Jennas Ohrringe glitzern im Sonnenlicht. Die Abiturientin trägt die kleinen, funkelnden Schwäne aus Überzeugung. Und doch will sie keine Primaballerina werden. Keine Schwanenprinzessin, die im weißen Ballett-Tutu, einem Rock aus mehreren Schichten Tüll, an den großen Bühnen Peter Tschaikowskys berühmtes Ballett "Schwanensee" tanzt. Trotzdem sei das Ballett ihre große Leidenschaft, erzählt sie. "Ich liebe diese Bewegung zur Musik, das ist von Anfang an so gewesen." Jenna Blume tanzt seit ihrem dritten Lebensjahr Ballett, seitdem sie sieben ist in der Ballettschule von Jacqueline Davenport in der Grundstraße.
Eine Institution in der Tanzszene
Die Choreografin ist in der Tanzszene der Hansestadt eine Institution. 1986 wurde die gebürtige Britin Ballettmeisterin am Theater Bremen, an das sie schon rund 15 Jahre zuvor nach Stationen in Mainz, am Nationaltheater Mannheim und in Frankfurt, von Hans Kresnik, dem Erfinder des modernen Tanztheaters, engagiert wurde. Kurz danach begann sie den Nachwuchs zu unterrichten. "Das wollte Kresnik damals so", blickt sie zurück. Inzwischen hat die diplomierte Tanzpädagogin viele junge Tanztalente trainiert. Zu ihren ehemaligen Schülern zählen die Bremer Michael Schüler, der als Musicaldarsteller Karriere gemacht hat, oder Esther Haase, heute eine prominente Fotografin.
Medizin statt Ballett
Obwohl sie von Kresniks Tanztheater geprägt ist, unterrichtet sie in ihrer Schule den Cecchetti-Stil, benannt nach dem 1850 in Rom geborenen Ballettmeister Enrico Ceccheti, der mit allen großen Tänzern seiner Zeit arbeitete, wie dem Ballett-Wunder Vaslav Nijinsky, der bis heute als wohl genialster Tänzer aller Zeiten gilt. In die Fußstapfen der beiden zu treten, diesen Ehrgeiz hat Jenna zwar nicht. "Ich möchte lieber Medizin studieren", sagt sie. Obwohl sie bereits als Kleindarstellerin in Mozarts "Zauberflöte" und in "Don Giovanni" an der Bremer Oper dabei gewesen ist. Tanzen wird sie trotzdem immer weiter, auch wenn sie das nicht zu ihrem Beruf macht. Genauso wie sie es während der anstrengenden Abitur-Phase getan hat. Wöchentlich zwei bis drei Mal zu trainieren, habe ihr geholfen, den Kopf freizubekommen, schildert sie.

Jacqueline Davenport beim Training mit ihren Meisterschülerinnen Jenna Blume (links) und Josefine Donalies (rechts).
Und obwohl sie keine Karriere als Profi-Tänzerin anstrebt, bereitet Jenna sich seit einem Jahr intensiv auf ihre Prüfung für das Ceccheti-Diplom vor. Dafür kommt eigens eine Prüferin aus London nach Bremen, um sie und ihre Ballett-Kollegin, die Physiotherapeutin Josefine Donalies, tanzen zu sehen und sie zu bewerten. Warum sie das tut? "Dieses Ziel bringt mich weiter voran", betont die schlanke Balletttänzerin mit dem langen, dunklen Haar. Das trägt sie bei Trainingsbeginn zu einem strengen Ballerina-Knoten gebunden.
Höchste Konzentration
Auf dem Gesicht: ein Ausdruck der höchsten Konzentration. Sie folgt den Anweisungen ihrer Ballett-Lehrerin, die vortanzend immer wieder zwischen Französisch, der klassischen Ballettsprache, und Englisch hin- und her springt: "Plié, Pas de Bourree, are you with me? The arms go en avant. That's it!" Jenna tanzt eine Passage im Stil des Ballettklassikers "Giselle", in höchster Präzision und vollendeter Grazie. Wie sie das schafft? "Das ist jahrelange Arbeit und viel Disziplin", sagt sie und lächelt. An Davenports Unterricht schätze sie die Genauigkeit und die Konstruktivität, sagt sie. Keine Spur von Drill, für den die Ballettakademie der Wiener Staatsoper vor einigen Jahren in die Schlagzeilen geriet. Der Ton der Davenport ist bei der Probe dagegen immer freundlich. Sie unterrichtet gleich mehrere Klassen parallel. Keine Spur von Ballettmüdigkeit beim interessierten Nachwuchs, hat sie festgestellt.
Anders als Jenna haben Sophia und Nayeli ihren Traumberuf Ballerina fest im Blick. Bei Letzterer ist das kein Wunder, ist Nayeli doch die Tochter des Choreografen-Paares Nora Ronge und Samir Akika. Die zwölfjährige Sophia erzählt davon, dass sie sogar schon an der Ballettschule von John Neumeier in Hamburg vortanzen und daraufhin in einem der Ballette des berühmten Choreografen mitwirken durfte. Was ihre Klassenkameraden von ihrer Ballett-Leidenschaft halten? Manche wüssten gar nicht, was das eigentlich ist, andere parodierten die Ballett-Posen, wieder andere fänden es cool, berichten die jungen Ballettschülerinnen.
Ausbildung in London
Jacqueline Davenport weiß aus eigener Erfahrung, wie das ist, Schule und Ballettunterricht kombinieren zu müssen. Sie erhielt ihre Ausbildung an der Rambert School of Ballet und an der Royal Ballet School in London. Das bedeutete für sie: Nach einer kurzen Nacht von sechs Stunden morgens um 6 Uhr aufzustehen, in die Ballettklasse und anschließend in die Schule zu gehen. Auf die Hausaufgaben folgten dann weitere Ballett-Trainingseinheiten. Sonnabends dann wieder Ballettunterricht, sonntags wurde für die Schule nachgearbeitet. Jahrelange harte Arbeit und viel Disziplin. Trotzdem habe sie nicht eine Sekunde bereut, Tänzerin geworden zu sein, sagt Davenport.

Volle Konzentration bei den Proben zur Choreografie des Musicals ”Sissy”.
Pianistin Machiko Totani, die seit 2022 das Bremer Kaffeehausorchester leitet, stimmt auf dem Klavier die "Pizzicato-Polka" von Johann Strauß an, passend zum Wiener Flair des Musicals "Sissy", das der legendären Kaiserin von Österreich gewidmet ist und das Ende November im Theater am Goetheplatz in der Regie von Frank Hilbrich Premiere haben wird. Und vier Mädchen im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren aus der neunköpfigen Ballettgruppe dürfen dabei sein. Gerade schweben sie federleicht durch den Saal. "Stellt euch bitte vor, links sitzt die Kaiserin, rechts der Kaiser, die Augen bitte nach links und rechts. Und jetzt breitet bitte eure Arme aus, wie ein Adler, der sich in die Luft schwingt. Und jetzt schaut ihm nach", sagt die Ballettlehrerin gerade.
Zusammenarbeit mit Bremer Theater
Für Jacquie Davenport ist es nicht die erste Zusammenarbeit mit Frank Hilbrich, dem Leiter der Musiktheatersparte des Theaters Bremen. An der Bremer Oper schuf sie für mehr als 60 Produktionen die Choreografien. Die prominentesten Regisseure, mit denen sie zusammen arbeitete, waren Karin Beier, heute Intendantin des Schauspielhauses Hamburg, Barry Kosky, langjähriger Leiter der Komischen Oper Berlin, und immer wieder Christof Loy. Mit ihm arbeitete sie nicht nur in Bremen, sondern auch an der Bayerischen und der Hamburgischen Staatsoper zusammen. Die Heimat-Basis ist für die Wahl-Schwachhauserin aber seit Jahrzehnten das Theater Bremen.