„Eigentlich“, sagte Antje Grotheer den Mitgliedern des Beirates Oberneuland – „eigentlich ist die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft das Staatsoberhaupt.“ Die praktische Politik überlässt sie dann aber doch anderen Institutionen, vielmehr leitet sie die Sitzungen der beiden Gremien Stadtbürgerschaft und Landtag. Doch an diesem Abend traf sie sich zum Austausch mit den Oberneulander Beiratsmitgliedern. Sie wollte wissen: Wo drückt der Schuh? Was kann verbessert werden?
Der Schuh, das wurde umgehend deutlich, drückt dort: „Wir haben in Oberneuland das Gefühl, nicht richtig wahrgenommen zu werden“, sagte Beiratssprecherin Tamina Kreyenhop (CDU). „Wir stellen immer wieder Haushaltsanträge zu den Themen ÖPNV, Straßen, Bebauungen, Schulneubauten, Turnhallen und Schulen insgesamt, es läppert sich, wir sind seit zehn Jahren dran. Und passiert ist nichts.“ Deshalb könne sie verstehen, dass die Menschen in Oberneuland ein wenig frustriert seien, und fragte Antje Grotheer: „Was können wir besser machen? Oder greifen wir zu weit?“ Frank Müller-Wagner (CDU) vermutete, dass die Leute auch Politikverdrossenheit erfasst habe. Er verwies konkret auf die Haltestelle an der Tobiasschule, die mangels Geld jährlich abgelehnt werde: „Wir fühlen uns milieudiskriminiert.“
Dasselbe Gefühl in Schwachhausen
Antje Grotheer, die von 1999 bis 2007 dem Beirat Schwachhausen angehörte, antwortete darauf: „In Schwachhausen hatten sie dasselbe Gefühl.“ In bestimmten Teilen der Stadt, so das Gefühl, werde mehr hingeschaut. „Und ich nehme wahr, dass für Schwachhausen und Oberneuland irgendwie erwartet wird, dass sie das selber in die Hand nehmen.“ Und doch nehme sie eine positive Entwicklung des Stadtteils wahr, was sie auch an der vermehrten Wohnbebauung festmachte.
Ulrike Hirth-Schiller von der SPD sagte, sie fühle sich nicht milieudiskriminiert, doch sie meinte auch, dass es nicht transparent genug sei, um was es in der Gremienarbeit gehe. Auch seien es mehrheitlich ältere Leute und immer weniger Frauen, die sich einsetzen würden. „Mehr Leute in die Diskussion reinholen“, nannte sie einen Ansatz zur Lösung. Antje Grotheer meinte dazu, es kämen meist nur dann Leute zu Sitzungen, wenn sie sich ärgern würden. „Leider kommen nicht die, die zufrieden sind“, bedauerte sie, und doch bescheinigte sie dem Beirat, nahe dran zu sein – auch durch sein Recht, sich Behördenvertreter einzuladen. „So nah wie im Beirat hat kein Bürger die Gelegenheit, sich alles erklären lassen zu können.“ Noch mal bedauerte sie den Umstand, dass zufriedene Bürger den Beiratssitzungen eher fernbleiben und mutmaßte mit einem leichten Lächeln: „Das Brot- und Buttergeschäft ist nicht sexy.“
Forderung nach mehr Sichtbarkeit
Auch Stefan Kraß von den Grünen teilte grundsätzlich die Auffassung, dass Oberneuland nicht richtig wahrgenommen werde, sagte aber auch, dass der Bürgerschaftspräsidentin keine wirklichen Hebel zur Verfügung stünden: „Doch ihre Stimme wird gehört: Straßen, Radwege, Spielplätze – da tritt keine Veränderung ein – obwohl immer wieder angefragt wird, wird wenig unternommen.“ Und Themen wie Schule, Verkehr oder Kitas könnten auch durch bürgerliches Engagement nicht gelöst werden: „Ich wäre dafür, Sichtbarkeit zu schaffen.“
Uwe Bornkeßel (FDP) erinnert an diverse Haushaltsanträge, die gestellt worden seien, „doch nach fast zwei Jahren ist überhaupt nichts passiert. Da verliert man an Reputation. Alle vier Jahre wird man dann gefragt, was man denn getan habe, man sehe ja gar nichts.“ Und auch das bürgerliche Engagement nehme im Stadtteil ab, und wenn es solch ein Engagement gebe, dann vorwiegend von Älteren. „Darunter leidet der Stadtteil.“
Mehr Mitspracherecht für Beiräte
Antje Grotheer verwies darauf, dass sie die Möglichkeit habe, über die Bürgerschaft nachzufragen – ein ständiger Prozess sei das, wobei sie aber auch das Gefühl habe, dass Bearbeitungszeiten länger dauern würden. „Da muss man sich die Frage stellen, warum das so ist.“ Doch die Diskussion, wie man den Beiräten mehr Gehör verschaffen könne, laufe: „Beim Bohren dicker Bretter darf man nicht nachlassen.“ Derzeit laufe auch die Diskussion, dass Beiräte mehr Mitspracherecht in der Bürgerschaft erhalten. „Ich wünsche mir, dass das mehr genutzt wird. Im April zum Beispiel werden vier Beiräte in der Bürgerschaft reden. Das ist ein starkes Signal.“
Generell müsse man sich aber Gedanken machen, wie man junge Leute mehr einbindet, um der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. „Der Anteil junger Leute, die sich engagieren, ist groß“, meinte sie, „aber die haben, ehrlich gesagt, keine Lust auf unsere 'Laberrunde'. Daher brauchen wir eine Möglichkeit für sie, etwas zu verändern.“ Eine Möglichkeit sei dabei der Jugendbeirat, doch es bräuchte dafür auch Plätze, wo sich Jugendliche treffen könnten. Cemal Kocas (Grüne) sagte daraufhin, es gebe in Oberneuland kein Kulturhaus, kein Bürgerhaus, „wir haben hier keinen Raum zum Treffen, ohne etwas konsumieren zu müssen. Wir bitten Sie daher, sehr viel mehr Gehör für Oberneuland zu schaffen. Der Staat darf einen Stadtteil nicht benachteiligen, nur weil er glaubt, dass die Menschen dort nicht benachteiligt sind.“
Erneuter Besuch geplant
Als Beiräte möchte das Oberneulander Gremium mitgenommen werden, sagte Tamina Kreyenhop, „wir sehen uns als Berater, auch für die Stadt.“ Das Anliegen des Ortsamtsleiters Matthias Kook lautete, auch als Fazit des Abends: „Die Menschen im Stadtteil ernst zu nehmen. Die Probleme im Stadtteil sind reale Probleme.“ Antje Grotheer indes kündigte an: „Ich komme gerne in ein bis eineinhalb Jahren mal wieder und frage, was sich verändert hat.“