wolf GW 2403, der in Schwanewede bereits zahlreiche Schafe und Ziegen gerissen hat.

Was ist GW 2403 für ein Wolf?

Es ist ein männlicher Wolf, viel mehr wissen wir nicht. Wir wissen nicht, wo er genau lebt oder zu welchem Rudel er gehört. Wir wissen nur, dass er hohen Schaden anrichtet. Und wenn so ein Wolf einmal Erfolg hat, wird der immer wieder kommen. Leider waren die Schafe, die er 2021 in Schwanewede und in Meyenburg angegriffen hat, nicht mit einem sogenannten wolfssicheren Zaun geschützt.

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2015 lebten sechs Rudel in Niedersachsen, heute 39. Wie hat sich die Wolfspopulation im Kreis entwickelt?

Wir haben seit vier Jahren nachweislich nur ein Rudel in Garlstedt in Schmidts Kiefern. Vermutungen zählen nicht. Ein Rudel hat immer zwei Elterntiere. Wir wissen nicht, wie viele Welpen dieses Jahr geboren worden sind. Es wurde eine Fähe mit starkem Gesäuge mit Hilfe einer Wildkamera nachgewiesen, daher wissen wir, dass welche da sind, nicht aber wie viele. Oft leben noch Wölfe vom Vorjahr beim Rudel. Das sind Wölfe, die als Ammen auf die Welpen aufpassen. Es jagen nur die Elterntiere.

Wolf Kurti im Heidekreis war 2016 der erste Wolf, der auf ministerielle Anordnung getötet wurde, weil er sich mehrmals Menschen genähert hatte. Auf der Leuchtenburger Straße wurde kürzlich ein vermeintlicher Wolfswelpe gesichtet. Laut Ihrem Kollegen Michael Ohlhoff ein Fehlalarm.

Junge Marderhunde und Füchse werden oft mit Wölfen verwechselt. Doch Welpen laufen nirgends lang. Man muss davon ausgehen, dass die Wölfin ihren Bau irgendwo abseits anlegt, nicht in der Nähe von Bebauung.

Würden Sie dennoch sagen, dass die Wölfe im Kreis ihre Scheu verlieren?

Das wäre nicht gut. Aber ich glaube nicht, dass das Garlstedter Rudel Schmidts Kiefern verlässt und jenseits der Autobahn jagt. Sie werden hier sehr regelmäßig von den Kameras gesichtet. In den letzten zwei Wochen allein vier Mal. Auf drei der Filmsequenzen ist der Wolf klar nachgewiesen. Den Wolf GW 2403 habe ich in Schmidts Kiefern nicht nachweisen können. Es ist aber auch nicht gesichert, dass sein Revier nur westlich der Autobahn liegt.

Die Nutztierrisse im Kreis mehren sich, beim Umweltministerium liegen gleich mehrere Anträge auf Abschuss eines Wolfes aus den Kreisen Osterholz und Cuxhaven vor. Was bringt es, einen beliebigen Wolf zu töten, wenn der Wolf GW 2403 gar nicht zum Garlstedter Rudel gehört?

Der Antrag, einen Wolf aus dem Garlstedter oder Schiffdorfer Rudel zu töten, wurde bereits einmal vom Oberverwaltungsgericht Oldenburg einkassiert. Doch die Übergriffe in Schwanewede sind extrem. Es geht hier auch um die Akzeptanz in der Bevölkerung. Wenn ein Tier entnommen wird, wäre es natürlich sinnvoll den Wolf GW 2403 zu entnehmen und nicht irgendein Tier abzuschießen. Es bringt nichts, einen Wolf aus Schmidts Kiefern zu töten, der völlig unauffällig ist. Hier ist bisher sehr wenig passiert. Wenn das die gleichen Tiere wären, müsste doch hier auch mehr passieren.

Woher würde der Jäger wissen, dass er beispielsweise den Wolf GW 2403 trifft?

Das kann man nicht wissen. Man schießt einen – und hofft, dass er es ist. Klarheit bringt dann die genetische Untersuchung. Wie das Ganze funktionieren soll, wird in einer Abschussgenehmigung genau festgelegt – unter anderem werden nur einige wenige Personen mit der Durchführung beauftragt. Man kann nicht einfach mal rausgesehen und einen Wolf schießen. Ich habe noch nicht mal einen gesehen, wie soll ich ihn denn bejagen?

Wann könnte ein Abschuss freigegeben werden?

Die Diskussion im Ministerium bekomme ich als Wolfsberater nicht mit. Um einen Abschuss freizugeben, muss der Wolf bei zwei Übergriffen den wolfssicheren Herdenschutz überwunden haben. Dieser muss mindestens 1,20 Meter hoch sein und der Richtlinie Wolf entsprechen. Dann gehen die Behörden davon aus, dass ein Wolf diese Jagdtechnik erlernt hat und weiter verfolgen wird. Allerdings sind etliche Zäune hier nicht mal 90 Zentimeter hoch. Die Angriffe zählen also nicht. Irgendwann kriegt der Landkreis eine Nachricht über die Freigabe und wird das mit uns besprechen.

Sie sind seit Jahren als Wolfsberater im Einsatz. Inwiefern hat sich die Einstellung der Menschen zum Wolf verändert?

Man muss zwischen der Landbevölkerung und der Stadtbevölkerung unterscheiden. Die Landbevölkerung wird allmählich sehr, sehr skeptisch, während die Stadtbevölkerung ‚Hurra‘ schreit. Ich hatte kürzlich den Anruf eines Familienvaters, der mit seinen Kindern hier Wölfe gucken kommen wollte. Wo sie hin müssten? Ich dachte erst, die wollen mich veräppeln. Die Landbevölkerung hingegen wird immer skeptischer. Die Eltern am Kindergarten an der Beeke waren sehr beunruhigt, als dort ein Wolf Schafe riss. Der Wolf ist ein faszinierendes Tier, aber er ist ein Wildtier, dem man mit Vorsicht begegnen muss.

Das Interview führte Patricia Brandt.

Zur Person

Heiko Ehing

ist seit 2012 Wolfsberater im Kreis Osterholz. Der Revierförster der Försterei Heidhof und Jäger hat Forstwirtschaft in Göttingen studiert. Er lebt mit Frau und zwei Kindern in Garlstedt.

Zur Sache

Wann der Wolf bejagt wird

Nachdem im Dezember 2021 mehr als 30 Schafe in Neuenkirchen gerissen worden sind, hatte der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) eine Sondergenehmigung erlassen, nach der ein beliebiger Wolf aus dem Schiffdorfer oder Garlstedter Rudel erschossen werden dürfe. Diese Genehmigung hat im März das Verwaltungsgericht Oldenburg kassiert. Vor Herbst ist nach bisherigem Recht keine neue Sondergenehmigung möglich. Doch dem Umweltministerium liegen nach den Worten von Sprecherin Jorid Marlene Meya aktuell mehrere Anträge auf Erteilung sogenannter artenschutzrechtlicher Ausnahmegenehmigungen für die Landkreise Osterholz und Cuxhaven vor. Meya: „Innerhalb der Prüfung dieser Anträge entscheidet das Ministerium, welches Individuum aus welchem Rudel zum Abschuss freigegeben wird." Wann dies geschieht, sagt Meya nicht.

Wie es aus dem niedersächsischen Ministerium für Umwelt in Hannover weiter heißt, erfolge die Freigabe eines Abschusses auf Grundlage des Paragrafen 45 Absatz 7 und des Paragrafen 45a Absatz 2 und 4 des Bundesnaturschutzgesetzes. „Sehr kurz zusammengefasst muss ein Wolf danach in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang einen definierten, zumutbaren Herdenschutz mehrfach überwunden haben, damit er entnommen werden kann“, erläutert Jorid Marlene Meya. Was zumutbar ist, sei nach Tierart und Örtlichkeit unterschiedlich. Bei einer üblichen Koppelhaltung von Schafen wäre das ein 120 Zentimeter hoher und stromführender Zaun. „Der zumutbare Herdenschutz muss bei zwei Übergriffen überwunden sein. Dann gehen wir davon aus, dass ein Wolf diese Jagdtechnik erlernt hat und weiter verfolgen wird und damit weiteren Schaden verursachen wird.“

Wer den möglichen Abschuss im Kreis Osterholz vornehmen würde, ist noch nicht geklärt. Dies soll mit der Jagdbehörde der Landkreise abgestimmt werden.

In Niedersachsen wurde laut Umweltministerium bereits ein knappes Dutzend Wölfe getötet. Zuletzt im Februar 2022. Nach dem Abschuss eines weiblichen Tieres des Rudels Amt Neuhaus wurde auch ein männliches Tier getötet, da es trotz des ersten Abschusses zu weiteren Rissen kam. Aus den DNA-Analysen geht hervor, dass unter anderem die beiden Elterntiere des Rudels beteiligt waren. Der Gesamtschaden der Risse ab 2020 wird mit knapp 6000 Euro angegeben, wobei die finanzielle Bearbeitung als nicht abgeschlossen gilt. 

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