Herr Plitzko, Sie sind seit zehn Jahren Umweltbeauftragter der Gemeinde Stuhr. Welches Thema hat Sie von Anfang an begleitet?
Marc Plitzko: Da gibt es nicht nur das eine Thema, sondern verschiedene. Von Beginn an betreue ich beispielsweise den Erwerb, die Entwicklung und die Verpachtung von Ausgleichsflächen. Zudem fällt mir das Thema Blaualgen im Silbersee ein, das immer mal wieder entsteht. Weiterhin kommt noch der Bereich Baumschutz dazu. Es gibt aber auch viele kleinere Themen, die regelmäßig wiederkehren – beispielsweise Anfragen zum Artenschutz.
Was hat sich bei den Themen zum Positiven oder Negativen verändert?
Im Bereich des Baumschutzes merkt man zunehmend den Siedlungsdruck im suburbanen Raum, sodass man mehr und mehr zwischen Baumschutz und Baurecht abwägen und vermitteln muss, weil immer mehr Flächen im Innenbereich als potenzielle Baufläche entdeckt werden. Da stehen naturgemäß auch öfter Bäume. Das Thema Baumschutzsatzung ist oftmals kontrovers, da der Öffentlichkeit manchmal nicht klar ist, warum der eine Baum geschützt ist, der andere aber gefällt werden darf. Hinzufügen möchte ich noch, dass für gefällte Bäume in der Regel Ersatz zu pflanzen ist und die Gesamtzahl der Bäume in Stuhr nicht zuletzt durch die Pflanzung unserer Babywälder in den vergangenen Jahrzehnten erheblich zugenommen hat.
Kommen aus diesem Bereich viele Bürgeranfragen?
Ja, denn wenn Bauinteresse besteht, dann müssen alle Bäume angezeigt werden. Und dann muss man abwägen, was Vorrang hat: Baurecht oder Baumschutz. Aber auch wenn Privatleute einfach wissen wollen, was sie mit ihren Bäumen im Garten machen sollen, kommen häufiger Anfragen. Es ist im Allgemeinen so: Lieber einmal zu viel fragen, als einmal zu wenig. Es ist immer ärgerlich, wenn wir im Nachhinein handeln müssen, weil ein geschützter Baum beseitigt oder so geschnitten wurde, dass es nicht fachgemäß ist. Wir sind gerne für Beratungen da oder ziehen Sachverständige hinzu. Es ist immer hilfreich, uns frühzeitig anzusprechen.
Welche Themenbereiche sind in den Jahren neu dazugekommen?
Da fällt mir zum einen der Bereich Aufwertung der Wegeseitenränder ein, der an Bedeutung gewonnen hat. Der gehört auch zum großen Themengebiet des Artenschutzes. An den Wegeseitenrändern wird ein Potenzial für Wildblumen und Insekten gesehen. Vermehrt haben sich problematische Pflanzen – insbesondere das Jakobskreuzkraut. Aber auch Neophyten nehmen eher zu. Zum Beispiel die Herkulesstaude, der Japanische Staudenknöterich oder das Himalaya-Springkraut. Bei den Tieren ist es in diesem Jahr der Eichenprozessionsspinner, der erstmals großräumig in Stuhr aufgetreten ist und unserem Baubetriebshof viel Arbeit gemacht hat. Ich bin hier Ansprechpartner bei der Einschätzung, ob es sich um den Eichenprozessionsspinner handelt, oder um harmlose Arten wie die Pfaffenhütchen-Gespinstmotte, die ähnliche Netze oder Gespinste bildet, aber keine Gefahr darstellt.
Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Der Umweltschutz ist bei vielen mehr im Gedächtnis verankert. Hat sich die Einstellung auch Ihrer Kollegen im Rathaus zum Thema Umweltschutz in den vergangenen Jahren gewandelt?
Das würde ich schon so sehen. Die Akzeptanz für den Artenschutz und auch die daraus resultierende Umstellung der Pflege der Grünflächen ist gestiegen. Kolleginnen und Kollegen sind mehr denn je bereit, ausgetretene Pfade zu verlassen und auch mal ein bisschen mehr Unordnung und Natur zu akzeptieren. Auch in der Bevölkerung ist das so. Natürlich hat die Gemeinde auch die klimatischen Auswirkungen von kommunalen Maßnahmen im Fokus. Der Klimaschutz wird daher bei Entscheidungen mehr berücksichtigt als vor zehn Jahren. Da hat ein allgemeiner gesellschaftlicher Wandel stattgefunden.
Und wie sieht es auf der politischen Seite aus?
Die Stuhrer Politik stand dem Umweltschutz schon immer sehr offen gegenüber. Das merkt man daran, dass schon sehr früh die Stelle eines Umweltbeauftragten geschaffen wurde, was keine Selbstverständlichkeit ist, sondern eine freiwillige Aufgabe. Auch in der politischen Beratung hat der Klimaschutz in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Das wird nicht zuletzt in der Einrichtung des Ausschusses für Klima- und Naturschutz, Naherholung und Tourismus deutlich. Daran sieht man, dass die Politik das Thema mehr in den Fokus nehmen will.
Kommt das für Sie rechtzeitig oder zu spät?
Allgemein wissen wir, dass die Gesellschaft insgesamt beim Klimaschutz früher hätte aktiv werden müssen. Da kann sich keiner von ausnehmen. Stuhr ist aber auf jeden Fall gut im Rennen, wenn man das mit anderen Kommunen vergleicht. Wir hatten auch frühzeitig die Stelle eines Klimaschutzmanagers mit Weyhe eingerichtet. Da waren wir sogar früher dran als viele andere Gemeinden.
Worauf liegt aktuell Ihr Hauptaugenmerk?
Neben dem Tagesgeschäft bin ich im Moment dabei, mich mit dem Silbersee zu beschäftigen. Die Blaualgen-Problematik ist trotz der regelmäßigen Bentophos-Gaben nicht gänzlich ausgestanden, weil die Quelle der Nährstoffzufuhr nicht so einfach beseitigt werden kann. Wir müssen weiter am Ball bleiben und schauen, dass die Blaualgenblüten nicht überhandnehmen. Ausschließen kann man sie sowieso nie. Das hängt auch mit der Witterung beziehungsweise den klimatischen Bedingungen zusammen.
Die Gesellschaft steht vor dem großen Ziel, klimaneutral zu werden. Was können die Stuhrer Bürger dazu beitragen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?
Neben der zu recht viel diskutierten Einsparung von Energie im Gebäudesektor und dem Bereich der Mobilität sehe ich ein großes Potenzial im allgemeinen Konsumverhalten. Da sollten verstärkt regionale und saisonale Lebensmittel eingekauft werden. Aber auch sonst sollte man im Bereich des Konsums auf langlebige Güter und Produkte achten, damit wir einen Ausweg aus der Wegwerfgesellschaft finden. Viele sehen bei Einsparpotenzialen die Energie im Gebäudebereich. Ein Großteil der Energie, die ein Gebäude im gesamten Lebenszyklus verbraucht, entsteht aber bei der Erstellung. Deshalb sollte vermehrt darauf geachtet werden, Gebäude zu erhalten und umzugestalten. Viele Gebäude, die nicht mehr auf dem neuesten Stand sind, könnten durchaus noch energetisch aufgewertet werden.
Gemeinsam mit den Kommunen der Win-Region wurden in den vergangenen Jahren Aktionen für den Umweltschutz gestartet. Dazu gehören das Biotopverbundkonzept, die Ernennung von Naturgartenbeauftragten oder Aktionen für Blühwiesen. Wie fällt Ihr Fazit dieses Zeitraums aus?
Die Zusammenarbeit innerhalb der Win-Region fand ich sehr hilfreich und gewinnbringend. Durch die Vernetzung und die Arbeitsteilung konnten wir tatsächlich etliche Projekte anstoßen und umsetzen, für die wir als einzelne Kommune nicht ausreichend Ressourcen gehabt hätten. Es sind wirklich gute Synergieeffekte entstanden, die uns schöne Projekte beschert haben. Ich ziehe ein sehr positives Fazit.
Wie sollen die Kooperationen auch nach Ende der Win-Region fortgeführt werden?
Ich fände es wünschenswert, wenn wir die Projekte wie das Biotopverbundkonzept oder die Naturgartenbeauftragten weiterhin gemeinsam begleiten. Wie das im Einzelnen organisatorisch geklärt werden kann, müssen wir noch sehen. Wir werden auf jeden Fall mit den Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Kommunen in Kontakt bleiben und die Projekte weiter voranbringen. Daran haben alle ein gemeinsames Interesse.
Welchen Stellenwert wird der Umweltschutz in der neuen Förderregion mit der Gemeinde Weyhe haben?
Der Umweltschutz wird einen noch höheren Stellenwert haben. In der regionalen Entwicklungsstrategie zur neuen Leader-Region wird dem Klima- und Umweltschutz als Querschnittaufgabe eine herausragende Bedeutung beigemessen. Daher werden Klima- und Umweltschutzaspekte auch bei der Entscheidung, welche Projekte im Einzelnen gefördert werden, ein hohes Gewicht haben. Deswegen können wir davon ausgehen, dass die Leader-Region den Klima- und Naturschutz in Stuhr und Weyhe weiter voranbringen wird.
Die Gemeinde Stuhr hat vor Kurzem einen See in Brinkum gekauft. Was soll damit geschehen?
Konkrete Planungen liegen noch nicht vor. Das wird auch nicht von mir entschieden. Uns als Gemeinde ist es jedoch wichtig, dass wir diesen wunderbaren siedlungsnahen Naturraum auch zukünftig erhalten. Unabhängig von einer etwaigen Nutzung liegt der Fokus darauf, diesen wunderschönen Bereich zu schützen und zu bewahren.
Soll der See in der Hand der Gemeinde bleiben?
Im Eigentum der Gemeinde wird der See sicherlich bleiben, ob es zu einer Verpachtung kommt, kann ich derzeit nicht sagen. Dazu wird es in nächster Zeit Gespräche geben.
In der Gemeinde Stuhr werden die Flächen zum Ausgleich von Baugebieten knapp. Dennoch will die Gemeinde wachsen, auch im Bereich des Gewerbes. Wie kann dieser Konflikt aufgelöst werden?
Bislang ist es uns immer noch gelungen, den naturschutzfachlichen Ausgleich im Gemeindegebiet selbst umzusetzen. Ich denke, dass dies in absehbarer Zeit auch weiterhin der Fall sein wird, da die Gemeinde anstrebt, mit der endlichen Ressource Boden sparsam umzugehen. Unabhängig davon ist es auch klar, dass es manchmal Entwicklungszwänge gibt. In der kommunalen Planung versuchen wir aber, den Flächenverbrauch so gering wie möglich zu halten.
Was sind konkrete Themen, die Sie in den kommenden Jahren angehen wollen?
Zum einen möchte ich verstärkt in den Bereich Biotopverbund einsteigen. Wegeseitenränder bieten hierbei ein erhebliches Potenzial für den Artenschutz aufgrund ihrer linienförmigen Struktur. Durch eine Umstellung der Mahd und die Beimischung von regionalen Blühsamen könnte man diese Bereiche weiter aufwerten. Der Artenschutz wird oft ein wenig stiefmütterlich behandelt neben dem Klimaschutz. Er ist aber meines Erachtens ebenfalls wichtig. Das wird oft in der politischen Diskussion etwas übersehen. Ich möchte dazu beitragen, dass wir da am Ball bleiben. Aber auch die Klimaanpassung ist von Bedeutung. Da können wir auf kommunaler Ebene sehr viel erreichen. Stichworte sind hier die Sicherung und Entwicklung von innerörtlichen Grünstrukturen, die Schaffung von Versickerungsflächen und Entsiegelungsmaßnahmen. Ich sehe auch ein großes Potenzial bei privaten Gärten, da hier viel für den Natur- und Artenschutz und die Klimaanpassung erreicht werden kann. Derzeit ist es leider so, dass viele Entwicklungen noch in die entgegengesetzte Richtung laufen – Stichworte: Schottergärten und Einfriedungen aus Stein und Plastik statt naturnaher Hecken. Ich möchte weiter mit den Naturgartenbeauftragten dafür werben, dass die Bürger das Potenzial ihrer Gärten erkennen und nicht alles an die öffentliche Hand abschieben. Sie sollten erkennen, dass jeder auch selbst einen Beitrag leisten kann, damit wir weiterhin in einer einigermaßen intakten Umwelt leben können.
Macht Ihnen die Arbeit als Umweltbeauftragter nach zehn Jahren noch Spaß?
Ja, die Arbeit ist abwechslungsreich wie kaum eine andere. Man weiß eigentlich nie, was einen am nächsten Tag erwartet. Ich denke, auch in zehn Jahren wird die Arbeit nicht langweilig geworden sein. Es ist zudem schön, in einem Bereich tätig zu sein, der einem thematisch sehr am Herzen liegt.
Das Interview führte Eike Wienbarg.