Zwei Tage zuvor hatte der Rücktritt des Vorsitzenden Manfred Engelbart den gesamten SV Atlas Delmenhorst erschüttert, doch am Spieltag war für die Regionalliga-Fußballer des Vereins alles wie immer. Engelbart holte Brötchen und versorgte die Mannschaft am Sonntag beim Frühstück vor der Abfahrt zur Partie beim TSV Havelse (0:0). „Das habe ich immer gemacht und werde es auch weiterhin tun“, sagt der 78-Jährige. Überhaupt bleibt er nah dran am Verein. Der Besitzer mehrerer Autohäuser fungiert weiterhin als Hauptsponsor und steht den Verantwortlichen bei Bedarf beratend zur Verfügung. „Ich bin ja nicht davongelaufen und bin dem SV Atlas nach wie vor eng verbunden, aber ich musste raus aus der Schusslinie. Mein Akku war einfach leer“, erklärt Engelbart.
Immer wieder hatte sich der Vorsitzende für seinen Verein aufgerieben. Dass es nicht ewig so weitergehen konnte, wusste Engelbart schon länger. Den Absprung zu schaffen fiel ihm schwer, zu viel Herzblut war dabei. „Den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt gab es nicht“, sagt Engelbart. Den Ausschlag gab nun das Hin und Her vor dem Heimspiel gegen den VfB Lübeck am 1. April. Die Stadt Delmenhorst hatte zunächst den Gästeblock komplett gesperrt und auf die mangelhafte Statik des dortigen Zauns verwiesen. Ohne Gästefans hätte die Partie nicht im Delmenhorster Stadion ausgetragen werden können, sagt Engelbart. „Der Norddeutsche Fußballverband wollte das Spiel nach Osnabrück oder Wilhelmshaven verlegen. Wenn das passiert wäre und man uns das Spiel weggenommen hätte, wäre ich doch in ganz Norddeutschland der Depp gewesen."
Der Kampf ums Heimspiel
Er nahm die Angelegenheit persönlich und kämpfte um das Heimspiel. Tagelang hing Engelbart fast nur am Telefon und erreichte schließlich einen Kompromiss mit der Stadtverwaltung: Bis zu 200 Gästefans waren erlaubt, die Partie konnte in Delmenhorst stattfinden. Auch für das Landespokal-Halbfinale gegen den Drittligisten VfB Oldenburg am 26. April fand Engelbart praktisch als letzte Amtshandlung noch eine Lösung: Dann sind 400 Zuschauer im Gästeblock erlaubt, weil der Zaun zur zusätzlichen Absicherung per Schellen mit der Barriere davor verbunden wird. „Der Kampf hat sich gelohnt, aber ich habe mich danach schon gefragt, wofür ich das alles überhaupt mache“, schildert Engelbart. „Einigen bei der Stadt ist völlig gleichgültig, wie der SV Atlas und damit auch die Stadt Delmenhorst dastehen.“
In den Jahren davor hatte es immer wieder Reibungspunkte mit der Verwaltung gegeben, etwa beim für die Regionalliga erforderlichen Bau einer Flutlichtanlage am Stadion-Hauptplatz oder beim vom SV Atlas gewünschten eigenen Kunstrasenplatz zum Trainieren. Beide Projekte stocken weiterhin. Die Querelen ums Lübeck-Spiel seien keinesfalls der alleinige Grund für seinen Rücktritt gewesen, betont Engelbart. „Da kam vieles zusammen. Es wurde einfach zu viel. Ich hatte kein freies Wochenende und muss jetzt auch an mich denken. Schließlich habe ich ebenfalls eine Verantwortung meinem Unternehmen gegenüber, und es dauert nicht mehr allzu lange, bis ich 80 werde.“
Dass Engelbart mitten in der sportlichen Krise und im Angesicht des drohenden Regionalliga-Abstiegs sein Amt niederlegte, verstand nicht jeder. "Natürlich gab es erst einmal einen Knall, aber dafür ist jetzt Ruhe", verdeutlicht Engelbart. Es sei ihm auch darum gegangen, dass bis zur Jahreshauptversammlung noch genug Zeit sei, um einen Kandidaten für seine Nachfolge zu finden. Er selbst beteilige sich nicht an der Suche, sagt Engelbart. „Ich habe alles geordnet hinterlassen. Im Vorstand sind gestandene Leute, die sich jetzt um meine Nachfolge kümmern und die Reviere abstecken müssen.“ Erst einmal ist Atlas weiterhin handlungsfähig und verfügt mit dem zweiten Vorsitzenden Bastian Fuhrken und dem Schatzmeister Thomas von Rönn über einen geschäftsführenden Vorstand.
Suche nach Nachfolger läuft
Die Suche nach einem neuen Klubchef sei in vollem Gange, berichtet Stefan Keller, der im erweiterten Atlas-Vorstand für Medien, Kommunikation, Marketing und Vertrieb zuständig ist. Einen Namen könne er noch nicht nennen, aber er betont: „Ich bin guter Dinge, dass wir einen geeigneten Kandidaten präsentieren können.“ Innerhalb der kommenden acht Wochen soll die Jahreshauptversammlung abgehalten werden. Einen genauen Termin gibt es noch nicht. „In der Mannschaft wird es nach der Saison einen Umbruch geben. Es ist wichtig, dass auch in die Vereinsführung frischer Wind kommt“, sagt Engelbart. Der Delmenhorster Anwalt Jörg Neunaber soll laut dem zurückgetretenen Klubchef neu in den Vorstand aufrücken. Anfang 2022 war bereits der Ex-Oberbürgermeister Axel Jahnz Teil des erweiterten Vorstands geworden. Er ist für Projekte und Organisationsentwicklung zuständig.
Dass Manfred Engelbart zum Atlas-Vorsitzenden gewählt wurde, geschah im Februar 2018. „Ich wollte helfen, nicht Karriere machen“, unterstreicht er. Ein oder zwei Jahre hatte er geplant, das Amt auszufüllen. Es wurden rund fünf Jahre. In dieser Zeit gewann der SV Atlas den Landespokal, spielte im DFB-Pokal vor 41.500 Zuschauern im Weserstadion gegen die Profis von Werder Bremen und stieg in die Regionalliga Nord auf. Engelbart zog in diesen überwiegend erfolgreichen Jahren die Fäden. Er sprach mit Spielern, sprach mit Fans, sprach mit Sponsoren, sprach mit der Stadtverwaltung, sprach mit dem Verband. Für die Interessen des SV Atlas setzte er sich überall mit viel Leidenschaft ein. Das muss künftig jemand anders übernehmen, auch wenn Manfred Engelbart seinem Verein weiterhin zur Seite stehen wird. Als er den Spielern am Sonntag die Brötchen brachte, sagte er: "Ich bin jetzt nicht mehr euer Präsident, sondern euer Freund."