Herr Korte, das Jahr 2022 war von Krisen geprägt. Die Corona-Pandemie ist noch nicht ausgestanden, dann kam der russische Angriff auf die Ukraine, in dessen Folge die Energiekrise, die steigende Anzahl Geflüchteter und die Inflation. Wie schwierig war das Jahr für die Gemeinde Stuhr?
Stephan Korte: Das war schon sehr schwer. Mit der Pandemie waren wir einigermaßen durch. In den ersten Monaten gab es aber noch große Unsicherheiten, wie der kommende Winter wird. Daraus resultierte auch die recht frühe Entscheidung, den Weihnachtsmarkt nicht im Rathaus stattfinden zu lassen, weil sich die Menschen da erfahrungsgemäß drängen. Andererseits waren wir alle sehr zuversichtlich, dass wir die großen Einschränkungen der letzten zwei Jahre hinter uns gelassen haben. Der Angriff Russlands auf die Ukraine und was dieser alles nach sich gezogen hat, sind wieder ganz andere Herausforderungen. Es begann mit der großen Anzahl an Flüchtlingen, die wir aufzunehmen hatten. Das stellt für uns eine große Herausforderung dar, weil wir schon in der Zeit um 2015 vielen Personen hier eine Heimat geboten haben. Unsere Kapazitäten waren dadurch bereits sehr eingeschränkt. Wir haben es nur der großen Hilfsbereitschaft der Stuhrer Bürgerinnen und Bürger zu verdanken, dass wir das wirklich gut hinbekommen und gemeistert haben. Wir müssen aber wohl noch mehr Menschen aufnehmen und haben deshalb nochmals Bürger aufgerufen und Makler und Unternehmen eingebunden. Aber es zeichnet sich ab, dass das den Bedarf nicht decken wird. Deshalb müssen wir vermutlich auch zu ganz anderen Lösungen kommen.
Zum Beispiel?
Dass wir auch im größeren Maßstab als bisher selber anmieten und Unterkünfte bereitstellen. Die aufgerufenen Mieten dafür sind aber in der Regel sehr hoch. Da müssen wir uns auch weiterhin mit auseinandersetzen. Dies stellt eine zusätzliche Herausforderung zu unserem ohnehin bereits sehr anspruchsvollen Investitionsprogramm dar.
Sie sprechen die hohen Investitionen an. Wie ist der Stand?
Es hat sich gezeigt, dass wir gute Fortschritte machen. Wir haben einen deutlich höheren Investitionsmittelabfluss in diesem Jahr, als jemals zuvor in der Vergangenheit. Aber all dies ist natürlich auch für die Kollegen eine zusätzliche Belastung. Die war schon sehr hoch und ist jetzt noch höher.
Auch die Energiefrage ist virulent. Mit der Sanierung des Rathauses gab es einen symbolischen Schritt. Wie kann die Gemeinde gut durch die Energiekrise kommen?
Wir haben frühzeitig, als die Energiekosten im letzten Jahr anfingen zu steigen, für die größeren Abnehmer in der Gemeinde längerfristige Verträge abschließen können. So haben wir dort noch einen relativ moderaten Gaspreis erzielt. In anderen Einheiten, in den es nicht möglich war, bekommen wir die Wucht aber voll und ganz zu spüren. Das Thema Fernwärme ist virulent. Wir haben hier enorme Kostensteigerungen. Ich freue mich sehr, dass wir gemeinsam mit der Anwohnerinitiative Briseck jetzt zu einer Verständigung mit dem Wärmelieferanten gekommen sind. Gleichwohl sind die Energiekosten sehr hoch und treffen uns ebenso wie die Bewohner des Briseck.
Trotz der Krisen hat die Gewerbesteuer mit rund 40 Millionen Euro ein Rekordergebnis erreicht. Wie erklären Sie sich das?
Das können sich einige nicht erklären. Viele sprechen von einer Wirtschaftskrise, aber in einigen Branchen brummt der Motor. Wir haben viele Firmen, die im Bereich Zulieferung oder Großhandel tätig sind, für die war es in der Pandemie unverändert. Auch in der Baubranche war die Auftragslage gut. Die Gemeinde Stuhr hat einfach einen guten Mix. Wenn diese Krise tatsächlich kommt, hat sie uns aber vielleicht noch nicht in Gänze erreicht. Manche Wellen kommen erst zeitversetzt. Wir müssen schauen, was auf die gestiegenen Energiekosten folgt. Das werden wir eventuell noch zu spüren bekommen. Auf jeden Fall ist es ein wunderbares Steuerergebnis. Wir werden vermutlich die 40 Millionen Euro Gewerbesteuer in diesem Jahr überschreiten. Das ist aber auch Geld, das wir für die Gemeindeentwicklung benötigen.
Trotz der hohen Einnahmen müssen aufgrund der Investitionen in den kommenden Jahren wahrscheinlich neue Kredite aufgenommen werden. Dafür gab es Kritik aus der Politik. Wie rechtfertigen Sie die massive Aufnahme von Krediten?
Das spiegelt die Beschlusslage des Rates wider – und auch derjenigen, die das kritisieren. Wir haben viele Beschlüsse deutlich älteren Datums, die wir umsetzen müssen. Ich vermag nicht zu erkennen, worauf man verzichten kann. Wir haben uns deshalb personell in den letzten zwei Jahren stetig optimiert und verbessert. Wir haben viele neue Leute gerade in den technischen Berufen gewinnen können, was uns froh und stolz macht. Das ist alles andere als selbstverständlich. Für viele ist es aber auch attraktiv und reizvoll, was die Gemeinde in den kommenden Jahren alles gestalten will. Der Mittelabfluss bei den Investitionen zeigt, dass wir vorankommen.
Wo sehen Sie denn noch Einsparpotenzial?
Die Kredite brauchen wir nur, wenn wir wie geplant die Projekte umsetzen können. Das wollen wir auch versuchen. Einsparpotenzial sehe ich in den Maßnahmen selber. Da müssen wir schauen, wie wir bauen und was wir bauen.
Wäre da das Hallenbad ein Beispiel?
Beim Hallenbad wurde ursprünglich eine große Lösung beschlossen. Es gab dann einen Kompromiss für eine mittlere Lösung. Natürlich könnte man da sparen, aber das würde ich nicht begrüßen und auch nicht empfehlen, weil wir beim Hallenbad weniger die einmaligen Investitionskosten als vielmehr die späteren Betriebskosten im Blick haben müssen. Die mittlere Lösung zeigt auch das beste Betriebsergebnis, weil wir deutlich mehr Menschen erreichen. Ein reines Lehrschwimmbecken würde von deutlich weniger Bürgern genutzt werden können. Dies würde aber auch deutlich weniger Einnahmen generieren. Will man sechs Millionen Euro sparen und dafür in Kauf nehmen, dass man nur einen Bruchteil der Bevölkerung erreicht? Wir haben in unserer Gemeinde viele junge Familien mit Kleinkindern, wir haben viele Schüler, wir haben aber auch viele ältere Menschen und da einen deutlichen Zuwachs. Da ist Wassersport, -gymnastik und -bewegung ein ganz zentrales Thema für ein gesundes Älterwerden. In Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern bekomme ich ein sehr gutes Feedback zum Bad. Ich glaube, wir bekommen das gut umgesetzt. Selbst bei der angenommenen Verschuldung von 60 Millionen Euro im Jahr 2026 wären wir immer noch weit davon entfernt, Liquiditätskredite in Anspruch zu nehmen. Zudem wären es investive Kredite, dafür entsteht ein Vermögenswert. Mögliche Fördergelder sind bei der Rechnung noch gar nicht berücksichtigt. Wir würden immer handlungsfähig bleiben. Man müsste erst handeln, wenn wir besondere Einnahmeeinbrüche hätten.
Anwohner haben Kritik am Standort des Bades geäußert. Vor allem aufgrund des Lärms und des zusätzlichen Verkehrs. Ist der Standort der richtige?
Ja, absolut. Wir haben nur ganz wenige negative oder kritische Rückmeldungen bekommen. Wir haben aus der gleichen Nachbarschaft viele Anwohner, die sich auf ein Hallenbad in fußläufiger Nähe freuen. Es geht auch darum, wie Bürger aus den anderen Ortsteilen das Bad erreichen. Da ist eine fußläufige Erreichbarkeit durch die zukünftige Linie 8 ein ganz wichtiger Faktor. Das ist miteinander verwoben. Deswegen habe ich da keine Bedenken. Dem Ganzen liegen umfangreiche Emissionsuntersuchungen zugrunde. Wir werden diese auch weiter ausarbeiten. Es deutet nichts darauf hin, dass wir Grenzwerte überschreiten.
Eine positive Nachricht war, dass mit Rolf Specht ein Investor für den Brinkumer Ortskern gefunden wurde. Wie froh sind Sie, dass dieser langwierige Prozess endlich ein Ende gefunden hat?
Das freut mich sehr. Der Kaufvertrag und der städtebauliche Vertrag sind ausverhandelt. Wir wollen gleich Anfang des Jahres in den Rat gehen und sie beraten und möglichst beschließen lassen. Es war nach der Findungsphase nochmal ein anstrengendes Jahr, in dem wir viele Gespräch geführt haben. Das ist städtebaulich ein historisches Projekt für die Gemeinde und den Ortsteil Brinkum.
Die ersten Arbeiten zur Haltestelle hinter dem jetzigen Bremer Tor waren schon für November angekündigt. Noch ist nichts passiert. Warum?
Bestimmte notwendige Materialien bekommt unser Auftragnehmer derzeit nicht geliefert. Das ist die Gesamtsituation. In diesem Fall geht es zum Beispiel um Rigolen. Wir haben aber die mündliche Zusicherung, dass bis Ende Februar/März die Haltestelle in Betrieb genommen werden kann. Auch wenn bis dahin nicht alle Restarbeiten erledigt sind. Für den Ortskern sind wir noch im Plan.
Die Gemeinde geht die Ortskerne in Brinkum und Alt-Stuhr an. Aus anderen Ortsteilen ist aber zu hören, dass sie sich abgehängt fühlen. Wie kann dieses Ungleichgewicht aufgehoben werden?
Der Rat hat diese Maßnahmen beschlossen. Dass wir Stuhr in den Fokus genommen haben, beruht auf der Tatsache, dass die Gemeinde sich damals, als sie zum Mittelzentrum erhoben wurde, verpflichtet hat, Stuhr und Brinkum zu entwickeln. Da müssen bestimmte Angebote vorgehalten werden. Das machen wir jetzt. Mein Wunsch wäre, dass wir dann weiterschauen. Gerade Groß Mackenstedt, Heiligenrode und Fahrenhorst habe ich im Blick. Das sind kleine Ortsteile, die auch dörflichen Charakter haben. Zum Beispiel wäre es eine Überlegung, ob man Groß Mackenstedt, Heiligenrode und Fahrenhorst ins Dorfentwicklungsprogramm aufnimmt.
Gerade in Fahrenhorst hat sich die Versorgungslage deutlich verschlechtert. Wie soll das aufgefangen werden?
Die mangelnde Nachfrage hat dazu geführt, dass der Dorfladen und auch der Bäcker geschlossen haben. Da muss man ganz neue Weg gehen. Das war schon Thema im Bürgermeisterwahlkampf. Wir sind auf ein paar Gedanken gestoßen, wie zum Beispiel Online-Tante-Emma-Läden. Diesbezüglich sind wir in Gesprächen. Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir in Fahrenhorst etwas realisieren können, das das auffangen könnte.
Der Rechtsstreit um die Linie 8 ist abgeschlossen. Was muss jetzt noch geschehen, damit die Züge rollen können?
Das ist ein ziemlich komplexes Projekt. Durch die acht Jahre Klagezeit haben wir eine erhebliche Verzögerung. Das bedeutet auch, dass man das Projekt in Anteilen neu rechnet und schaut, wie die Förderszenarien aussehen. An sich gibt es eine Klarheit, was die Förderung durch Land und Bund anbelangt. Für Stuhr haben wir den Job erledigt. Alle Pläne für die Haltestellen sind jetzt rechtskräftig.
Also der Zeitplan 2025 steht?
Wir schauen, wie sich der Zeitplan gestaltet. Ich bin immer Fan davon, dass man versucht, seine Zeitpläne auch einzuhalten. Wenn wir es nicht alleine in der Hand haben, ist es aber schwierig.
Mit der Bahn fällt die Linie 55 weg. Das bedeutet für einige Menschen längere Wege zu ihren Haltestellen. Wie wollen Sie das vermitteln?
Andere Leute werden es dann näher zur Haltestelle haben. Das muss man auch sehen. Es ist auch nichts Neues, dass wir auf die veränderte Situation eingehen müssen. Auf eine Bahn, die in einem deutlich kürzeren Takt die Menschen befördert, muss ich die zuliefernden Busverkehre neu ausrichten. Das ist das Ziel und das erfolgt auch bereits.
Im Feuerwehrbedarfsplan sind die Neubauten der Gerätehäuser in Heiligenrode und Stuhr vorgesehen. Gibt es schon Standorte?
Das ist ein längerer Prozess. Wir haben die nach dem Schutzziel infrage kommenden Standorte ausgesucht. Und die Feuerwehr hat Prioritäten aufgestellt. In der Reihenfolge haben wir mit den Eigentümern Gespräche geführt. An beiden Standorten haben wir Optionen. Da sind wir jetzt in Abstimmung mit den Ortsfeuerwehren.
Gibt es schon einen Zeitplan?
Die Planung sieht eine Umsetzung bis 2026 vor. Der Bau würde dann 2024 beginnen. Es ist ein Plan, der unter den aktuellen Bedingungen zu betrachten ist. Wir werden uns bemühen, das zeitnah und fristgerecht zu tun. Es ist für die Feuerwehr ein wichtiges Thema. Die Ortsbrandmeister und der Gemeindebrandmeister sind eingebunden.
Die Gemeinde will den Radverkehr stärken. Gerade aber bei großen Projekten, wie dem Radweg an der Warwer Straße, dauert es lange. Wie passt das zusammen?
An der Warwer Straße waren die Pläne fertig. Wir hätten sie so an den Landkreis geben können. Wir kamen dann aber bezüglich der Grundstücksankäufe nicht weiter. Daher mussten wir die Planung nochmal neu aufstellen. Im Übrigen ist es so, dass wir ein Radverkehrskonzept haben, das im Wesentlichen zu dem Ergebnis kommt, dass es an vielen Stellen in der Gemeinde nicht den erforderlichen Platz gibt, um Radwege zu bauen.
Gibt es denn noch Hoffnung für die langfristigen Radwege-Projekte wie zum Beispiel auch an der Wildeshauser Straße?
Die Wildeshauser Straße ist nicht unser Projekt. Das ist ein Projekt des Landkreises. Ich weiß, dass sich manche Leute wünschen, dass die Gemeinde das Projekt übernimmt, aber das können wir nicht. Auch die Warwer Straße ist an sich nicht das Projekt der Gemeinde. Ich würde dem aus heutiger Sicht auch nicht zustimmen. Wir müssen sehen, dass wir unsere eigenen Aufgaben prioritär erledigen. Und der Landkreis und das Land Niedersachsen müssen sehen, dass sie ihre Aufgaben erledigen.
Es wird jetzt angedacht, den Radverkehr vermehrt auf die Straße zu verlegen. Der Rat hat sich auch für vermehrte Tempo-30-Zonen ausgesprochen, was durchaus kontrovers diskutiert wurde.
Die Diskussion konnte ich nicht in Gänze nachvollziehen. Der Beitritt zur Initiative des Deutschen Städtetages beinhaltete nichts anderes, als dass man die Regelungen des Straßenverkehrsrechts hin zu mehr Flexibilität für die Gemeinden auflockert. Tempo 50 soll nicht das Soll sein, sondern 50 oder 30. Das würde Gemeinden viel mehr Spielraum geben. Das kann man mit gutem Gewissen unterschreiben. Im Übrigen schauen wir heute bereits, wo wir Geschwindigkeitsbegrenzungen einführen können. Ich sehe das nicht so aufgeregt.
Also können Sie sich durchaus auf Gemeindestraßen vermehrt Tempo 30 vorstellen?
Wir müssen schauen, wie die Situation vor Ort jeweils ist. Es ist nun mal so, dass wir keine Flächen haben für abgetrennte Radwege. Die Gemeinde ist stärker gewachsen als die Infrastruktur. Auch die Parksituation ist nicht einfach. Viele Wohngebiete sind aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Damals hatte jeder Haushalt im Durchschnitt 0,6 oder 0,8 Fahrzeuge, heute sind es zwei oder drei.
Im vergangenen Jahr sollte der Hochwasserschutz vorankommen. Wie ist der Stand?
Wir haben alle Unterlagen beim Landkreis eingereicht.
Gibt es einen Zeitplan?
Nein. Für die Gemeinde ist geplant, dass wir das zwischen 2024 und 2026 erledigen. Planfeststellungsbehörde ist der Landkreis und die muss tätig werden. Aber nicht nur Stuhr hat einen Fachkräftemangel, sondern auch der Kreis oder die Straßenbaubehörde in Nienburg. Die haben alle enorme Probleme, die technischen Fachleute zu bekommen. Wir werden zum März Verstärkung im Bereich Tiefbau haben. Deshalb hoffe ich, dass wir bei unseren Projekten besser vorankommen. Das geht allen Gemeinden so. Deshalb ist es auch keine Lösung, Aufgaben an die Gemeinde abzugeben und denen lediglich die Baukosten zu erstatten.
Welche Schlagzeile würden Sie sich für dieses Jahr wünschen?
Wir werden in diesem Jahr einige Eröffnungen haben. Wir haben die Erweiterungen der Grundschulen und der Kitas fertig. Wir werden hoffentlich wieder ein gutes Kulturprogramm auf die Beine stellen. Eine wirklich tolle Nachricht wäre, wenn wir alles Personal gewonnen hätten, das wir suchen – insbesondere Erzieherinnen für die Kitas. Das ist der Schlüssel zu allem, das drängt uns auch am meisten. Es wird viel zu wenig ausgebildet. Eine schöne Schlagzeile wäre: Bund und Land tun mehr für die Erzieherinnenausbildung.
Das Interview führte Eike Wienbarg.