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Beschäftigte im Interview Lebenserfahrungen und Neuanfänge im Bremer Geschichtenhaus

Das Bremer Geschichtenhaus im Schnoor, aktuell wegen Mittelkürzungen von der Schließung bedroht, ist mehr als ein Museum. Zwei dort Beschäftigte, Sarah und Hagen, erzählen im Interview warum.
02.01.2025, 05:00 Uhr
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Von Matthias Holthaus
Inhaltsverzeichnis

Zur Person: Sarah ist 29 Jahre alt und in Bremen geboren. Sie ist gelernte Bürokauffrau und derzeit im Bremer Geschichtenhaus des Beschäftigungsträgers Bras im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit (AGH) tätig.

Wie sind Sie aufgewachsen?

Meine Mutter hat mich alleine großgezogen. Wir haben schon immer Geld vom Jobcenter bekommen, weil meine Mutter erwerbsgemindert war. Aber sie hat sich trotzdem immer bemüht, arbeiten zu gehen.

Wie war das für Sie?

Seit dem Ausbildungsbeginn war die Familiensituation eher belastend, weil mittlerweile leider alle verstorben sind. Es war oft nicht leicht, auch in der Schule und in der Ausbildung nicht. Ich hatte nicht so viel Glück mit den Klassenkameraden.

Wurden Sie gemobbt?

Ja.

Was haben Sie vor und nach Ihrer Ausbildung gemacht?

Nach dem Realschulabschluss habe ich die Fachhochschulreife für Gesundheit und Soziales erlangt. Zwischenzeitlich habe ich ein FSJ in einer Krippe gemacht. In der Coronazeit habe ich meinen ersten Job im Büro gehabt. Nach drei Monaten bin ich gekündigt worden. Mein Sachbearbeiter vom Jobcenter hat mich dann in ein Beschäftigungszentrum vermittelt. Das war eine reine Beschäftigungsmaßnahme und keine AGH.

Anschließend kamen Sie ins Geschichtenhaus?

Ich kannte das Geschichtenhaus bereits, weil meine Mutter hier mal gearbeitet hat. Ich habe mir mit der Pädagogin vom Beschäftigungszentrum alles angeschaut und mich vorgestellt.

Was machen Sie hier?

Ich spiele in der Ausstellung eine Rolle im Kontor, einer Spielstation. Die zweite Rolle, an der ich gearbeitet habe, ist die Rolle einer jungen Frau, die die Lebensgeschichte Gesche Gottfrieds erzählt.

Was macht Ihnen hier Spaß?

Zu Beginn hatte ich davor sehr viel Respekt und auch ein bisschen Angst – aber mir macht die Gästebetreuung Spaß, wenn die Leute freundlich und gut drauf sind. Früher stand ich auch oft vor der Tür und habe Werbung gemacht.

Haben Sie es erst lernen müssen, so unbefangen den Menschen gegenüberzutreten?

Das war auf keinen Fall von Anfang an da. Ich habe ja ziemlich schlechte Erfahrungen mit Mitschülern gemacht. Ich bin auch eher ruhig, introvertiert und zurückhaltend. Ich habe aber hier von ganz vielen Leuten ein großes Lob bekommen: dass ich eine sehr gute Entwicklung genommen habe. Und ich merke selber auch, wie mir die Sachen immer leichter fallen.

Sind Sie auch wegen Erkrankungen hier oder einfach, weil Sie das Leben hierhin gebracht hat?

Eher durch die Lebensumstände. Ich habe auch mit Depressionen zu kämpfen, wenngleich nicht so schlimm. Was bei mir überwiegend das Problem war, waren das Mobbing, die Ausgrenzungen und die Sprüche von den Mitschülern. Das hat das Selbstbewusstsein komplett kaputtgemacht.

Was würden Sie tun, wenn das Geschichtenhaus schließen müsste?

Meine größte Angst wäre, dass ich meine Katze nicht mehr versorgen könnte. Und dann müsste ich wohl mein Deutschlandticket aufgeben, was für mich schwierig wäre, weil ich viele Freunde habe, die nicht hier wohnen. Das Geschichtenhaus hat mir in der schweren Zeit sehr geholfen: Hier ist immer jemand zum Reden, seien es die Kollegen oder die Anleiter. Es ist immer ein offenes Ohr da.

Was würden Sie später gerne beruflich machen?

Ich würde erst einmal ins Büro zurückgehen, weil ich mich nicht noch einmal in einer Schule oder in einer Ausbildung sehe. Und dann auch in einem familiären und freundlichen Umfeld. Das ist mir wirklich wichtig, dass es eine offene und unterstützende Atmosphäre gibt, so wie hier im Geschichtenhaus. Mir ist Zusammenhalt sehr wichtig.

Zur Person: Hagen ist 41 Jahre alt und in Bremen geboren. Er ist Fachkraft im Gastgewerbe und Veranstaltungskaufmann und begann eine Kochlehre. Im Geschichtenhaus ist er im Rahmen einer AGH tätig.

Wie war Ihre Kindheit?

Eigentlich ziemlich gut. Mein Vater war Polizist, meine Mutter hat eine Gaststätte geführt. In einem Kleingartengebiet, wo ich mit meinem Bruder zusammen viel Fläche zum Spielen hatte. Als ich 16 Jahre alt war, hat meine Mutter meinen Vater verlassen. Das hat vieles verändert.

Inwiefern?

Ich habe angefangen, an Menschen zu zweifeln und Vertrauen infrage zu stellen. Ich bin jemand, der Menschen Vertrauen entgegenbringt, wenn sie mit mir anständig umgehen. Dadurch habe ich immer wieder Tiefschläge kassiert. Ich habe es sehr oft erlebt, dass ich mich habe ausnutzen lassen. Und dadurch bin ich immer wieder kaputt gegangen.

Haben Sie eine Ausbildung gemacht?

Die Kochlehre habe ich nicht abgeschlossen. In den nicht ganz drei Lehrjahren hatte ich etwa zwölf Küchenchefs und ich weiß nicht wie viele Souschefs. Es war ein permanenter Wechsel und ein gewaltiger Druck. Ich kam damit nicht klar, habe dann irgendwann nur noch Magenschmerzen gehabt und musste mich übergeben, bevor ich das Haus betreten habe. Ich habe es dann abgebrochen und in einem anderen Betrieb eine Lehre als Fachkraft im Gastgewerbe gemacht. Dann hat man mir bei den „Fogelvreien“, die den historischen Teil des Schlachtezaubers machen, ein Langzeitpraktikum angeboten, woraus dann eine Umschulung zum Veranstaltungskaufmann wurde. Dann bekam ich von guten Freunden aus einer anderen Stadt, die ein Mittelalterrestaurant hatten, das Angebot, es zusammen mit ihrem Sohn zu übernehmen. Nach vier Jahren war ich komplett ausgebrannt. Ich kam zurück nach Bremen, dann startete Corona, wodurch ich in ein ganz tiefes Loch gefallen bin. Ich habe mich immer weiter zurückgezogen, sodass ich das Haus nur noch für das Nötigste verlassen habe. Dann hat mein Fallmanager das Geschichtenhaus vorgeschlagen. Im Juli 2023 habe ich hier als Werber angefangen. Seit einem halben Jahr spiele ich einen Schiffsgesellen auf der Fleute und seit Kurzem meine zweite Rolle an der Dombrandstation. Ohne das Geschichtenhaus wäre ich wohl in irgendeine Sucht abgerutscht, hätte Depressionen und würde nur zu Hause rumhängen. Dadurch, dass ich immer tiefer in dieses Loch versank, hatte ich Panik davor, dass ich da gar nicht mehr rauskomme.

Alkohol und Drogen hätten für ein paar Stunden Entspannung vom Leben bedeuten können...

Davor hatte ich große Angst. Alkohol ist für mich ein Genussmittel, hätte aber für mich zu einem Suchtfaktor werden können. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es weiter mit mir bergab gegangen wäre, hätte ich nicht diesen tollen Fallmanager gehabt. Nachdem ich hier den Anfang geschafft hatte, bedeutet es mir seitdem unheimlich viel und gibt mir eine Sicherheit, eine Kraft, die ich mir alleine nicht hätte zurückholen können. Für mich ist das ein sicherer Hafen geworden.

Wie wäre es, wenn das Geschichtenhaus schließen müsste?

Die Leute hier im Haus wollen arbeiten und wollen sich nicht damit abfinden, zu Hause zu sitzen, vom Bürgergeld zu leben und den Bürgern dieses Landes auf der Tasche zu liegen. Es macht mir Angst, dass man mir diesen Platz nehmen möchte. Das Geschichtenhaus ist wichtig für Bremen, einerseits als soziale Stätte, aber auch aus dem Blickwinkel, dass wir solch eine touristische Attraktion sind. Es wäre ein Riesenverlust für Bremen, in vielerlei Hinsicht.

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Info


Das Bremer Geschichtenhaus des Beschäftigungsträgers Bras besteht seit 2006 und bietet Langzeitarbeitslosen die Möglichkeit zur Beschäftigung. Nach Mittelkürzungen ist das Geschichtenhaus nun von der Schließung bedroht: Rund 180.000 Euro fehlen laut Bras fortan pro Jahr, um das Haus weiterführen zu können. Die Hälfte des Geldes sei durch eine Großspende zusammengekommen, so die Geschichtenhaus-Betriebsleiterin Sara Fruchtmann. „An dieser Hälfte scheitert es – eine im Vergleich zu anderen Förderungen geringe Summe“, sagt sie. „Für mich viel Geld, doch für die Politik, die die Gelder vergibt, nicht.“

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