Am Montag und Mittwoch dieser Woche wurden in Bremen erneut 22 Stolpersteine, auch in Mitte und der Östlichen Vorstadt, in Erinnerung an die über 1500 Bremer Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft verlegt. Die Verlegung übernahm dieses Mal der Bauhof. 760 Erinnerungssteine mit Messingplatte hat der Kölner Aktionskünstler Gunter Demnig bisher seit 2004 in der Hansestadt installiert.
Wer war Lieselotte Eilers?
Einer der neuen Stolpersteine erinnert an Lieselotte Eilers, die dem NS-Euthanasie-Programm zum Opfer fiel. Die 19-Jährige wurde in Meseritz-Obrawalde mit Medikamenten umgebracht. Initiatorin der Verlegung ist Eilers' Großnichte Michaela Borhard-Struwe. Ein Herzensanliegen für sie. Die Verlegung des Stolpersteines in Habenhausen sei eine sehr feierliche, würdevolle Zeremonie gewesen, erzählt Borhard-Struwe. Da sie am Kippenberg-Gymnasium Geschichte unterrichtet, war sie von jeher in Kontakt mit der Stolperstein-Initiative. Was viele nicht wissen: Der größte Teil der in Bremen Ermordeten waren Opfer des Euthanasie-Programmes. Von den über 1500 Todesopfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die in Bremen zu beklagen waren, fielen allein 886 Medizinverbrechen zum Opfer.
Michaela Borhard-Struwe hatte schon in jungen Jahren durch ihre Großmutter von den dramatischen Umständen erfahren, unter denen deren Schwester ihr Leben lassen musste. Doch erst nach dem Tod ihrer Großmutter habe sie begonnen, intensiver zu recherchieren, erzählt sie. Schließlich fand Borhard-Struwe eine Notiz über ihre Großtante in einem der Bücher, in denen die Historikerin Gerda Engelbracht die Bremer NS-Medizinverbrechen umfassend aufgearbeitet hat. Über die Autorin kam sie in Kontakt mit Achim Tischer, dem langjährigen Leiter der Kulturambulanz auf dem Gelände des Krankenhauses Bremen-Ost genauso wie mit seinem Nachfolger Jannik Sachweh.
Wie verlief Lieselottes Schicksal?
Das, was sie in der Krankenakte ihrer Großtante lesen musste, ist erschütternd. Die 1924 geborene Lieselotte Eilers war im Alter von 15 Jahren in einem Bremer Café angestellt. Der Kaffeehaus-Besitzer vergewaltigte das junge Mädchen. Verständlich, dass sie sich weigerte, in diesem Haushalt zu bleiben. Daraufhin wurde sie in einen weiteren, großbürgerlichen und sogar kirchlich geprägten Haushalt vermittelt, sei aber auch in dieser Anstellung nicht gut behandelt worden, erzählt die Geschichtslehrerin. Sie habe immer wieder den Wunsch geäußert, nach Hause zu wollen und schließlich die Haustür eingeschlagen. Das genügte, um sie in die Bremer Nervenheilanstalt einweisen zu lassen. Der damalige, letzte Anstaltsleiter Walther Kaldewey attestierte in seinem Gutachten zwar, dass bei Lieselotte keine Geisteskrankheit vorliege, stellte aber fest, dass die unbequeme Patientin sich nicht fügen wollte. Kurz: Sie widersetzte sich stumpfsinnigen Arbeiten und rebellierte. Es ließe sich auch sagen, dass sie ihren eigenen Kopf hatte. "Ich kann sie sehr gut verstehen", bilanziert Borhard-Struwe. In der Nervenheilanstalt wurde Lieselotte mit Elektroschocks traktiert und mit schweren Psychopharmaka vollgepumpt. Die 19-Jährige wurde schließlich im Dezember 1943 wie andere Bremer Opfer auch nach Meseritz-Obrawalde verlegt. Dort wurde sie am 19. Februar 1944 mit Medikamenten getötet.
Was wurde aus dem Anstaltsleiter?
Nach Kriegsende wurde der letzte Leiter der Bremer Nervenheilanstalt, Walther Kaldewey, verhaftet. Sein Prozess fand 1948 statt. Im Juni 1948 wurde Kaldewey mangels Beweisen freigesprochen. Im Entnazifizierungsverfahren wurde er als Mitläufer eingestuft. Gerade deswegen ist es der Großnichte von Lieselotte Eilers wichtig, dass bekannt wird, was Kaldewey anderen Menschen angetan hat und dass seine Schuld öffentlich benannt wird.
Was sagen Schüler?
"Die sind sehr interessiert und wollen das wissen", sagt die Geschichtslehrerin. Dieser regionale Bezug sei Teil ihres Alltags. Denn sie hätten in ihrem Freundes- und Familienkreis auch Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben müssten oder an Demenz erkrankt seien. "Und ihnen ist sehr bewusst, dass diese Freunde und Angehörige in dem unmenschlichen NS-System keine Chance gehabt hätten." Denn die Zukunft lasse sich nicht ohne Bewusstsein für die Vergangenheit gestalten. So müsse es darum gehen, die Demokratie immer wieder aktiv mit Leben zu erfüllen. Denn auch die Schülerinnen und Schüler wüssten um die bedrohlichen Ähnlichkeiten zur deutschen Geschichte, die sich gerade abzeichneten.
Wie viel kostet die Stolperstein-Verlegung?
Die Kosten für die Verlegung eines Stolpersteines belaufen sich auf 120 Euro. Laut Kornelia Renemann vom Initiativkreis Stolpersteine Bremen werden noch dringend Stolperstein-Paten gesucht. Die Organisation erhalte keinerlei staatliche Subventionen und sei auf Spendengelder angewiesen. Bremenweit gibt es viele Initiativen, von deren Mitgliedern die Stolpersteine regelmäßig blank geputzt werden.
Wer steht hinter dem Projekt?
Stolpersteine Bremen ist ein Projekt der Landeszentrale für politische Bildung Bremen und des Vereins Erinnern für die Zukunft. Die Arbeit am Projekt wird getragen vom Initiativkreis Stolpersteine Bremen, der 2004 von Barbara Johr gegründet wurde.