So richtig langweilig wird es mit Leonardo Bittencourt eigentlich nie – und so ist es auch dieses Mal, als der Mittelfeldspieler des SV Werder Bremen überpünktlich zum Termin mit unserer Deichstube erscheint. Einmal in Plauderlaune spricht der 31-Jährige im ersten Teil unseres zweiteiligen Interviews über seine Rolle im Team, klare Ansagen an die Kollegen und Wechseloptionen im vergangenen Sommer.
Herr Bittencourt, werden Sie jetzt der neue Ralf Schumacher?
(lacht) Warum? Ich habe keine Ahnung von Formel 1.
Sie haben kürzlich wie der Ex-Rennfahrer in einem Werbespot für einen Autohändler mitgespielt. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Der Inhaber ist ein Partner von uns, für viele Spieler ist er ein Ansprechpartner in Sachen Autos. Dadurch haben wir uns kennengelernt und er hat mich gefragt, ob ich in dem Spot mitmachen würde. Ich fand den Clip ganz cool und witzig.
Kommen wir zum Fußball: Haben Sie am Dienstag eigentlich bewusst den Fernseher ausgelassen oder doch einen Blick auf die Bielefelder Alm riskiert?
Natürlich habe ich da reingeschaut. Das war verdient, Bielefeld hatte Leverkusen gut im Griff.
Macht die Niederlage des Titelverteidigers den Schmerz über das eigene Aus gegen die Arminia erträglicher?
Nein, null. Es tut schon weh. Wir wollten auch ins Finale, aber man hat jetzt nochmal gesehen, dass es nicht so einfach ist.
Ist das Pokal-Aus mittlerweile komplett abgehakt in der Mannschaft?
Duckschi (Marvin Ducksch, Anm. d. Red.) saß am Dienstag in der Kabine noch neben mir und sagte, dass wir heute Abend eigentlich dran wären. Das sind so Tage, an denen du die Erinnerungen noch einmal hochholst. Und klar wurmt es einen dann nochmal, wenn man gesehen hat, welche Chance wir gehabt haben.
Sie wurden damals direkt nach dem Spiel deutlich, monierten, dass es womöglich zu lieb im Team zuginge – verbunden mit dem danach viel zitierten Satz: „Und da rasier' ich jetzt drüber, ist mir scheißegal.“ Wie genau dürfen wir uns das vorstellen?
(grinst) Das lassen wir intern.
Aber es ist etwas passiert?
Ja, ich habe gewisse Sachen angesprochen, andere Jungs auch. Wir haben eine riesige Chance liegen gelassen, was überhaupt nicht nötig war. Es war für mich schwer zu verstehen, dass wir solch eine erste Halbzeit hinlegen, nachdem wir vorher viel über unser Auftreten geredet haben, sich sogar einzelne Spieler vorher vor die ganze Mannschaft gestellt haben. Fehler passieren, das gehört im Fußball dazu. Aber die Art und Weise unseres Auftritts, das ging so nicht. Von uns war noch niemand beim Pokalfinale – und das dann so gegen einen Drittligisten herzuschenken, hat mich extrem sauer gemacht. Auf mich, auf uns, auf die ganze Mannschaft. Deswegen wollte ich da einfach klar sein, aber es ging nie gegen jemanden persönlich.
Sie haben allerdings Derrick Köhn öffentlich angeprangert.
Das Ganze wurde ein bisschen hochgekocht. Wir haben nicht verloren, weil Derrick bei seiner Auswechslung zu lange gebraucht hat. Ich habe ihm dann auch in der Kabine nochmal erklärt, wie ich das genau meinte. Es ist ja immer einfach zu sagen, dass ein Einzelner Schuld hat, doch genau das wollte ich nicht. Es war nur eine von vielen Kleinigkeiten, die dazu geführt haben, dass wir verloren haben. Im Nachhinein würde ich Derricks Namen wohl so nicht mehr öffentlich erwähnen. Zwischen uns ist auch alles gut. Das Aus tat einfach so weh. Ich werde ja auch älter. Vielleicht haken das jüngere Spieler schneller ab und sagen sich, dass sie im nächsten oder übernächsten Jahr nochmal Zeit haben. Aber bei mir sind es jetzt schon 15 Jahre als Profi. Ich weiß einfach, wie brutal schwierig es ist. Und irgendwann könnten es halt die letzten Spiele sein. Noch bin ich 31 Jahre alt, was kein Alter ist. Ich fühle mich fit und habe noch Zeit, um ins Finale zu kommen. Trotzdem habe ich schon die Mehrheit meiner Karriere gespielt.
Das sind wir automatisch bei Ihrer aktuellen Rolle. Wie zufrieden sind Sie mit ihr?
Wenn man auf der Bank sitzt, kann man als Fußballer nicht zufrieden sein. Dafür habe ich noch zu viel Energie in mir. Ich kann noch mithalten, trainiere sehr gut. Ich habe für mich gesagt, dass es jetzt mal so sein muss. Ich möchte nicht zum Training kommen und meine Stimmung davon abhängig machen, ob ich am Wochenende spiele oder nicht. Ich will jede Minute genießen. Es sind vielleicht noch fünf, sechs Jahre, maximal. Mein Ziel ist immer noch, viel von Beginn an zu spielen. Sei es hier oder woanders. Ich bin noch lange nicht satt.
Wie hart war trotzdem der Prozess, diese Rolle zu akzeptieren?
Wenn man in seiner Karriere immer Stammspieler war, dann ist es natürlich schwierig, in diese Phase zu springen. Ich will und werde es auch nicht akzeptieren, weil ich Fußballer bin und spielen will. Ich will in meiner Karriere Momente schaffen – und das ist schöner, wenn du auf dem Platz stehst als da hinten als Fünfter von links auf der Bank zu sitzen. Ich habe diese Phase aber lieber jetzt mit 31 als mit 21 oder 22, weil ich im Kopf viel gelassener bin. Ich scharre aber noch immer mit den Hufen, Senne (Lynen, Anm. d. Red.) und Jens (Stage, Anm. d. Red.) spüren jeden Tag meinen Atem im Nacken.
Sie haben vorhin gesagt, dass Sie hier oder eben woanders spielen möchten. Welche Perspektive wollen Sie im Sommer haben?
Niklas Stark hat es kürzlich ganz gut gesagt: Er würde gerne wissen, wohin die Reise geht. Bei mir ist das genauso. Vor der Saison hat mich keiner weggeschickt, obwohl eine Menge geschrieben wurde. Weder Clemens Fritz (Werders Geschäftsführer Fußball, Anm. d. Red.) noch der Trainer haben zu mir gesagt: ,Leo, such dir mal was Neues‘. Mir wurde klar gesagt, dass ich wahrscheinlich wieder viele Spiele machen würde, es nur eben Jungs gibt, die häufiger von Beginn an dabei sind. Und so ist es gekommen. Es wird hoffentlich auch dieses Mal ein Gespräch mit dem Verein geben, wo mir gesagt wird, was die Idee ist.
Das Wort „Umbruch“ ist bei Werder allgegenwärtig. Rechnen Sie als 31-Jähriger automatisch damit, dass Sie zum Kreis derer gehören könnten, von denen sich der Klub trennen will?
Es ist ein schmaler Grat, wenn man einen Umbruch machen will, dabei aber nur auf jüngere Spieler setzt. Ich war in einigen Mannschaften, in denen Umbrüche stattgefunden haben, aber es waren immer auch drei, vier, fünf Erfahrene mit dabei. Wenn ich an mich im Alter von 23 oder 24 zurückdenke und dann auf einmal ohne die Hilfe der älteren Spieler den Karren aus dem Dreck hätte holen sollen, wäre das schwierig gewesen. Es wird immer Säulen geben – ob ich dazugehöre, weiß ich noch nicht. Noch hat mit mir dazu niemand gesprochen, aber ich habe ja auch noch ein Jahr Vertrag.
Womöglich könnte der Verein genau deshalb einen Transfererlös durch Ihren Verkauf erzielen wollen…
So viel Ablöse gibt es für mich ja auch nicht mehr. (lacht)
Ein bisschen Geld sollte doch wohl noch herumkommen.
Ich weiß es nicht, da müssen wir mal schauen.
Glauben Sie wirklich, dass Sie so schlecht auf dem Markt gehandelt werden?
Nein, wenn ich ehrlich bin, war ich letztes Jahr sogar erstaunt, wie viele Möglichkeiten ich eigentlich noch gehabt hätte, um innerhalb der Bundesliga zu wechseln.
Warum haben Sie es nicht gemacht?
Auch weil ich dieses offene Gespräch mit dem Trainer und Clemens hatte. Und trotz der veränderten Rolle macht es mir hier sehr viel Spaß. Es war auch nichts dabei, von dem ich unbedingt gesagt hätte, dass ich mir noch einmal etwas Neues aufbauen muss. Jetzt im Sommer werden wir uns nochmal zusammensetzen und über die weitere Planung sprechen.
Hier geht es zum zweiten Teil des Bittencourt-Interviews