Herr Lütjen, was erhoffen Sie sich vom neuen Jahr, und was befürchten sie womöglich?
Bernd Lütjen: Meine Hoffnungen sind, dass wir nach dem 23. Februar schnell eine neue Bundesregierung bekommen, die von demokratischen Parteien gestellt wird und die für deutliche Veränderungen in der Wirtschaftspolitik sorgt. Damit wir nach den letzten Jahren des Seitwärtsgleitens mit geringen Verlusten neue Impulse bekommen.
Gibt es Befürchtungen?
Befürchtungen natürlich, dass es neben den demokratischen Kräften auch andere Parteien gibt, die ein starkes Wählerpotenzial haben. Ich will sie namentlich nicht nennen, aber diese Parteien könnten in den Bundestag gewählt werden, beziehungsweise stärker werden als bisher.
Erwarten Sie eine schwierige Regierungsbildung?
Nein, ich glaube, dass mittlerweile alle demokratischen Parteien ganz genau wissen, worum es geht, wenn sie in die Pflicht genommen werden, und dann werden sich alle Verantwortlichen die Karten neu legen müssen.
Auch darüber, was aus der Schuldenbremse wird?
Ja, wir Landräte im Elbe-Weser-Raum haben vorige Woche die „Lüneburger Erklärung“ verabschiedet. Es kann nicht sein, dass der Bund das Schild Schuldenbremse vor sich herträgt, und die Länder auch, während die Kommunen dazu genötigt werden, sich hochgradig zu verschulden – und das teilweise für Aufgaben, für die sie gar nicht zuständig sind. Da erwarte ich den Turnaround, von dem der Ministerpräsident beim Neujahrsempfang der IHK Elbe-Weser gesprochen hat. Er hat das auf die wirtschaftliche Entwicklung bezogen, aber ich finde, eine Kehrtwende muss es auch in der Behandlung der kommunalen Finanzen geben.
Es heißt, auf der kommunalen Ebene erlebt der Bürger den Staat am direktesten. Wie ist es aus Ihrer Sicht um das Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat bestellt?
Es gibt wohl immer wieder Leute, die mit nichts einverstanden sind. Aber auf Gemeinde- und auf Kreisebene sind wir wirklich nah an den Bürgerinnen und Bürgern und kümmern uns um die Probleme. Ich glaube, da spreche ich auch für alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister: Wir ducken uns nicht weg, sondern gehen es offensiv an. Leider ist es aber auch so, dass man es nicht allen recht machen kann, egal was man versucht. Viele sind zufrieden und geben positive Rückmeldungen, aber es gibt ebenso viele, die sich kritisch äußern. Ein gutes Beispiel ist das Thema Windkraft. Das Thema wird uns auch in diesem Jahr beschäftigen, da erleben wir das hautnah.
Es sollen neue Vorrangstandorte im Landkreis ausgewiesen werden. Was sagen Sie den Kritikern, denen der Entwurf zu weit geht?
Konflikte gibt es, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Es gibt genügend Leute, die sich von solchen Anlagen in ihrer unmittelbaren Umgebung gestört fühlen. Natürlich ist das eine Beeinträchtigung. Ich kann diese Menschen verstehen. Vor allem, wenn da auch schon Windkraftanlagen stehen. Es ist uns aber von vielen Seiten bestätigt worden: Die Kriterien, die wir bei der Flächensuche angelegt haben, sind objektiv. Da gibt es Mindestabstände, die eingehalten werden. Das steht für mich an erster Stelle. Einige Bereiche im Landkreis Osterholz sind relativ frei von Wohnbebauung, nur da kann Windkraft stattfinden. In den alten Findorff-Siedlungen stehen viele Wohnhäuser. Das führt dazu, dass in diesen Bereichen Windkraft nicht möglich ist.
Andere Stimmen wollen gerne noch mehr Windparks…
Das hat mich tatsächlich auch gewundert. Menschen, die damit Geld verdienen wollen, hat es schon früher gegeben; und auch Gemeindeparlamente, die gesehen haben, dass es Sinn ergibt, sich um Windkraft zu kümmern, weil wir die Energiewende sonst nicht hinkriegen. Aber dass jetzt auch Gemeinden mehr wollen, als eigentlich vorgesehen ist, das ist neu. Die Betroffenen wollen natürlich, dass das verdiente Geld möglichst vor Ort bleibt, sodass sie davon auch profitieren können. Das finde ich nachvollziehbar.
Im öffentlichen Dienst beginnen am Freitag die Tarifverhandlungen. Sie vertreten die Arbeitgeberseite, wenn auch nicht am Verhandlungstisch. Wie schwierig werden die Gespräche?
Die werden sehr schwierig. Ich zitiere nur selten einen Oberbürgermeister aus Baden-Württemberg, aber ich fand es schon bemerkenswert, dass Boris Palmer gesagt hat, die Tarifwünsche seien „nicht von dieser Welt“. Was da allen Ernstes gefordert wird, muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen…
Acht Prozent, nicht wahr?
Es sind acht Prozent nominal. Dazu kommen zusätzliche freie Tage und noch einer für Gewerkschaftsmitglieder obendrauf. Wenn man alle Forderungen zusammenzählt, sind wir bei elf bis zwölf Prozent. Und wir haben gerade den teuersten Tarifabschluss aller Zeiten hinter uns. Aber da galten andere Voraussetzungen: Mit der Energiekrise und einer hohen Inflation gab es einen gewissen Nachholbedarf. Aber jetzt in dieser Phase mit dieser Forderung zu kommen, ist für mich wirklich deutlich zu viel. Es werden harte Verhandlungen, aber ich hoffe, dass sich die andere Seite die Rahmenbedingungen und die finanzielle Situation der Kommunen noch mal ganz genau ansieht. Wenn wir jetzt außerdem noch annähernd einen solchen Tarifabschluss zu bewältigen hätten, weiß ich tatsächlich nicht mehr, wo das hingehen soll.
Im Laufe dieses Jahres dürfte sich herauskristallisieren, was aus Sicht der Landesbehörde die Vorzugsvariante für die „B 74 neu“ ist. Wie sieht die von Ihnen favorisierte Lösung aus?
Ich warte die Ergebnisse der Untersuchungen ab. Es gab ja schon eine Lösung und jetzt ist auch die andere Variante noch mal untersucht worden. Mit den Erkenntnissen werden wir uns in den Gemeindeparlamenten und auf Kreisebene auseinandersetzen, da will ich nicht vorgreifen. Und natürlich kann ich auch da die Menschen verstehen, die auf der einen oder auf der anderen Seite wohnen und sich über die zusätzliche Belastung beschweren. Es gibt immer wieder Eingriffe und Veränderungen, die aber fürs große Ganze vielleicht notwendig sind.
Eine Nulllösung wäre keine Option für Sie?
Man muss doch auch sehen, dass sich die Situation in Scharmbeckstotel, Settenbeck und Ritterhude seit Jahrzehnten nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hat. Darum hat man sich doch seinerzeit auf den Weg gemacht, um über eine Lösung nachzudenken. Und die muss jetzt eben noch mal auf den Prüfstand.
Sie legen sich also nicht fest?
Ich warte auf die Ergebnisse des Landes. Wir als Landkreis sind da nur Beteiligte. Außerdem haben wir eine Beschlusslage im Kreistag; die ich zu vertreten habe. Da werde ich mich jetzt nicht positionieren, ohne vorher die neuesten Zahlen zu kennen und mit den Kreistagsgremien gesprochen zu haben.
Dann bleiben wir auf der Kreisebene und blicken kurz auf 2024 zurück. Was waren die Tops und die Flops? Was lief gut, was war eher enttäuschend?
Ich bin froh, dass wir im Bereich der BBS sehr große Fortschritte gemacht haben. In den Osterferien wird das erste der drei neuen Gebäude bezogen, danach wird im Bestand weiter saniert. Auch andere Punkte konnten wir vorbereiten, die jetzt umgesetzt werden, wie den Bau der Pflegeeinrichtung, der Ende Februar beginnt. Für die Bioabfallvergärungsanlage rechnen wir fürs erste Quartal 2025 ebenfalls mit dem ersten Spatenstich.
Lange genug hat es gedauert…
Ja, aber jetzt haben wir endlich die Genehmigung des staatlichen Gewerbeaufsichtsamts. Natürlich muss alles vernünftig geplant und ausgeführt werden, aber was wir dafür alles vorlegen mussten, ist wirklich ein gutes Beispiel dafür, über Bürokratieabbau noch mal ernsthaft nachzudenken. Diesmal sind wir selbst die betroffenen Antragsteller gewesen.

Gab es Enttäuschungen?
Enttäuschungen gibt es, wenn man sich Sachen vornimmt, die dann doch nicht so schnell umgesetzt werden. Der Bürokratieabbau ist ein Riesenthema, seit Jahrzehnten. Auch das verspreche ich mir von dem Turnaround, den der Ministerpräsident angesprochen hat. Ich hoffe, dass es inzwischen so eng geworden ist, dass man jetzt zu Vereinfachungen kommen muss. Kein Krankenhausfinanzierungsverbesserungsgesetz und auch kein Cannabisgesetz mit neuen Pflichten für unsere Ordnungsbehörden. Sondern ich erwarte, dass Bund und Land uns langsam mal ernst nehmen. Damit wir nicht immer wieder mit neuen Vorschriften belastet werden. Wir werden mit einem Aufwand zugeschüttet, der in der Blase in Berlin überhaupt nicht gesehen wird und der hier vor Ort umgesetzt werden muss. Frustrierend ist außerdem die negative Finanzentwicklung, die es im vergangenen Jahr zum ersten Mal in dieser massiven Form gegeben hat. Die wird sich 2025 und in den Folgejahren weiter verstetigen, wenn sich nichts Grundlegendes ändert.
Wie sicher sind Sie, dass wir 2025 die Gründung des Naturparks Teufelsmoor erleben werden?
Wir sind in sehr guten Gesprächen mit den potenziellen Partnern. Mir ist dabei noch mal deutlich geworden, dass man es nicht übers Knie brechen kann. In Bremen wurde mit den Landwirten im Blockland über Jahre eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt. Und die warten nicht auf einen Landkreis Osterholz, der mit fertigen Strukturen, einem Verein oder einem Verband, auf die Nachbarn zugeht, die das dann nur noch abnicken können.
Sondern?
Sie erwarten von ihren Behörden genau das, was wir mit unseren Landwirten und mit allen Beteiligten auch praktizieren: Sie wollen überzeugt und nicht überrumpelt werden. Wobei der Naturpark zwar keine zusätzlichen Einschränkungen bedeutet, aber man muss eben vorsichtig sein. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Antrag in diesem Jahr auf den Weg bringen können.
Wie weit sind Ihre Überlegungen hinsichtlich einer Kandidatur als Landrat im nächsten Jahr gediehen?
Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Die Arbeit ist sehr fordernd und nicht einfacher geworden. Aber es macht mir nach wie vor Spaß. Ich bin gerade dabei, mich noch mal gründlich durchchecken zu lassen. Man muss für diesen Job wirklich topfit sein. Da möchte ich erst grünes Licht bekommen; immerhin wären es acht Amtsjahre. Ich kläre das aber zeitnah und werde meine Entscheidung dann rechtzeitig kommunizieren.
Das Interview führte Bernhard Komesker.